Tagebuch aus der Okkupationszeit der britischen Kanalinseln. Hans Max Freiherr von Aufseß

Tagebuch aus der Okkupationszeit der britischen Kanalinseln - Hans Max Freiherr von Aufseß


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       Lucy Schwob (Pseudonym Claude Cahun) und Suzanne Malherbe (Marcel Moore)

      Politisch lässt sich Hans Max von Aufseß in den Tagebüchern nicht eindeutig fassen. An zahlreichen Stellen äußert er sich deutlich gegen den Nationalsozialismus, ohne mehr als ästhetische oder habituelle Gründe gegen die Borniertheit, mangelnde Einsichtsfähigkeit und Vulgarität seiner Vertreter anzuführen. Das Schicksal der jüdischen Bevölkerung ist ihm ebenso gleichgültig wie jenes der Zwangsarbeiter, die in den Tagebüchern kaum Erwähnung finden.

      Dem Adeligen von Aufseß ist in den Tagebüchern jedoch nicht nur der Nationalsozialismus zuwider. Demokratie, Liberalismus und ›Bolschewismus‹ werden nicht minder stark abgelehnt. Die Zerstörung der Heimat durch den Krieg sieht von Aufseß mit Wut und Trauer. Dass er am Untergang des »Deutschen Reichs« seinen eigenen Anteil als Offizier einer aggressiven Angriffsarmee trägt, thematisiert der Freiherr nicht. Schuld am deutschen Unglück haben bei ihm die ›Nazis‹, die immer nur die anderen sind. Diese Aussagen im Tagebuch korrelieren keineswegs mit jenen, die von Aufseß in Briefen oder Vorträgen trifft, und welche durchaus eine schon gezeigte Identifikation mit den deutschen Kriegszielen deutlich machen.

      Wenn von Aufseß nicht über die Insel reitet, Vögel oder schöne Frauen beobachtet, liest, sich mit Kameraden oder Inselbewohnern von Stand zu Gesprächen, mit Inselbewohnerinnen zu Flirts und mehr trifft, muss er auch noch gearbeitet haben. Das Tagebuch vermittelt kein konkretes Bild über diese Arbeit und vor allem über die Kompetenzen des Schreibers. Das meiste, was von Aufseß dem Tagebuch über seine Arbeit als Leiter der Zivilverwaltung auf den Inseln anvertraut, zielt in eine eindeutige Richtung: Hans Max von Aufseß moderiert im Sinne eines menschlichen und erträglichen Besatzungsregimes. An manchen Stellen vermittelt das Tagebuch den Eindruck, nur dem Freiherrn und seinem maßvollen Temperament sei es zu verdanken, dass auf den Inseln eine NS-Terrorherrschaft vermieden werden konnte. Dass diese auf Alderney sehr wohl bestand, ist nicht Thema der Tagebücher. Großen Raum nehmen die Versorgungsfrage ab 1944 und die Kontakte zum Internationalen Roten Kreuz ein. Bei diesen Themen erscheint der Freiherr im Spiegel des Tagebuches als Mann von Courage und Durchsetzungskraft.

      Nach der Festnahme seiner Frau stellt sich von Aufseß in den Tagebüchern als politisch Verfolgter dar, was sicherlich als Übertreibung bezeichnet werden muss. Tatsächliche Gegner des Nationalsozialismus wurden unabhängig von den äußeren Umständen liquidiert. Auch auf einer abgeschnittenen Kanalinsel wäre dies nicht weiter schwierig geworden. Dass Vizeadmiral Hüffmeier ihn nach Guernsey versetzt, mag Ausdruck von Zweifeln an der hundertprozentigen Zuverlässigkeit des Freiherrn und Unwillen über dessen kritische Haltung gewesen sein. Wie von Aufseß dies in den Tagebucheinträgen als eine Art lebensgefährdende Strafversetzung eines politischen Widerständlers darstellen möchte, wirkt jedoch stark übertrieben.

      Liest man die Tagebücher nicht als authentische Quelle zur Geschichte der deutschen Okkupation der Kanalinseln, sondern als Psychogramm eines deutschen Offiziers von Adel in einer für den Zweiten Weltkrieg ungewöhnlichen Besatzungssituation, versteht man dabei die Einträge als Ausdruck von Literarisierung des Geschehens und Stilisierung der Person, kann die vorliegende Edition interessante und aufschlussreiche Einblicke verschaffen. Von Aufseß ist – trotz der von Mière geschilderten Szene – insgesamt alles andere als ein typischer fanatisiert-brutaler ›Klischee-Nazi‹. Er ist im Gegenteil mitfühlend, gebildet, verfügt meist über gute Umgangsformen und gesteht sich sogar eigene Schwächen ein. Trotzdem ist er in dem Sinne ein ›Nazi‹, als er unleugbar ein Besatzer ist, der sich im Rahmen eines völkerrechtswidrigen Angriffs- und Vernichtungskriegs auf den Kanalinseln befindet. Kein Deutscher, unabhängig von Nähe oder Distanz zum nationalsozialistischen Regime oder von seinen persönlichen Eigenschaften, hatte zwischen 1940 bis 1945 das Recht, Menschen zu deportieren, in Zwangsarbeit zu versklaven oder hinzurichten – auch Hans Max von Aufseß nicht, der ein Teil jenes Systems war, in dem diese Verbrechen begangen wurden. Ob er dabei persönliche Schuld auf sich geladen hat, ist zwar in Bezug auf ihn bedeutsam, nicht aber im Blick auf das große Ganze eines von Deutschland entfesselten Weltkriegs, der 40 Millionen Menschen das Leben kosten sollte.

      Das Wissen um seine Entwicklung im Kriegsgefangenenlager und sein späteres Bemühen bei der Demokratisierung seiner Landsleute lassen den heutigen Leser bei aller Distanz vielleicht dennoch mit einer gewissen Milde auf die Tagebuchnotizen des Freiherrn Hans Max von und zu Aufseß schauen.

       Zur Überlieferung und Edition der Tagebücher


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