Tagebuch aus der Okkupationszeit der britischen Kanalinseln. Hans Max Freiherr von Aufseß

Tagebuch aus der Okkupationszeit der britischen Kanalinseln - Hans Max Freiherr von Aufseß


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sich somit ein doppelter Genuß an dem, was einer an sich selbst hat, und an dem, was einer vorstellt für andere.81 So habe ich mich in der eigenen Bewegungslust u. Freude am Pferd und in der Vorstellung eines kühnen Reiters der anderen ausgelebt.)

      Auf den herrlichen tiefblauen Nachmittag folgte ein ebenso wunderbarer Abend. Ich [59] besuchte in meinem zweiten Bungalow das dem jungen englischen Paar geliehene Häuschen. Spielte seit langem einmal wieder Violine, brachte Tim herrliche Knochen eines rabbit mit und kehrte müd und ausgebrannt von Sonne schließlich an mein Abendfenster im Büro zurück. Es war eine selten schöne letzte Abendstimmung mit tiefroten Wolken. An diesem Abend ist in St. Malo drüben der letzte Widerstand erloschen.

      14. 08. [1944]

      Wenn man an die Lieben zu Hause denkt – und wie oft geht einem das in der weiten Abgeschnittenheit jetzt – so entdeckt man, wie sehr zu ihnen allen ein Stück Landschaft und Natur [60] gehört, was wir Deutschen für ein naturverbundenes Volk sind. Mama gehört in eine Enge überreich blühender Gärten. Ein Blumenparadies darf nicht weit sein. Es muß geschützt vor Winden, von Mauern und Hecken umgeben die Blumen in ihrer kleinen Welt mit ganzer Pracht aufleuchten lassen. Der Garten in Oberaufseß entspricht in seiner Abgeschlossenheit von Mauern und hohen Bäumen weitgehend diesem Bild. Es entsteht dadurch das Glück einer Weltabgeschlossenheit und innigen Freude am Kleinen und einer höheren Empfindlichkeit gegen alles von Außen Kommende. Wie anders dagegen meine Frau. Sie liebt die Weite, den Anstieg [61] auf hohe Berge, das Liegen vor weiter Sonne, den weiten großzügigen Park. All dies macht ein Stück ihres eigenen feinen Wesens aus und es hat so unendlich viel des Schönen, Großen, Kühnen und wieder des Lieblichen und des Vielseitigen darin seinen rechten Platz. Zu Herbert82 gehört das kleine pfälzische Städtchen mit seinem Selbstbewußtsein und engem wohlgehüteten Stolz. Ich bin überall da zu Hause, wo alte kraftstrotzende Bäume wachsen können und sie ihre starke Persönlichkeit vor den lichten Himmel stellen.

      Die Nacht war sehr unruhig. Ein Geleit nach Gy83 muß in eine Seeschlacht verwick- [62] elt worden sein84. Alle Lazarette sind schon mit Verwundeten aus St. Malo gefüllt.85 Flieger flogen so tief über uns, daß ich den Atem anhielt, ob nicht etwas geschähe und sie im nächsten Augenblick in den Hausgiebel hineinschössen. Es waren ausnahmsweise einmal wieder deutsche und sie haben die Nachschubwege der Amerikaner bombardiert.

      15. 8. [1944]

      Ein Buch Churchills über seine großen Zeitgenossen in die Hand bekommen.86 Zuerst das Kapitel über Hitler gelesen, das im Jahr 1935 abgeschlossen ist. Ich habe mir mehr persönliche Kritik erwartet, während das Buch Hitler in die ablaufenden Geschehnisse hineinstellt und daraus allgemeine Schlüsse zieht. Ich neige zu der Ansicht, daß die Persönlichkeit H’s. [63] als Thema zu einem Buch gar nicht so anziehend sein kann, nicht entfernt wie die Napoleons oder gar Bismarck. Es fehlt in seinem Leben zu sehr das Private. Seine Eigenschaften sind weniger kompliziert und vielseitig, als vielmehr plump, ungeistig, einseitig, ausgerichtet und von Willensenergien wie von hartangezogenen Federn geglättet. Es wird vielmehr die Zeit selbst um ihn sein, die interessiert. Sie hat ihn einmal gerufen. Sie forderte den dynamischsten aller Menschen heraus, um den verfahrenen Karren herauszuziehen. Wenn aber die wilde Kraft nicht einhält, immer weiter zerrt und sich nicht wandelt, so muß sie anecken und schließlich zu- [64] grunde gehen.87 »Nur wer sich wandeln kann, dem gehört die Zukunft« sagt einmal Stefan George88. Das aber kann Hitler nicht. Er bleibt maßlos in seinem Glauben und Wollen. Er opfert damit von Stalingrad begonnen eine Armee und Division nach der anderen dahin.89 Auch wir hier in unsrer fatalen Lage auf der weitum abgeschnittenen Insel sind ein Opfer dieses Sichnichtwandelnkönnens, dieses Starrsinns und der zu späten Einsichten.

      Zu starkes Wollen, sich nicht Bescheidenkönnen das ist aber weder weise noch christlich und es steht nur einem Halbgott und einer königlichen Figur zu, wie sie der junge Alexander90 im höch- [65] sten Maß war. Sie steht nicht einem Emporkömmling, dem Weltkriegsgefreiten und dem Anstreicher aus Böhmen91, so viel fatale Zauberkraft auch in seiner Persönlichkeit liegt.

