Mittendrin und am Rande – Lebenserinnerungen eines Vertriebenen. József Wieszt
es war kaum vorstellbar, dass sie am Sonntagnachmittag im Wasser herumtollten. Die kleineren Mädchen liefen wie die Jungen splitternackt in unserem Bad herum.
Das gestaute Wasser ging den größeren Jungen bis an die Brust. Schwimmen hätte man können, aber das Gedränge war so groß, das kaum einer dazu kam. Richtig gelernt hat kaum einer das Schwimmen, zumindest nicht im „Schlauch“. Die Hauptsache bei dem Baden war, dass die größeren Kinder und die jungen Burschen vom Ufer oder von den Aufbauten der Staustufe – das waren dicke Balken, die wie ein Tor über dem Graben standen und von denen Bretter an Ketten heruntergelassen wurden, die das Wasser aufhielten – von dort herunter ins Wasser sprangen. Das geschah unter lautem Geschrei, Gebrüll und Gelächter.
Wir Minigaffer am Rand wurden durch das Geplansche oder absichtlich von denen, die im Wasser waren, nass gespritzt. Das war unser Baden. Aber es war nicht langweilig für uns. Im Gegenteil: Wir nahmen großen Anteil an dem Treiben der Größeren. Auch hatten wir unsere Favoriten unter ihnen, und wenn sie bei dem Gerangel und den sonstigen Revierkämpfen, die junge Burschen dort austrugen, obsiegten, freuten wir ins mit ihnen.
Informativ waren diese Badetage für uns Kleine auch dadurch, dass ab und zu ein kleines Malheur passierte und im Eifer des Getümmels die improvisierte Badehose eines jungen Burschen herunterrutschte. Wenngleich dieser eifrig bemüht war, das Missgeschick schnell zu beheben, so konnten wir doch zur Genüge sehen, was uns da unten später wachsen würde. Wenn es die Großen auf einen besonders abgesehen hatten, lösten sie ihm öfter das Schürzenband und machten ihn nackt, was immer zu einem schlagartigen Anstieg des Geschreis und Gelächters führte.
Auch über das andere Geschlecht, meistens nur in Zwergausgabe vertreten, erfuhren wir an diesen Tagen manches, denn die größeren Jungs wussten davon schon etwas zu erzählen und prahlten nicht selten mit ihrem Wissen. Gelegentlich lief doch eines der größeren Mädchen von zu Hause weg und kam zu dem Badevergnügen hinzu. Es dauerte dann meist nicht lange, und es lag im Wasser. Neugierig begutachteten dann alle ihre knospenden Formen, die durch das nasse Hemd oder durch die Bluse deutlich zu sehen waren. Auch die Versuche der großen Jungen, die Mädchen an den interessanten Stellen anzufassen, blieben uns Kleinen nicht verborgen. So waren diese Badetage für uns ein früher Aufklärungsunterricht im Freien. Vieles davon wussten wir aber schon, waren wir doch öfter Zeugen, wenn sich die Mutter oder ihre unverheirateten jüngeren Schwestern wuschen oder auszogen und badeten.
Die beduselten Gänse
Ich sagte schon, dass wir im Schatten von Maulbeerbäumen badeten. Sie standen rechts und links von dem Weg, der an dem Bach entlangführte. Die Maulbeeren, mit deren Laub die Seidenraupen gefüttert werden, haben sehr wohlschmeckende blaue oder weiße, d.h. blaurote oder blassgrüne Früchte. Bei uns in Perbál wuchsen die roten. Immer wenn die Maulbeeren im Sommer reif wurden, aßen wir Kinder uns dick und rund mit den reifen Beeren, die wie in die Länge gezogene Brombeeren aussehen und auch ein bisschen wie halb reife Brombeeren schmecken.
Wenn die Früchte überreif sind, schmecken sie sehr süß. Sie fallen dann von den Bäumen herunter. Der Weg unter den Bäumen war dann übersät mit diesen zuckersüßen Früchten, deren Flecken übrigens nur sehr schwer zu entfernen sind.
Ich habe das später in China erfahren, wo ich in meiner Begeisterung, wieder Maulbeeren essen zu können, jede Gelegenheit nutzte, die Früchte von den Bäumen zu pflücken. Dabei fiel mir eine überreife Beere auf die Schulter meiner Sommerjacke, die ich dann die ganze Reise über mit einem Tupfer herumtrug, wie ein halber General sozusagen, denn die andere Schulter hatte ja keinen Maulbeer-Generalsstern. Aber zurück nach Perbál.
Selbstverständlich fraßen auch die Gänse gern Maulbeeren. Sie wussten genau, wann die Früchte auf die Erde fielen, und machten sich zielsicher auf, um sie zu verspeisen. Wie Gänse das eben machen, marschierten sie eine hinter der anderen, im Gänsemarsch, unter die Maulbeerbäume. Dort löste sich ihre paramilitärische Formation auf und sie fraßen sich den Bauch voll mit köstlichen überreifen Maulbeeren. Nun gab es dabei aber ein Problem. Bei der großen Hitze der ungarischen Sommer lagen die Früchte nicht nur so einfach auf dem Boden herum, sondern mit ihnen passierte etwas: Sie fingen bald an zu gären. Durch Gärung entsteht Alkohol und die braven Gänse waren nach ihrem Festfressen nicht nur dick und rund und satt, sie waren auch ein bisschen besoffen. Manche etwas mehr, manche etwas weniger, wie bei den Menschen auch. Die eine verträgt etwas mehr, der andere etwas weniger. Und da lag genau das Problem.
