Der verbotene Park. Hubertus von Wick

Der verbotene Park - Hubertus von Wick


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      Damit zog er, so kräftig er konnte, seinen Freund in die Höhe, bis der sich am Gitter mit beiden Händen festhalten konnte. Während Tobias versuchte, mit den Füßen an der Hauswand Halt zu finden und sich hochzudrücken, schwang sich Philipp auf das Satteldach und machte das Gitter frei. Tobias rechter Fuß hakte sich im Gitter ein, sodass er sich weiter nach oben ziehen konnte. Keuchend schwang er sich zu Philipp aufs Dach, wo sie sich flach auf die stark ramponierte Dachfläche legten und vorsichtig über die Steinblende spähten, mit der man die ganze Giebelfront eingefasst hatte, sodass jemand, der vor der Gruft stand, das Dach von vorn gar nicht sehen konnte.

      „Tatsächlich ein Friedhof“, stellte Philipp fest. „Von hier oben sieht man noch die alten Wege durch das Unkraut schimmern. Ist mir unten gar nicht aufgefallen. Ist ja der reinste Urwald.“

      Ein kühler Windhauch streifte die beiden verschwitzten Jungen, was sie als sehr angenehm empfanden. Im Westen verfärbte sich die Sonne und schickte sich an, unterzugehen.

      Tobias schaute auf seine Armbanduhr. „Wir sollten den Rückzug antreten“, schlug er vor, „bis wir über die Mauer sind, wird auch noch eine ganze Zeit vergehen. Hier haben wir, glaube ich, alles gesehen.“

      „Denkste!“, wehrte Philipp ab. „Auf der anderen Seite des Daches ist ein ziemlich großes Loch. Lass uns mal hindurchgucken, ob irgendetwas zu sehen ist.“

      Sie rutschten über den Giebel auf die andere Seite des Daches und schoben sich vorsichtig an den Rand des Loches.

      Einige Sonnenstrahlen fielen schräg von vorn durch den Eingangsbereich und beleuchteten den Vorraum der Gruft mit schummrigem Licht.

      „Mensch, sieh mal“, sagte Tobias aufgeregt. „Da in der Säulenhalle, im Eingangsbereich, geht ja eine kleine Treppe nach unten zu einer Tür!“

      „Lass uns runterklettern und mal nachsehen, ob man die Tür öffnen kann“, schlug Philipp vor, der in diesem Moment nicht weniger aufgeregt war als Tobias.

      „Meinst du, wir kommen unentdeckt durch die Halle?“, fragte Tobias zweifelnd.

      „Wird sich finden“, sagte Philipp.

      „Und wenn da Särge im Raum stehen?“

      „Wird sich auch finden“, wiederholte Philipp und zuckte mit den Schultern.

      Sie wollten sich gerade erheben, als Tobias seinen Freund festhielt und mit einem Ruck herunterdrückte.

      „Achtung, da ist jemand!“, zischte er Philipp zu.

      Erschrocken hielten sie die Luft an. Etwa fünfzig Meter vor ihnen sahen sie eine Gestalt, die sich durch Unkraut und Gestrüpp arbeitete und sich ab und zu dabei zur Erde beugte, als würde sie Steine aufsammeln. Die Gestalt hatte einen langen, dunklen Mantel an, der offen um sie herumwehte.

      „Ein Mann“, flüsterte Philipp.

      „Ich glaube auch“, erwiderte Tobias leise, „aber was macht er da?“

      „Keine Ahnung. Sieht so aus, als suchte er etwas.“

      „Was machen wir, wenn er näherkommt?“ Philipp sah seinen Freund besorgt an.

      „Liegenbleiben. Hier oben vermutet uns keiner.“ Tobias hoffte, dass er recht behalten würde.

      Tatsächlich entfernte sich der Mann nach einiger Zeit, die den Jungen wie eine Ewigkeit vorkam.

      „Wir hauen ab“, schlug Philipp vor und ließ sich langsam zur Seite die Dachfläche hinuntergleiten. Am Rande des Daches drehte er sich auf den Bauch und ließ sich die zwei Meter von der Dachkante zum Boden herunterfallen. Tobias rutschte auf gleichem Wege hinterher und war froh, als er unbeschadet unten gelandet war. Im Schutze der Gruft verschwanden sie in das rückwärtige Gestrüpp und hockten sich nieder.

