Nana. Emile Zola
in die andere schob. Seine Jugend, seine Verlegenheit, der drollige Anblick, den er mit seinen Blumen gewährte, brachten Nana in gute Laune, so daß sie in helles Gelächter ausbrach. Das war zu stark! Wurden denn schon die Kinder nach ihr verrückt? Kamen denn die Männer jetzt schon in kurzen Höschen zu ihr? Sie zeigte sich vertraulich, mütterlich, schlug sich auf die Schenkel und fragte aus Ulk:
»Willst wohl, daß man dir die Nase putzt, Bübchen?«
»Ach ja«, antwortete der Kleine mit leiser, bittender Stimme. Diese Antwort belustigte Nana noch mehr. Er war siebzehn Jahre alt und nannte sich Georges Hugon. Gestern war er im Varietétheater gewesen und kam nun, ihr seine Aufwartung zu machen.
»Sind denn die Blumen da für mich?«
»Ja.«
»Na, so gib sie doch her, du Pinsel.«
Aber als sie nach dem Bukett griff, packte er mit dem Ungestüm der Jugend ihre Hände. Sie mußte ihm erst einen Klaps versetzen, damit er sie freigab. Ein grüner Junge, der schon solche Gedanken hatte! Während sie ihn gehörig auszankte, war sie rot geworden und mußte lachen. Sie schickte ihn weg, erlaubte ihm aber wiederzukommen. Er taumelte vor Glück und vermochte kaum den Ausgang zu finden.
Nana trat in ihr Ankleidezimmer zurück, wo Francis sich beinahe gleichzeitig einfand, um ihre Frisur für den Abend zu vollenden. Sie kleidete sich nur abends an. Stumm und träumerisch saß sie vor dem Spiegel und neigte den Kopf unter den geschickten Händen des Coiffeurs, als Zoé in das Kabinett trat:
»Madame, es ist noch einer draußen, der sich nicht abweisen lassen will.«
»Na, so laß ihn doch stehen!« gab sie ruhig zur Antwort.
»Auf diese Weise kommen die Leute aber immer wieder!«
»Bah! Sag ihnen, sie sollen warten. Wenn sie der Hunger treibt, werden sie schon gehen.«
Plötzlich hatte sie einen Einfalt, und vergnügt folgte sie der neuen Eingebung: sie entglitt Francis' Händen, eilte zu den Türen und schob die Riegel vor; nun mochten sie sich nebeneinander aufstapeln, die Mauer zu durchbrechen würde ihnen schwerlich gelingen; Zoé konnte ja durch die kleine Tür hereinkommen, die nach der Küche führte. Unterdessen läutete die Glocke in einem fort. Alle fünf Minuten ließ sich ihr Klingen hell und deutlich vernehmen, mit der Regelmäßigkeit einer in gutem Stande befindlichen Maschine. Und Nana zählte die Schläge, um sich Zerstreuung zu verschaffen. Aber plötzlich fiel ihr etwas anderes ein.
»Wo sind denn meine gebrannten Mandeln, Francis?« sagte sie. Auch Francis hatte nicht an die Mandeln gedacht. Er zog jetzt eine Tüte aus seiner Rocktasche mit der verbindlichen Gebärde eines Weltmannes, der seiner Freundin ein Geschenk überreicht; aber auf jeder seiner Monatsrechnungen fand sich immer ein stattlicher Posten gebrannter Mandeln verzeichnet. Nana schob die Tüte zwischen ihre Knie und begann, indem sie den Kopf unter dem leichten Händedruck des Friseurs bewegte, von den Mandeln zu knabbern.
»Sapperlot!« flüsterte sie nach einer kurzen Pause des Schweigens. »Ist das eine Bande!«
Dreimal hatte plötzlich die Glocke hintereinander geschellt. Das Läuten wiederholte sich in rascher Folge; es waren sowohl bescheidene Töne, die mit dem Beben eines ersten Geständnisses gestammelt wurden, als kühne, die unter dem Druck eines unwirschen Fingers erschallten, als auch eilige, die mit jähem Schrillen die Luft durchschnitten. Ein förmliches Glockenspiel, wie sich Zoé ausdrückte, ein Glockenspiel, welches das gesamte Stadtviertel alarmieren müsse, da ja ein ganzer Schwarm Männer reihenweise auf den Elfenbeinknopf drückte. Dieser Schlingel von Bordenave hatte gewiß an zu viele Leute Nanas Adresse bekanntgegeben; das ganze Auditorium des gestrigen Abends begehrte ja Zutritt!
