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anzusprechen. Wirklich ungewöhnlich ruhig. Sam Wilkins kratzte sich am lichter werdenden Haar und zuckte leicht zusammen. Es setzte ihm zu. Das Alter ging auch an ihm nicht vorbei. Besonders, wenn er sich neben Rebecca sah, die 13 Jahre jünger war als er selbst, wurde ihm bewusst, wie alt er war. Er verstand bis heute nicht, warum sie sich für ihn entschieden hatte, warum sie bei ihm war. Wieso sie ihn liebte und es jeden Tag aufs Neue mit ihm aushielt. Der nächste Schluck von dem braunen Gebräu brannte ihm in der Kehle und er setzte den Weg zurück in sein Büro fort.

      Anna Jones saß am Empfang des Reviers und bearbeitete ein paar Papiere. Vermutlich, um sich wach zu halten. Er schloss die Tür zu seinem kleinen Büro hinter sich und setzte sich an den alten Schreibtisch, der ihm gute Dienste leistete. Er war noch immer nicht unter der Last der Berichte zusammengebrochen, die er tragen musste. Und auch nicht unter der Last der vielen Todesopfer, die in diesen Berichten Erwähnung fanden. Ein Stuhl, der für Besucher gedacht gewesen war, trug ebenfalls eine Menge von verschiedenfarbigen Ordnern. Aktuelle Ermittlungen, ungeklärte Mordfälle, Beweisauflistungen.

      Er gähnte, hörte seinen Kiefer dabei knacken und fragte sich, ob das ein weiteres Zeichen seines fortschreitenden Alters war. Er musste endlich die Summe auf seine Lebensversicherung erhöhen. Jetzt, wo der kleine Julien da war, wurde es Zeit. Doch das musste warten. Er griff nach einer Akte und schlug sie auf.

      Darum war er auch nach der Spätschicht noch hier geblieben. Der Mord an einer jungen Frau. Grausam und bestialisch. Der Psychologe hatte endlich ein Täterprofil erstellt und er wollte sich noch einmal alle Einzelheiten des Tatorts und der Umstände ins Gedächtnis rufen, bevor er diesen Bericht las. In der Nacht und den frühen Morgenstunden arbeitete sein Verstand am Schnellsten. Am Analytischsten. Darum hatte er Rebecca gestern Abend angerufen und ihr erklärt, dass er heute eine Nachtschicht einlegen würde. Und sie hatte Verständnis dafür. Wenn auch zähneknirschend. Sie hatte ihn so kennengelernt. Bemüht, das Verbrechen zu bekämpfen und der Gute zu sein. Dafür liebte sie ihn. Und er liebte sie dafür, dass sie nicht versuchte ihn zu ändern. Den morgigen Tag würde er mit seinem Sohn verbringen. Vielleicht an den See fahren und ihm die Enten zeigen. ›Ante‹, wie er sie nannte. Er besah sich die Tatortfotos und bekam von dem Getöse, das plötzlich im Eingangsbereich losbrach nichts mit.

      Dafür jedoch Officer Anna Jones und die sah tatsächlich überrascht auf. Denn mit einem solchen Zwischenfall hatte sie in den frühen Morgenstunden nicht mehr gerechnet.

      »Worum geht es denn, Sir?«, fragte sie und behielt den Stift in der Hand, mit dem sie eben noch einen Bericht ausgefüllt hatte. Sie rechnete nicht mit einem länger dauernden Intermezzo.

      »Ich...« Aiden stützte sich einen Moment auf seinen Knien auf, sog keuchend Sauerstoff in seine Lungen und stolperte dann näher auf den Empfangstresen zu, hinter der ihm eine dunkelblonde Polizeibeamte entgegen sah. »Ich habe einen Mord beobachtet. Ich muss... Ich war auf dem Heimweg und...« Sein Mund war staubtrocken und der Schweiß drohte ihm in die Augen zu laufen.

      Officer Anna Jones hob eine Augenbraue. »Einen Mord, Sir?« Ihre Skepsis war begründet, hatte sie doch schon einige solcher Aussagen gehört, die sich im Nachhinein als etwas vollkommen Anderes herausgestellt hatten. Sie unterdrückte mit Mühe ein Gähnen.

      »Ja!« Aiden strich sich mit dem Jackenärmel über die Stirn. Das Seitenstechen erschwerte ihm das Atmen. »Das habe ich doch gesagt! Mit dem Messer!« Viel zu spät erinnerte er sich an das Handy in seiner Hand. »Ich habe es gefilmt.«

      Die laute Stimme rief einen weiteren Polizisten auf den Plan. Jung. Überengagiert. Noch relativ grün hinter den Ohren. Louis Larkin war 28 Jahre alt, sah aber aus wie keinen Tag älter als 20. Wenn überhaupt.

      »Gibt es ein Problem, Anna?« Er war ein großer Verfechter des Schreibtisch-Feng-Shuis.

      Aiden sah zwischen den beiden Polizisten hin und her. Dann schlug er derart kräftig mit der flachen Hand auf den Tresen, dass ein paar Broschüren verrutschten und ihm vor die Füße flatterten.