      Sie wagten kaum zu atmen und horchten in das Gelände hinein, ob ihnen vielleicht jemand gefolgt sei. Tobias gab Philipp einen Wink, weiterzulaufen, aber gerade, als sie sich erhoben hatten, hielt Philipp ihn zurück.

      „Verdammt, ein Hund“, stieß er aus und zeigte zur Gruft zurück.

      Ein großes, schwarzes Tier stöberte im Bereich der Gruft herum, bog dann um die Ecke und kam direkt auf sie zu.

      „Ach du Schande“, sagte Tobias atemlos und wollte gerade loslaufen, als Philipp ihn erneut festhielt.

      „Stehen bleiben“, zischte er. „Ruhig stehen bleiben, er hat uns noch nicht gesehen.“

      Beide legten die Arme an den Körper und hielten den Atem an. Ihre Gesichter zeigten starr nach vorn, und keiner von beiden wagte es, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.

      Tatsächlich lief der Hund gute sechs Meter an ihnen vorbei, als ein gellender Pfiff aus dem vorderen Bereich des Geländes ertönte. Der Hund reagierte sofort. Er dreht auf dem Absatz um und lief ein zweites Mal an den im dichten Gestrüpp stehenden Jungen vorbei, um nach kurzer Zeit im Unterholz zu verschwinden.

      Tobias atmete hörbar aus.

      „Uff, das war knapp. Wieso warst du so sicher, dass er uns nicht sehen würde?“

      „Ich bin mir jedenfalls ganz sicher, dass er uns entdeckt hätte, wenn wir wie zwei Verrückte vor ihm her durch das Unterholz gerannt wären.“

      „Mann, deine Nerven möchte ich haben“, sagte Tobias anerkennend.

      „Soll ich dir etwas verraten? Ich hätte mir vor Schiss beinahe in die Hose gemacht.“

      Tobias sah seinen Freund bewundernd an. Er hatte noch nicht viele Jungen kennengelernt, die zugeben konnten, dass sie auch mal Angst hatten. Dass Philipp es ihm gegenüber zugegeben hatte, wertete er als Beweis seiner Freundschaft.

      „Lass uns abhauen“, sagte er nach einem prüfenden Blick in Richtung Gruft. „Es wird schummrig, und wir müssen noch über die Mauer.“

      Die Mauer war schnell und ohne Zwischenfälle erreicht. Es war die gleiche Stelle, an der sie vorhin von außen herübergeklettert waren. Nun standen sie vor dem Problem, hinaufzukommen.

      „Räuberleiter“, sagte Philipp, als ginge es um das Alltäglichste der Welt.

      Dieses Mal stellte er sich selbst vor die Mauer, aber Tobias konnte den Rand der Mauerkrone nicht erreichen.

      „Stell dich auf meine Schulter“, sagte Philipp gepresst. Er kam langsam aus der Puste.

      Tobias stellte seinen rechten Fuß auf Philipps linke Schulter und drückte sich langsam hoch, mit den Fingern die Mauer hinauftastend.

      „Ich kann den oberen Rand erreichen“, meldete er. „Ich finde aber nichts, um mich festzuhalten. Es fehlen zwanzig Zentimeter.“

      „Kannst du diesen verdammten Ast da oben nicht zu fassen kriegen?“, keuchte Philipp.

      „Unmöglich. Der hängt ja noch ein Stück höher über der Mauer!“

      „Dann komm runter. Ich kann dich nicht mehr halten!“

      Tobias sprang von seiner Schulter, und beide ließen sich ins Gras fallen.

      „Jetzt fehlt nur noch, dass der Köter hier auftaucht“, schnaufte Tobias. „Ich wusste gleich, dass wir da so leicht nicht wieder hinaufkommen.“

      „Wir müssen irgendetwas finden, das etwa zwanzig Zentimeter dick ist“, stellte Philipp fest“, dann haben wir einen Sockel, auf den wir uns draufstellen können.“

      „Ich hab’s“, rief Tobias aus. „Wir nehmen einen Grabstein! Die liegen doch hier überall herum.“

      „Wir können es versuchen“, stimmte Philipp zu, „aber ich glaube, die sind tonnenschwer.“

      Sie gingen auf die Suche und mussten ein ganzes Stück in Richtung Gruft zurückgehen, ehe sie eine alte Grabplatte fanden. Beiden war nicht wohl in ihrer Haut, schon wieder so weit in das Gelände vorgedrungen zu sein. Sie wussten, dass sie nicht allein waren.


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