»Sagen Sie mal, Francis«, wandte sich jetzt Nana an den Friseur, »können Sie mir fünf Louisdor borgen?«
Er trat einen Schritt zurück, blickte prüfend auf die Frisur und erwiderte dann gelassen:
»Fünf Louisdor? Je nachdem.«
»Ah, Francis«, meinte Nana wieder, »wenn Sie eine Sicherheit wünschen ...«
Und ohne den Satz zu vollenden, deutete sie mit einer weiten Handbewegung auf die zunächst stehenden Stücke. Francis lieh die fünf Louisdor. Zoé trat, wenn sie ein paar Augenblicke Zeit hatte, in das Kabinett, um die Toilette ihrer Herrin vorzubereiten. Bald nachher mußte sie sie ankleiden, während der Friseur wartete, um an den Haarputz noch die letzte Hand zu legen. Aber die elektrische Glocke störte die Zofe in einem fort, so daß sie Nana mit halb zugeschnürter Taille und halb barfüßig sitzen lassen mußte. Sie verlor trotz ihrer reichen Erfahrungen den Kopf. Nachdem sie die Männer erst einzeln, jedes Winkelchen der Wohnung benutzend, überallhin postiert hatte, war sie nun genötigt gewesen, deren drei bis vier zusammenzuschachteln, so sehr dies auch allen Bräuchen und Wünschen ihrer Herrin widersprach. Ach was! Desto besser, wenn sie einander auffraßen, da gab's doch Platz! Und Nana, die hinter den zugeschobenen Riegeln wohlgeborgen in ihrem Kabinettchen saß, machte sich lustig über sie, deren Atem sie bis in ihren Winkel hinaus hörte; sie müßten, wie sie meinte, einen recht dicken Schädel haben, und die Zunge müßte ihnen ja schon lange aus dem Halse hängen. Ihr Erfolg vom gestrigen Abend nahm seinen Fortgang, die Männermeute war ihrer Spur gefolgt.
»Wenn sie wenigstens nichts zerbrechen«, meinte Nana.
Sie fing an, unruhig zu werden. Aber in diesem Augenblick führte Zoé Herrn Labordette in das Kabinett, und Nana stieß einen Ruf der Erleichterung aus. Er wollte mit ihr von einer Rechnung sprechen, die er für sie beim Friedensrichter beglichen hatte. Sie hörte gar nicht auf seine Worte, sondern rief ihm zu:
»Labordette, ich nehme Sie mit ... Wir speisen zusammen, und dann begleiten Sie mich nach dem Theater. Ich brauche erst um halb zehn Uhr aufzutreten.«
Der wackere Labordette, wie gelegen er gerade kam! Niemals begehrte er etwas für seine Dienste. Er war lediglich der Freund der Damen, deren kleine Angelegenheiten zu ordnen er keine Mühe scheute. So hatte er eben noch im Vorbeigehen die Gläubiger, die im Vorzimmer weilten, um eine Wartefrist gebeten; die braven Leute wollten ja übrigens gar nicht bezahlt sein: wenn sie hier gewartet hätten, so sei es ja nur geschehen, um der gnädigen Frau ihr Kompliment zu machen und ihre Dienste von neuem anzutragen: der ungeheure Erfolg, den die gnädige Frau am gestrigen Abend gehabt, habe ja ganz Paris auf die Beine gebracht.
»Kommen Sie, Labordette, wir wollen uns drücken!« wandte sich Nana, die jetzt angekleidet war, an ihren Besucher.
»Madame, ich mache ganz entschieden nicht auf ... Es stehen noch eine ganze Reihe Männer auf der Treppe!«
Das überstieg doch alle Begriffe! Sogar Francis mußte, gegen sein englisches Phlegma, das er affektierte, lachen, während er sein Frisierzeug in Ordnung brachte. Nana hatte Labordettes Arm ergriffen und drängte diesen nach der Küche. Glücklich, endlich von den Männerscharen befreit und sich selbst überlassen zu sein, eilte sie die Stufen der Dienertreppe hinab.
»Sie begleiten mich doch wieder zurück?« fragte sie ihren Führer, als sie den Hausflur betraten. »Ich werde dann wenigstens unbehelligt bleiben ... Denken Sie sich, Labordette, ich habe mir vorgenommen, heute einmal eine ganze Nacht allein zu schlafen ... Was einem doch so manchmal in den Sinn kommt, nicht wahr?«
3
Drittes Kapitel
Gräfin Sabine, wie man sich gewöhnt hatte, Frau Muffat de Beuville zu nennen, um sie von ihrer Frau Schwiegermutter zu unterscheiden, die im vergangenen Jahr gestorben war, hatte jeden Dienstag in ihrem Haus in der Rue Miromesnil, an der Ecke der Rue de Penthièvre, Empfangsabend. Es war ein weites viereckiges Gebäude, das die gräfliche Familie der Muffat seit länger als einem Jahrhundert bewohnte. Auf die Straße hinaus starrte die schwarze und düstere Fassade in klösterlicher Melancholie mit ungeheuren Jalousien, die beinahe immer geschlossen blieben. Hinter dem Hause standen in einem feuchten Gartenwinkel ein paar Bäume, die keine Sonne erhielten und so lang aufgeschossen waren, daß man ihre Zweige über den Schiefern des Daches erblickte.
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