Frauenhaltung. Jo Phantasie

Frauenhaltung - Jo Phantasie


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frustrierende Geschichte wurde das und ich war irgendwann so wütend, dass ich dem Autor, Melchior Nocturnus, einen bösen Brief geschrieben habe, allerdings an den Verlag, denn seine Adresse hatte ich nicht. Vier Wochen passierte überhaupt nichts, dann schwenkte Melanie irgendwann beim Abendessen einen Brief herum und schrie, dass ich wohl schwul sein müsste, weil ich mich mit einem Mann treffen wollte.

      Nocturnus hatte endlich geantwortet und trotz aller Proteste meiner Mutter fuhr ich heimlich mit dem Bus in die Stadt, in der er seinen Gastauftritt hatte. Acht Euro Eintritt, seine Hypnoseshow war miserabel, den Mann und die Frau, die er vorführte, hatte ich mit ihm zusammen durch den Hintereingang hereinkommen gesehen. Aber nach der Show empfing er mich: „Es ist mir eine Ehre, mein junger Freund. Ja, ich gebe zu, das Originalpendel aus dem Set hat keine optimale Wirkung, du benötigst ja auch dieses „Enterprise Solution-Pendel“, siehst du hier, das muss richtig blinken, damit der Strahl in die Augen geht und du musst es immer gut putzen und pflegen. 15 Euro! Ein Tipp von mir noch kostenlos dazu: Bewege deine Augen immer im Gegentakt zum Pendel, das gibt dann diese wichtige Tiefenwirkung, und wenn du dann sagst ,Schlaf!´, dann ruckst du mit dem Kopf noch mal kurz nach vorne, dann bist du vollkommen auf der sicheren Seite!“

      Ein flaues Gefühl hatte ich schon im Magen, der Typ hatte nicht so sehr professionell und hypnoseerfahren gewirkt. Trotzdem, jetzt oder nie: „Melanie, guck mal, was ich hier habe und wie das so schön blinkt!“

      Augen im Gegentakt, zehnmal sollten reichen: „Schlaf!“, und den Kopfruck nach vorne, fertig!

      Toll, sie hat die Augen zu!

      So, jetzt mal ran, was will ich überhaupt?

      Ach ja: „Melanie, du wirst jetzt alles machen, was ich dir sage: Erstens, du wirst mich nie wieder ärgern, sondern alles für mich tun, was ich dir befehle. Zweitens: Du wirst mir jeden Morgen mein Müsli anrühren und dann: ,Bitteschön, mein lieber Bruder!´ sagen. Drittens: Du wirst alle meine Bücher, auch die geheimen, jeden Abend wegräumen und in die Truhe legen und mein Zimmer wirst du auch aufräumen. Hast du das alles verstanden?“

      Sie hatte! Meine Eltern und alle in der Schule haben sich gewundert, Melanie zeigte keinerlei Anzeichen einer Überraschung oder Unentschlossenheit, sondern sagte wie selbstverständlich unter dem Stirnrunzeln meiner Mutter: „Bitteschön, mein lieber Bruder!“, und räumte regelmäßig mein Zimmer auf, noch ganze fünf Jahre, bis zu meinem Studium!

      Für mich war damit die Aufgabe des Pendels und des Hypnosebuches erfüllt! Beides verschwand einige Tage später bereits zusammen mit einigen geretteten Seiten des „Schlauen Buches“ in der Truhe und geriet fast zehn Jahre in Vergessenheit.

       *

      Mein Studium im fünften Semester verlief schleppend, es fehlten der Ansporn und auch die Erfolgserlebnisse. Es war auch überhaupt nicht so interessant und lustig, wie ich es aus den Yps Heften gewohnt war und diese blöden Lehrbücher kamen lange nicht an das Format meines „Schlauen Buches“ heran. Meine zweite Freundin Gabi hatte mich als einen „Langweiler“ bezeichnet, wollte heute nur noch kurz ihre Sachen abholen. Nun ja, viel gelaufen war nun wirklich nicht zwischen uns, sie hatte oft diese Worte „Nein!“ und „Nicht!“ benutzt und so hatte ich es des lieben Friedens Willen dann beim gemeinsamen abendlichen Videogucken belassen.

      Hatte ich diese Sachen aus der Truhe damals überhaupt mitgenommen? Gibt es das Pendel noch irgendwo? Bücherkiste? Fehlanzeige! Kleiderschrank, Vitrine? Ist das nicht die alte Vitrine von zu Hause, die hinter der Schublade noch das Geheimversteck hat?

      Wunderbar, Pendel und Buch sind noch da! Was hatte Nocturnus gesagt: „Damit der Strahl in die Augen geht, musst du es immer gut putzen und pflegen!“ Das Teil ist ganz schön angelaufen und matt geworden, nach einer halben Stunde blinkt es aber wieder wie neu.

      Es klingelt, Gabi!

      Noch mal zu Erinnerung: Pendeln, Kopf im Gegentakt, zehnmal, dann den Kopfruck und „Schlaf!“

      Okay, ich weiß es noch.

