Nana. Emile Zola

Nana - Emile Zola


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erkundigt hätten. Als der Diener fortgegangen war, meinte Nana, daß sie höchstens eine halbe Stunde ausbleiben werde. Wenn Besucher kämen, sollte Zoé sie bitten, ein Weilchen zu warten. Während sie noch sprach, läutete die elektrische Glocke. Gläubiger Numero eins: der Wagenverleiher pflanzte sich im Vorzimmer auf eine Bank. Der mochte ruhig bis zum Abend seine Daumen drehen, mit dem war's nicht eilig.

      »Vorwärts, Nana! Courage!« sprach Nana, die sich träge reckte und gähnte, zu sich selbst. »Ach, wenn ich doch schon unten wäre!«

      Aber sie rührte sich noch immer nicht vom Fleck. Sie verfolgte das Spiel ihrer Tante, die eben hundert As angemeldet hatte. Das Kinn in die Hand gestützt, vertiefte sie sich in das Zuschauen. Aber als sie es jetzt drei Uhr schlagen hörte, fuhr sie jäh in die Höhe.

      »Donnerwetter!« stieß sie aufgeregt hervor.

      Madame Maloir, die ihre Points zählte, sprach ihr mit weicher Stimme Ermutigung zu.

      »Meine liebe Kleine, es wäre sicher besser, Sie machten Ihren Gang ohne weiteren Verzug!«

      »Gewiß, mach geschwind, dann hast du's vom Halse«, meinte Madame Lerat, indem sie die Karten mischte. »Ich kann ja um halb fünf Uhr noch fahren, wenn du bis vier Uhr mit dem Geld hier bist!«

      »Das soll nicht lange dauern!« murmelte Nana leise.

      In zehn Minuten hatte sie mit Zoés Hilfe ihr Kleid angezogen und ihren Hut aufgesetzt. Sie fragte nicht danach, ob sie gut angekleidet war oder nicht. Als sie hinuntergehen wollte, läutete es abermals. Diesmal war es der Kohlenhändler. Oh, der mochte nur dem Wagenverleiher Gesellschaft leisten, das würde diese Leute zerstreuen. Lediglich weil sie einen Skandal befürchtete, schritt sie durch die Küche und schlüpfte die Dienstbotentreppe hinab.

      »Einer liebenden Mutter verzeiht man alles!« sprach Madame Maloir salbungsvoll, als sie mit Madame Lerat allein war.

      »Ich melde achtzig in Rot«, erwiderte diese, ganz vertieft in ihr Spiel.

      Beide versenkten sich in eine endlose Partie. Der Tisch war noch nicht abgedeckt. Ein trüber Dunst, halb der Geruch des Frühstücks, halb Zigarettenrauch, füllte das Zimmer. Die beiden Alten tauchten wieder Zucker in Kognak und lutschten. Zwanzig Minuten mochten sie so beim Spielchen gesessen haben, als nach einem dritten Läuten Zoé plötzlich ins Zimmer gerannt kam und sie, als wären sie ihresgleichen, ohne alle Umstände hinausschob.

      »Hören Sie! Da läutet's noch einmal ... Sie können hier nicht sitzenbleiben. Wenn viele Leute kommen sollten, brauche ich alle Räume ... Vorwärts, hopp, hopp, marsch!«

      Madame Maloir wollte erst die Partie zu Ende spielen, aber da Zoé Miene machte, die Karten ohne weiteres zusammenzupacken, entschloß sie sich, das Spiel fortzunehmen, während Madame Lerat die Kognakflasche, die Gläser und den Zucker hinaustrug. Beide eilten nun nach der Küche, wo sie sich am Tischende zwischen dem zum Trocknen aufgehängten Aufwaschlappen und dem mit Spülwasser gefüllten Scheuerfaß festsetzten.

      »Wir hatten dreihundertundvierzig ... An Ihnen ist die Reihe.«

      »Ich spiele Herz.«

      Als Zoé zurückkam, fand sie die beiden Alten schon wieder ganz in das Spiel vertieft. Madame Lerat mischte die Karten von neuem und fragte nach einer kleinen Pause:

      »Wer ist denn da?«

      »Oh, niemand!« warf das Dienstmädchen nachlässig hin. »Ein niedliches, junges Bürschchen ... Ich habe ihn erst wegschicken wollen, aber er ist so allerliebst, noch ohne jedes Barthaar, und hat so hübsche blaue Augen und eine wahre Mädchenfigur, daß ich ihm zuletzt doch gesagt habe, er solle warten ... Er hält ein riesiges Bukett in der Hand, das er unter keinen Umständen weglegen will ... Ein grüner Junge, der ruhig noch hinter der Schulbank sitzen sollte! Schläge sollte er bekommen!«

      Madame Lerat holte sich eine Karaffe Wasser, um sich einen Grog zu brauen; die Kognakzuckerstückchen hatten ihr ganzes Wesen verändert. Zoé murmelte, daß sie gleich selber ein Glas davon trinken wolle, ihr sei es gallebitter im Munde.

