Mittendrin und am Rande – Lebenserinnerungen eines Vertriebenen. József Wieszt
Einen guten Ruf hatte dieser Maisbrei aber nicht. Irgendwie hatten wir als Kinder das Gefühl, als schämten sich die Erwachsenen, wenn ihre Kinder ausplauderten, sie hätten „Guckrutzmari“ gegessen. Im Frühjahr wurde der Mais spät in Furchen gelegt, etwa fünf Kerne auf einen Schritt. Wenn das Frühjahr feucht war, wuchs er relativ schnell heran und war Ende August schon reif. Dann wurden die Kolben auf dem Feld einzeln vom Stängel gebrochen und zunächst in einen vor den Bauch gebundenen Beutel getan. Dieser Beutel war nicht anderes als ein Kartoffelsack, an dessen vier Ecken ein Seil festgemacht war, die am Rücken verknotet wurden. So entstand der Beutel. Wenn er voll mit Maiskolben war, wurde er auf den Kastenwagen geschüttet.
Die Ladung des vollen Wagens wurde auf dem hinteren Teil des Hofes, der aus gestampftem Lehm bestand und als Tenne diente, zum Nachtrocknen ausgebreitet. Die Kolben mussten noch längere Zeit trocknen, bis wirklich alle Feuchtigkeit aus ihnen heraus war. Um das Trocknen zu beschleunigen, wurde das Stroh des Kolbens hinten gestreift, sodass die goldgelben, in vielen Reihen am Kolben entlanglaufenden Maiskörner frei lagen. War der Mais auf der Tenne so weit getrocknet, dass das Stroh von den Kolben gestreift und abgedreht werden konnte, setzte sich die ganze Familie, Nachbarn und Verwandte zu einem großen Kreis zusammen und erledigten diese Arbeit. Auch die Kinder durften dabei mithelfen, denn sie hatten flinke Finger. Es kam bei diesem Abstreifen des Maisstrohs vom Kolben nicht nur darauf an, die Deckblätter des Kolbens zum Stängel hin nach hinten aufzufächern und abzudrehen. Auch die braunen und unter dem Stroh zum Teil noch grünen Fäden, die aus der Spitze eines jeden Maiskolbens heraushingen, mussten entfernt werden. Gerade diese Fäden, wohl ein Überbleibsel der Blüte waren es, die besonders intensiv rochen. Wenn ich mir heute gelegentlich ein paar Maiskolben vom Acker hole, ist es dieser Geruch, der mich sogleich an die schönen Abende in Perbál erinnert, an denen der Mais geschält wurde. Die Stimmung war in dieser Runde der „Maisschäler“ fröhlich und mit fortschreitender Dunkelheit ausgelassen. Die Erwachsenen tranken Wein bei dieser Arbeit, erzählten Geschichten, sangen fröhliche oder traurige Lieder und hatten gute Laune. Dann freuten wir Kinder uns, denn viel häufiger als solche Eintracht herrschte Streit zwischen den Erwachsenen, der eine gedrückte Stimmung schuf, unter der wir litten. Doch an solchen Abenden herrschte meistens gute Laune und die fabulierenden, singenden Erwachsenen waren „gut drauf“, wie man heute sagen würde, und dachten nicht daran, sich zu streiten, wenngleich auch das vorkam. An den Abenden, an die ich mich erinnere, stritten sie nicht. Im Gegenteil, sie waren sehr bemüht, lustig und mitteilsam zu sein und machten bald Anspielungen, die wir Kinder zwar nicht richtig verstanden, aber wir wussten doch, dass sie sich auf die Beziehungen zwischen den Geschlechtern bezogen, und deshalb waren sie für uns so interessant. Gelegentlich kam es vor, dass ein Mann und ein Weib – so sagt man bei uns – im Hintergrund des Hofes verschwanden und längere Zeit nicht wiederkamen.
Manchmal wurde das Maisstroh nur nach hinten gestreift und Kolben für Kolben zusammengeflochten, bis ein etwa ein Meter langer Zopf entstanden war. An seinem Ende wurde ein kräftiges Seil befestigt und der Zopf wurde unter dem überstehenden Dach vor der Hauswand zum Weitertrocknen aufgehängt. Die meisten Kolben wurden jedoch gänzlich vom Stroh befreit und auf der trockenen Tenne zum weiteren Trocknen ausgebreitet. Wenn der Mais nach ein paar Wochen völlig trocken war, wurden Körner von den Kolben getrennt. Diese Arbeit ging so vor sich, dass sich wieder ein Kreis von Arbeitenden bildete und jeder in der Runde einen Haufen Maiskolben vor sich hatte. Von jedem Kolben mussten die Körner heruntergerebelt werden. Dazu wurde er über eine Schneide gezogen, deren scharfe Seite nach oben zeigte. Sie war auf einem Holzklotz befestigt, den die Erwachsenen zwischen Schenkeln oder Füßen festhielten. Jedes Mal, wenn ein Kolben darüber gezogen wurde, sprangen Körner herunter und fielen auf den Boden. War der Kolben leer, wurde er in die Mitte geworfen. So entstand dort ein Haufen, der ständig größer und größer wurde, während der Haufen vor den im Kreis sitzenden Leuten immer kleiner wurde. Ständig sorgte jemand für Nachschub. Am Ende lag vor jeder/m Arbeitenden ein Berg Maiskörner. Sie wurden zu einem großen Haufen zusammengefegt und später in Säcke gefüllt. War die Arbeit getan, bedankte sich der Großvater bei der versammelten Runde und schickte sie ins Bett. Das war so gegen ein Uhr nachts, und für manch einen war es höchste Zeit, nicht nur, weil er am anderen Morgen um vier wieder aus den Federn musste, sondern weil ihn seine Beine nicht mehr so trugen wie gewöhnlich. Vor allem die Burschen schwankten ihren Stallbetten zu und hatten oft Mühe, die Leiter, die zu ihren Pritschen führte, noch hinaufzuklettern.