      »Hören Sie!« Aiden hielt sein Handy nach oben. »Hier drauf ist ein Mord und einer von ihnen wird mich jetzt sofort zu einem Officer bringen, dem ich das zeigen kann!«, rief er außer sich. Wollte ihm denn hier niemand helfen?! Das Blut rauschte ihm so laut in den Ohren, dass er kaum etwas anderes hören konnte.

      »Wir sind beide Officer, Sir«, meinte Louis Larkin und besah sich den jungen Mann. Braunes, kurzes Haar, blasse, kaltschweißige Haut. Er hob eine Augenbraue. »Was genau haben Sie denn gefilmt, Sir?«

      Aiden starrte den jungen Mann vor sich an und spürte die Wut in sich hochkochen, als er dessen Worte gehört und verarbeitet hatte.

      »Einen Mord, verdammt!« Kein Wunder, dass niemand mehr der Polizei vertraute, wenn die sich so unfähig anstellte! Durfte der Mann ihm gegenüber überhaupt schon eine Uniform tragen? »Ich war auf dem Heimweg und habe einen Mord gesehen und hiermit gefilmt. Ich bin Altenpfleger, ich weiß wie der Tod aussieht. Ich bin weder betrunken noch habe ich Drogen genommen, ich bin lediglich hierher gerannt, weil ich Hilfe brauche und Sie...« Aiden holte Luft, ballte eine Hand zur Faust, die andere umklammerte das Handy fester. »Bitte!«

      Officer Larkin ließ sich einen Augenblick Zeit mit seiner Antwort. »Na, dann kommen Sie mal mit«, sagte er und schlug den Weg nach rechts ein. Er öffnete die Tür zu einem Verhörzimmer und wartete, bis Aiden an ihm vorbei getreten war.

      »Also«, begann er und griff sich ein Verhörprotokoll von dem einzigen Schrank im Raum, »was genau haben Sie beobachtet?« Er setzte sich an den Tisch und bedeutete dem Mann sich zu setzen, der sofort Folge leistete.

      »Ich war auf dem Rückweg vom Altersheim zur Bushaltestelle und da bin ich die übliche Abkürzung gegangen. Am Ende der Gasse habe ich ein Rascheln und Röcheln gehört und dann bin ich langsam näher. Da stand ein Mann, groß, breite Schultern, schwarzes Haar und mit einer Narbe auf der Wange. Ich glaube, er hatte auch ein Tattoo, aber deswegen habe ich es ja gefilmt.«

      Aiden schob das Handy jetzt auf den Tisch. »Jedenfalls hielt der einen kleineren Mann fest. Im Schwitzkasten und mit einem Messer in der Hand. Dann ist ein schwarzer Geländewagen gekommen, ohne Kennzeichen. Da saß mindestens ein anderer drin und...« Aidens Gedanken überschlugen sich so wie seine Worte. »Dann hat dieser Typ mit der Narbe dem anderen die Kehle durchgeschnitten und ist in den Wagen gesprungen und dann sind sie weg. Oh und da war ein kleines Päckchen! Das ist dem mit der Narbe aus der Tasche gefallen.«

      Aiden strich sich übers Gesicht. »Hören Sie, ich weiß, das klingt verrückt, aber hier...« Er löste die Bildschirmsperre seines Handys und da war noch das Video, das er gefilmt hatte.

      ***

      Während Louis die Befragung begann, klopfte Anna an die Tür von Detective Sam Wilkins, der innerlich mit den Augen rollte. Fünf Minuten Ruhe. Mehr verlangte er ja gar nicht.

      »Ja?«, fragte er und die Tür öffnete sich. Anna schob den Kopf hindurch.

      »Entschuldigen Sie, Sir. Aber ich dachte, es könnte Sie interessieren. Es kam gerade ein junger Mann herein, der behauptete, er hätte einen Mord beobachtet.«

      Sam senkte die Akte. »Ein Mord an wem?«

      »Louis Larkin befragt ihn gerade.«

      »Louis?«

      Sie nickte. Das konnte ja nur schief gehen. Louis war so engagiert wie er unerfahren war. Sam kämpfte mit sich. Er sollte hier sitzen bleiben, sich in die Akte vertiefen und an diesem Fall weiterarbeiten. Und dennoch brachte ihn etwas dazu, sich zu erheben und sein Hemd zu richten, den Krawattenknoten gerade zu ziehen.

      »Na schön. Ich schau mir das mal an.«

      »Sehr gut.«

      Das Linoleum quietschte leicht unter seinen Füßen als er über den Flur lief. Durch die Scheibe konnte er in den Verhörraum blicken. Louis Larkin saß mit dem Rücken zu ihm. Anders als er selbst trug der junge Polizist eine Uniform. In der Rechten hielt er einen Kugelschreiber und nickte leicht, während sein Gegenüber erzählte und er sich Notizen machte.

      Das war schon der erste Fehler. Beobachte dein


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