Bekannt ist, dass eine Gänseherde immer von einer erfahrenen Altgans angeführt wird. Sie hat das absolute Kommando über die anderen. Sie hatte aber auch schon öfter eine Maulbeerfête mitgemacht und wusste um die Wirkungen dieses köstlichen Essens. Vielleicht vertrug sie aber auch mehr als die anderen. Sie war also, als sie zum Abmarsch trompetete, noch relativ nüchtern. Ihre Gefährtinnen aber und auch die Jungtiere, bei denen selbstverständlich auch halbstarke Gänseriche waren, die besonders viel gefressen hatten, dieses Gefolge also war ziemlich besoffen. Aber Befehl ist Befehl. Die Tiere ordneten sich also in Reih und Glied entsprechend der Gänserangordnung ein und marschierten los.
Um aber ehrlich zu sein, marschieren konnte man das nicht mehr nennen, und mit der Reihe war es auch nicht weit her. Was uns Kindern da entgegenkam, war vielmehr ein torkelnder Gänsewurm, eine weiße Schlangenlinie, die krampfhaft versuchte, die Form zu wahren und als Gänsemarsch zu erscheinen. Das stolperte und wackelte dahin, mal fiel eine nach vorne, mal nach hinten, mal schubste man die Vordergans, mal wurde eine geschubst.
So entstanden Lücken in der Reihe, die die kleinen Saufbolde dann schnell wieder schließen wollten, wobei sie nicht selten ausrutschten und zwischen die anderen hinein purzelten, so dass die Gänseordnung noch mehr durcheinander kam. Sie schimpften und zeterten dann miteinander und behackten sich mit ihren Schnäbeln, aber keine Angst, ernsthaft wehgetan haben sie sich dabei nicht. Dafür waren sie nicht mehr zielsicher genug.
Es waren jedenfalls lustiges Völkchen, die da mehrmals am Tage ins Dorf zurückwanderten, noch lauter und geschwätziger als Gänse ohnehin sind und uns Kindern schien es, dass sie sogar lauthals lustige Lieder sangen, oder besser grölten. Aber, ich kann mich da auch täuschen. Ich war damals ja noch sehr klein, und es ist ja auch schon lange her.
Die Gänse waren sonst nicht so friedliche Tiere, wie sie hier bisher erscheinen. Ich kann sogar sagen, dass sie damals zu meinen Feinden gehörten. Eine zu große Annäherung an sie konnte für uns Kinder – ich erzähle hier ja von einer Zeit, in der ich drei bis vier Jahre alt war – mitunter sogar gefährlich werden. So schien es uns zumindest damals. Es ist ja so, dass eine hoch aufgerichtete, erwachsene Gans größer ist als ein vierjähriger Knirps, dass sie einen harten Schnabel hat und kräftige breite Flügel, mit denen sie harte Schläge austeilen kann.
Die kleinen Gänsekinder übten auf uns Kinder eine große Anziehungskraft aus. Sie waren so schön kuschelig und weich und sprachen mit angenehmen Gänselauten miteinander. So war es nur verständlich, dass wir die Gänschen auf den Arm nahmen und uns ihr weiches Flaumgefieder an die Wangen drückten. Dann aber riefen die Kleinen nach ihrer Mutter, weil ihnen das ungewohnt war, und weil sie sich vielleicht auch vor uns fürchteten, obwohl wir doch selbst noch so klein waren. Aus der Sicht dieser Küken waren wir natürlich Riesen, und vielleicht waren wir auch noch sehr ungeschickt und fassten diese zarten Wesen viel härter an, als es gut war. Jedenfalls riefen sie nach ihrer Mutter, die dann auch prompt zur Stelle war, aber wie! Sie streckte den Hals weit vor und zischte uns so gefährlich an, dass wir die Gänschen gleich wieder auf den Boden setzten und flüchteten. Heute weiß ich, dass das nur eine Drohgebärde war. Aber heute ist heute, und damals war damals.
Noch bedrohlicher oder gefährlicher war für uns Kinder der Gänserich. Wenn wir an einer Gänseherde vorbeikamen, war höchste Wachsamkeit geboten. Gänse grasen immer in Gemeinschaft, in einer richtigen Herde. Und zu einer solchen Herde gehörte bei uns im Dorf immer auch ein Gänserich.
Vor dem hatte ich große Angst. Immer wenn wir Gänseherden begegneten, machten wir Kinder uns aus dem Staub. Oft waren wir aber nicht schnell genug. Dann kam der Gänserich mit weit vorgestreckten Hals hinter uns hergerannt und stieß ein fürchterliches Zischen aus. Wenn wir ihn nicht entkommen konnten, biss er uns in die Waden oder, schlimmer, flog uns auf den Rücken, biss uns in