      „Gabi, ich bin die größte Liebe deines Lebens, du verehrst mich abgöttisch und kannst ohne mich nicht mehr leben!“, das hört sich doch schon mal sehr gut an.

      Was wollte ich noch gleich von ihr? Genau das: „Gabi, du bist so was von scharf auf mich, dass du dir gleich die Klamotten vom Leib reißen wirst und es mit mir treiben willst! Alles, unbedingt alles, was ich möchte und dir befehle, findest du so geil, dass du es sofort machst. Du wirst dabei so scharf werden, dass du laut stöhnst und schreist und mich anbettelst, es dir ordentlich zu besorgen! Verstanden!“

      Das war dann der Beginn meines zweiten Lebens, meiner schönen neuen Welt!

       *

      Studium? Wozu?

      Einen Beruf um Geld zu verdienen? Weltenverbesserer ist jetzt mein Beruf: Ich gebe Menschen eine neue Identität ein, neuartige Veranlagungen, frische Sehnsüchte und feurige Vorlieben. Ich mache sie zu „meine Lieben“!

      Geld kann ich von ihnen haben, soviel ich will, aber das ist überhaupt nicht mehr wichtig.

      Vergleicht mich bitte nicht mit Nocturnus, diesem Scharlatan, an den ich mich nicht mehr erinnern möchte, um nicht an meinen eigenen Fähigkeiten zweifeln zu müssen. Ich bin ein Genie in meinem Metier!

      Anfangs war ich zu arglos, stand schon in einer Bank, bevor mir das mit den Kameras einfiel. Dann machte ich mir ein kleines Heft, mein eigenes „Schlaues Buch“, ein Regelwerk, das ich heute noch befolge und ständig verfeinere: Niemals darf ich mich der Gefahr einer Kameraaufzeichnung aussetzen, keine Banken, öffentliche Plätze, überwachte Gebäude! Niemals Beweise zurücklassen, eigene Aufnahmen oder Aufzeichnungen, die als Beweismittel verwendet werden könnten! Mit diesen einfachen Regeln fing es an und deshalb kann ich mich völlig befreit in jeder Menschenmenge bewegen und meine wichtigen Aufgaben genau dann starten, wenn die Erlaubnisampel „grün“ zeigt.

      Im Moment wohne ich zusammen mit Elisabet in meiner Villa am Starnberger See. Paul, ihren Ex, haben wir ausquartiert, nachdem er mir das Haus überschrieben hatte, natürlich alles ganz einvernehmlich und notariell beglaubigt. Paul hat dafür Gloria, meine letzte Beziehung, übereignet bekommen, auch eine ganz tolle und sexy Frau, aber für mich war es Zeit für Veränderungen. Die beiden leben jetzt glücklich zusammen in meiner alten Stadtvilla in München. Um meine Lieben kümmere ich mich sehr fürsorglich, sie werden jedes Mal so umprogrammiert, dass sie danach zusammen ebenso glücklich sind, wie sie es mit mir vorher waren.

      Priorität eins nach jeder Trennung: Sie gehorchen und vertrauen mir immer noch bedingungslos! Dieser Befehl steht ganz tief in der dritten Ebene eingebrannt, dort im Hypothalamus, im eigentlichen Kernel, wo er ein Leben lang verbleiben kann und mich bislang vor allen Nachstellungen oder Anzeigen bewahrt hat. Für immer bleiben meine Lieben meine besten Freunde, besorgen mir alles, was ich brauche, geben mir das nötige Geld, Wohnungen, ihre Häuser und ihre Frauen sowieso.

      Diese Einvernehmlichkeit, die Zustimmung, ja regelrecht ein Drängeln, dass ich doch etwas von ihnen annehmen möge, das ist ein sehr angenehmer Teil meiner schönen neuen Welt und hat mich bislang vor allen Erbschaftsklagen oder Rückforderungen bewahrt.

      So, jetzt heißt es, wieder an die Arbeit gehen! Mir ist heute nach Frischgemüse, etwas ganz Unverdorbenes, eine, die ich komplett neu aufbauen kann. Auf einem leeren Blatt schreibt es sich einfach viel besser! Systemprogrammierung von der Basis an, so eine Probandin will ich heute finden und ich werde ihr auch ein besseres Leben verschaffen!

      Die richtigen Zeiten und Plätze dafür auszusuchen, das sind meine Grundübungen: Zeitungen, Internet, Internetforen und Chats, Twitter und Facebook. Romanistik hat an der Uni in München einen Frauenanteil von 80 Prozent, jung, hübsch und intelligent, alles, was ich so mag. In etwa einer Stunde enden dort drei verschiedene Seminare.

      Meine Erfolgsquote für das Akquirieren geeigneter Probandinnen liegt bei 20 Prozent. Die Phase eins ist die Induktion, das Erzeugen der Trance, die von den Laien schon als die eigentliche Hypnose angesehen wird, es ist aber nur ein besonderer Tiefschlaf. Das Pendel


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