Stallbetten
Die Burschen in den ärmeren Familien hatten ihre Betten im Stall bei den Kühen oder Pferden. In Kopfhöhe eines Mannes, oder noch etwas höher, waren dünnere Balken in die Wand eingelassen, auf die Bretter genagelt waren. Sie bildeten das Bett, ein mit Stroh gefüllter Leinenbezug, der Strohsack, war die Matratze. Eine Kolder oder „a Koutzn“, wie man bei uns sagte, diente als Zudecke. Auf dieses Stallbett, „Stoibeittl“, gelangte man durch eine hölzerne Leiter, wie in die Etagenbetten heutiger Kinderzimmer. Diese Art zu übernachten, hatte für die jungen Burschen und Stallknechte durchaus ihre Vorteile. Sie mussten sich die Woche über nicht waschen, hatten es sehr nah zur Arbeit und, das war vielleicht das wichtigste, sie konnten nachts ins Bett klettern, wann sie wollten, ohne dass sie von Eltern oder Dienstherren kontrolliert wurden. Auf den deutschen Dörfern in Ungarn gingen nämlich diejenigen Heranwachsenden, die mangels reicher Eltern sich verdingen mussten, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, „in den Dienst“ bei anderen Leuten. Die Mädchen fanden häufig eine Anstellung in der Stadt (Budapest) als Dienstmädchen, die jungen Burschen arbeiteten bei reicheren Bauern als Knechte oder bei Händlern als Fuhrknechte. Die Handwerker auf den Dörfern beschäftigten auch einige Hilfskräfte, meistens waren das aber ihre heranwachsenden Söhne, die den Betrieb der Eltern einmal übernehmen sollten. Richtige Lohnarbeit war auf den deutschen Dörfern unentwickelt. Sehr verbreitet war sie aber auf den riesigen ungarischen Gütern, zu denen jeweils mehrere Dörfer gehörten, in denen die dort beschäftigten Landarbeiter lebten, um auf den Feldern der Gutsherren zu arbeiten. Geld wurde an diese Landarbeiter aber nur selten ausgezahlt. Sie erhielten regelmäßig Deputate, also Holz, Nahrungsmittel, Kleidung, und andere Waren aus den Kaufläden der Gutsbesitzer und eben einen Platz zum Schlafen. Weil sie stets mehr verbrauchten, als ihnen die Verwalter an Lohn gutschrieben, waren sie ständig in der Schuldknechtschaft ihrer Herren. Sie konnten von einen Gut nur wegziehen, wenn sie in der Lage waren, die geschuldete Ablösesumme auf den Tisch des Verwalters zu legen. Dazu war aber kaum einer in der Lage. So lebten sie dann auch noch zur Zeit meiner Kindheit in Ungarn in einer Art Leibeigenschaft, die formell schon fast ein Jahrhundert lang abgeschafft war. Der Schriftsteller Gyula Ilyés hat in seinem Buch „Die Puszta“18 ausführlich über diese Form der Knechtschaft geschrieben. Es ist eines der besten zur sozialen Lage auf dem Lande in Ungarn überhaupt. Puszta hieß nicht nur die Landschaft in der ungarischen Tiefebene, sondern auch ein Gutshaus mit dem dazu gehörenden Gesinde.
Baden in Perbál
Eine Badeanstalt gab es in Perbál nicht, auch keinen Teich, in dem man baden konnte. An Sonntagen, denn an Wochentagen waren auch die Kinder mit auf den Feldern, die jungen Burschen ab zwölf Jahren ohnehin – an Sonntagen im Sommer gingen wir Kinder und die größeren Jungen zum Baden in den „Schlauch“. Es war ein Stauwehr in einem größeren Bach, der unter dicken Maulbeerbäumen zur Mühle floss. Dort badeten wir. Es lag in dichtem Schatten, und an den heißen Sommertagen war es hier angenehm kühl. Dass „wir Kinder“ dorthin zum Baden gingen, ist eine leichte Übertreibung. Zumindest solange die Größeren dort waren, hatten die Kleinen keine Gelegenheit, ins Wasser zu kommen. Dafür war es viel zu klein, und das Getümmel war so groß, dass wir uns nicht hinein trauten.
Badehosen oder -anzüge hatten wir nicht. Wie erwähnt hatten die kleineren Kinder im Sommer ohnehin nur ein Röckchen an, Jungen wie Mädchen oder „Buem“ und „Maaln“, wie es in unserem Dialekt heißt. Unterhosen, Strümpfe und Schuhe trugen wir nur, wenn wir in die Kirche mitgenommen wurden oder bei Besuchen. Wenn wir Kleinen ins Wasser gingen, waren wir nackt. Die jungen Burschen banden sich ihre Schürze vor den nackten Körper. Dieses „Fiedde“ wurde zwischen den Beinen hindurchgezogen und hinten am Rücken am Band der Schürze festgebunden.
Damit war alles zugedeckt, was versteckt werden sollte. Allerdings war auch der Latz der Schürze vor der Brust heruntergelassen und irgendwie auch in der Mitte befestigt, sodass