      Französisches Buch über Histoires drôlatres von Monfigny92 gelesen. Leichtestes erotisches Geplauder mit erdachtem und gestelltem Ausgang. Erinnert an Boccaccio93.

      Vom Bathing Pool bis zu meinem Bungalow geschwommen. Weit im Meer draußen gegen leichten Ostwind, der kurze Wellen in das Gesicht schlug. Angenehmes Vertrauen auf Körperkraft im weiten Element [66] draußen.

      Kinder bauen Sandburgen vor das hereinkommende Meer, die von Wasser bestürmt und schließlich zerstört werden. Am aufregendsten der Augenblick, in dem die Sanddämme noch halten und man bereits in einer trockenen Insel im Meer rings steht.

      Schwerstes Bombardement auf St. Malo. Die Insel zittert wie von Erdbeben. Erstaunlich langer Widerstand in dieser Hölle.

      Heute 2te Invasion in Südfrankreich.94 Man ist gar nicht mehr entsprechend beeindruckt. Das allge- [67] meine Zurück und Abwärts schon zur Gewohnheit geworden.

      Polizeibesprechung, mit untergeordneten Problemen zeigt Friedlichkeit auf dieser Insel und rechtfertigt mich innerlich, daß alle überreizte Provozierung wegen Lappalien nicht am Platze ist. Besprechung mit Bailiff über Lichteinschränkung, Austausch von ziv. Schlachtpferden gegen bessere Truppenpferde usw.

      16. 8. [1944]

      In Sof95 Wölcken96 steht ein klares Beispiel des Intellektuellen vor mir. Er ist sehr belesen und beschlagen auf allen Gebieten. Hat überviele Ansichten, aber kein Urteil. Sein Verstand gleicht einer ausgezeichne- [68] ten Spieldose, die oben auf seinem unbeteiligten Körper sitzt. Es ist keinerlei Verbindung zwischen Verstand und Gefühl, wo doch nur beide im ständigen Kampf untereinander die Persönlichkeit bilden. Physiognomisch und körperbaucharakterlich drückt sich das gleich aus. Eine hohe Stirn, ziemlich uninteressant gewölbt. Ihre Spannung liegt über der Nasenwurzel und den scharfbebrillten Augen. Betonung also auf dem kritischen, beobachtenden, nicht schöpferischen, philosophischen Denken. Die Backen sind kindlich dick gefüllt, ein Zeichen für mangelnde seelische Durchlebtheit. Der Körper, der an sich wohl gebaut ist, hat [69] völlig schlaksige unharmonische Bewegungen. Auch er ist von nichts Geistigem oder Persönlichem angehalten oder geführt. Seine Neigung ist Büchersammeln. Sein Verhältnis zum Buch ist stärker als zu allem Lebenden, wie zu Frauen, Hunden oder Natur. Seiner Freundin, die seine starke Eitelkeit befriedigt, liest er am liebsten Bücherstellen vor, natürlich nur englische, denn zu seiner nun mal etwas charakterlosen Art gehört es, daß er restlos in das gegnerische englische Lager gehört und im Grunde nur alles Englische bewundert und das Deutsche verachtet. Da wir [70] ihm dies vielfach vorgehalten haben, hat er eine aus seinem Mund paradox klingende Dialektik entwickelt, die ihn immer gleichsam als Deutschfreund beweisen soll. Er ist kein durchhaltender Arbeiter, hat oft schon den Beruf gewechselt und war nach einem Jahr in Schottland als Lektor zuletzt Buchhändler in München. Seine Dinge sind ausgeklügelt und übergescheit. Dabei ist nicht zu verkennen, daß manchmal auch sehr Gutes herauskommt. Seine geistige Beweglichkeit hebt die Dinge gleichsam auf verschiedene Stühle und läßt sie von vielen Seiten sehen. Es spricht hervorragend englisch und besitzt eine [71] Fertigkeit, selbst erst halbausgesprochene Gedanken u. Ideen sofort in ihre Vollständigkeit zu übersetzen. So ist er mehr ein gutes Instrument als ein guter Mitarbeiter und mehr ein Nachschlagwerk als ein Berater.

      Ganz anders dagegen ist Sof Bleul. Er macht zunächst mit seinen engen bebrillten Augen und seinem strengen Ausdruck mit der hasenhaft vorstehenden Oberlippe den Eindruck eines humorlosen Schullehrers. Er ist von Beruf auch Studienrat und hat etwas Schulmeisterliches an sich, was [72] überall eine sichere Art ist, um zunächst Abneigung zu erwecken. Bei näherem Kennenlernen und in seiner Arbeit zeigen sich aber mehr Vorzüge als Nachteile. Seine pedantische Sturheit ist im Gesamteinsatz einer Verwaltung unbedingt notwendig. Da gibt es Preisdurchrechnungen, unklare Statistiken, verwickelte Lappalien. Hierfür ist der Ansatz eines bissigen nicht nachlassenden Mannes geradezu wunderbar. Sind dagegen Dinge mit der leichten Hand und einem gewissen Scharm und Witz besser zu lösen, so nur nicht ihn dafür einsetzen. Persönlich ist er sehr gefällig und innerlich anhänglich u. verbunden weil ich zu den wenigen gehöre, die seine Vorzüge aner- [73] kennen und einen freundschaftlichen Kontakt


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