      »Wo haben Sie denn den Jüngling untergebracht?«

      »Ach, in dem Kabinett hinten, in dem kleinen Zimmer, das noch nicht möbliert ist ... Es steht ein Koffer von Madame drinnen und ein Tisch ... Dorthinein praktiziere ich stets die Gimpel.«

      Sie warf sich eben ein tüchtiges Stück Zucker in ihr Glas Grog, als die elektrische Glocke sie abermals rief. Es war doch niederträchtig! Nicht einmal einen ruhigen Schluck konnte man trinken! Das versprach etwas, wenn das Gebimmel schon wieder anging! Indessen eilte sie hinaus, um zu öffnen. Als die Maloir sie bei ihrer Rückkehr fragend anschaute, meinte sie:

      »Bah, nichts, nur ein Bukett!«

      Alle drei erquickten sich an dem Grog, während sie einander gegenseitig zuprosteten. Plötzlich ertönten zwei neue Glockenschläge, als Zoé endlich den Tisch abräumte und die Schüsseln eine nach der andern auf den Spültisch stellte. Zweimal aber noch wiederholte sie geringschätzig:

      »Nichts, nur ein Bukett!«

      Während die beiden Alten dann zweimal abhoben, hörten sie lachend der Erzählung Zoé zu, was für ein Gesicht die im Vorzimmer sitzenden Gläubiger gemacht hätten, als die Blumen ankamen. Madame werde die ganze Ankleidetoilette voller Blumen finden. Schade, daß der Kram so teuer sei und daß man keine zehn Sou daraus lösen könne. Im Grunde sei es eben doch hinausgeworfenes Geld.

      »Ich wäre zufrieden«, meinte die Maloir, »wenn ich jeden Tag das Geld hätte, das die Pariser Männerwelt auf Blumen für die Frauenzimmer ausgibt.«

      »Hm, das glaube ich wohl«, erwiderte die Lerat, »Sie sind gar nicht so dumm! Das wäre ein hübsches Nadelgeld ... Übrigens, meine Liebe, sechzig in Damen.«

      Zehn Minuten fehlten noch auf vier Uhr. Zoé war verwundert; sie konnte nicht verstehen, weshalb ihre Herrin so lange ausblieb. Wenn sie sonst am Nachmittag ausgehen mußte, war sie immer kurz und bündig und geschwind fertig. Aber Madame Maloir erklärte, daß man das nicht immer so einrichten könne, wie man gern wolle. Gewiß gebe es manchen Widerhaken im Leben, meinte die Lerat. Das beste sei, zu warten: wenn sich ihre Nichte verspäte, so sei sie eben durch irgendwelche Verrichtungen zurückgehalten, das sei doch klar.

      Die Glocke läutete abermals. Als Zoé wieder in die Küche trat, war sie ganz aus dem Häuschen.

      »Kinder, denkt euch, der dicke Steiner!« rief sie, die Stimme dämpfend, noch in der Tür. »Er selbst in eigener Person! Ich habe ihn in den kleinen Salon geführt.«

      Nun sprach die Maloir von dem Bankier, den die Lerat nicht kannte. Sollte er am Ende gar Lust haben, Rose Mignon sitzenzulassen? Zoé schüttelte den Kopf, sie verstand sich auf solche Dinge. Aber schon mußte sie wieder zur Tür eilen.

      »Na, das ist eine schöne Brühe!« meinte sie, als sie zurückkam. »Da ist der Mulatte gekommen! Ich hab' ihm sicher zehnmal gesagt, Madame sei ausgegangen, er hat sich aber im Schlafzimmer festgesetzt ... Wir erwarteten ihn erst gegen Abend.«

      Ein Viertel auf fünf war es, und Nana war noch nicht da. Was konnte sie denn vorhaben! Das war doch wahrlich nicht zu fassen. Noch zwei Buketts wurden abgegeben. Zoé, der die Geschichte langweilig zur werden anfing, schaute nach, ob noch etwas Kaffee da war. Ei ja, die Damen hätten zu guter Letzt gern noch ein Täßchen Kaffee geschlürft, das würde die Lebensgeister wieder ein bißchen aufwecken; sie schliefen, auf die Sessel gehockt, ja beinahe schon ein bei dem fortwährenden Kartennehmen und Kartengeben. Es schlug halb. Ganz entschieden war Madame etwas zugestoßen. Plötzlich vergaß sich die Maloir und meldete mit ganz lauter Stimme:

      »Ich habe fünfhundert! Die große Quinta in Trumpf!«

      »Halten Sie doch den Schnabel!« schrie Zoé zornig. »Was sollen denn all die Herren vorn denken?«

      In das leise Gemurmel der beiden sich streitenden Weiber drang von der Dienstbotentreppe her ein Geräusch von raschen Schritten. Endlich kam Nana.

      »Na, da bist du ja! Gut, daß kein Unglück geschehen ist!« sagte die Lerat, die noch


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