Die Sanduhr in meinem Kopf. Michael Bohm

Die Sanduhr in meinem Kopf - Michael Bohm


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später, der Sturm war zu einem harmlosen Wind geworden, der Regen kaum noch der Rede wert, der Himmel heller, ich saß am Tisch und schrieb, da wurden zwei fremde Männer in den Raum geführt. Mir wurde gesagt, sie seien vom Strand her ins Dorf gekommen. Immer wieder hätten sie vergeblich versucht, Kontakt aufzunehmen.

      Die Fischer hier sprachen ihren Dialekt. Sie konnten kein Latein. Und die Fremden sprachen gutes Latein, was auf bessere Kreise, nicht auf Seeleute schließen ließ. Sie standen mitten im Raum, ich hörte ihnen vom Tisch aus zu, was sie zu sagen hatten.

      Meine erste Vermutung, sie stammten von dem zwischen die Felsen geschleuderten Schiff, stellte sich schon nach den ersten Sätzen als richtig heraus. Sie hatten sich an Land gerettet, dem Himmel sei Dank. In einer der Höhlen über dem Strand hatten sie Zuflucht gefunden. Ihre Namen gaben die Männer mit Joseph und Lazarus an. Mit ihnen waren drei Frauen, ein kleines Kind und ein Seemann, der sie mit dem Segelschiff über das Meer gebracht hatte, gekommen. Dieser hatte sich bei der Rettung der Frauen verletzt. Er lag in der Höhle und brauchte Hilfe.

      Für mich gab es also zwei Gründe, um unverzüglich aufzubrechen: zum einen der Verletzte, zum anderen, um mich mit meinen Augen zu versichern, ob die Männer die Wahrheit sagten. Die Schmuggler, von denen es nicht wenige gab, waren ziemlich findig und geschickt, um uns immer wieder an der Nase herumzuführen.

      Wir waren zu Dritt, geführt von den Fremden. Als wir den Felsen näherkamen, brach der erste Sonnenstrahl durch die dahinfliegenden grauen Wolken. Vor dem Höhleneingang setzten zwei Männer Fackeln in Brand. Vorsichtig gingen wir in das vor uns liegende Dunkel. Unsere Augen gewöhnten sich an das flackernde Licht der Fackeln. Wir sahen drei Frauen und einen am Boden liegenden Mann.

      Die eine Frau hatte einen Säugling im Arm, eine war tief Schwarz mit großen erschrockenen Augen, die dritte bemühte sich um den auf dem harten Fels liegenden Mann. Es war nicht zu übersehen, dass alle jämmerlich froren.

      Es dauerte eine ganze Weile und kostete einige Anstrengung, um die Schiffbrüchigen, vor allem den Verletzten in Sicherheit zu bringen. Wir brachten die Fremden in einem Nebengebäude unseres Hofes unter, sorgten für Feuer, Essen und Trinken, und ließen vom Heilkundigen den Verletzten untersuchen. Er hatte sich ein Bein gebrochen und mehrere Schnittwunden durch die scharfen Felskanten erlitten.

      Während das alles geschah, saß ich in meinem Raum, dachte nach. Zweifel hatte ich keine mehr, dass diese Menschen Flüchtlinge waren. Ihre Angabe, sie stammten aus Palästina, also aus einer römischen Provinz, musste ich erst einmal glauben. Ich hatte keine Möglichkeit, das zu prüfen.

      Erst am nächsten Tag fand ich die Gelegenheit ohne Zeugen mit dem Mann, der sich Joseph nannte, zu reden. Er war hochgebildet, sprach das reine Latein der Elite, war diplomatisch, versteckte sehr geschickt Fakten hinter allgemeinen Worten. Das Wort Flucht kam bei ihm nicht vor. Er behauptete, Kaufmann zu sein. Was natürlich wahr sein konnte.

      Ich machte schließlich dem Getue ein Ende mit der Bitte, mir die Frauen vorzustellen. Wir gingen über den Hof, Joseph schritt voraus in das kleine Haus, winkte mich gleich darauf hinein. Die Frauen saßen auf der Bank an der Feuerstelle.

      Da war Mirjam, die Frau mit dem Kleinkind. Sie schien der Mittelpunkt der Gruppe zu sein. Auch Joseph begegnete ihr mit auffallender Ehrfurcht. Martha war eine stille, auch noch junge Frau, und die schwarze Frau, Sarah, ihre Dienerin.

      Es wurde mir erst einige Zeit später klar, dass das Kind, das sie David nannten, der unbedingte Mittelpunkt des kleinen Kreises war. Lazarus, ein netter, fröhlicher Mann, bezeichnete das Kind eines Tages, wohl aus Unachtsamkeit, als Heiliges Blut. Das war schon zu einer Zeit, als ich mir über den Sinn hinter dem Versprecher bereits einen Reim machen konnte.

      Ich hatte mir keine Eile auferlegt, um über den Schiffbruch und die betroffenen Menschen nach Massalia zu berichten. Meine Worte dazu klangen harmlos und es wurde nie nachgefragt. Ich konnte weiterhin meine Hände über die Fremden halten. Sie stellten keine Gefahr dar, obwohl ich mir sicher war, dass sie ein Geheimnis hatten, das unmittelbar mit ihrer Fahrt über das Meer zusammenhing.

      Nachdem die Fremden ihre Besonderheit im kleinen Fischerdorf verloren hatten, sich niemand mehr mit neugierigen Augen nach ihnen umdrehte, ihnen keine bösen Blicke mehr folgten, hielt ich die Zeit für gekommen, noch einmal mit Joseph zu sprechen. Ich wusste von ihm, dass sie keine armen Leute waren, sie nicht das blanke Leben gerettet hatten, sondern auch die prallen Säckchen mit den geprägten Münzen. Nicht direkt am, aber in unmittelbarer Nähe des Dorfplatzes stand ein Haus zum Kauf. Ich bot es Joseph an, machte den Vermittler zum Besitzer, dem Bürgermeister. Als sie wenige Tage später von unserem Hof übersiedelten, machte das kein Aufsehen im Ort. Sie sprachen bereits den provenzalischen Dialekt, schon besser als ich am Anfang hier.

      Der Sommer kam ins Land und Joseph betrat meinen Amtsraum. Er fragte, ob ich ihn hindern würde, wenn er seine Reise fortsetzen würde. Allein? Ja, allein. Wohin? Zur Nebelinsel im Westen. Um was zu machen? Auch dort vom auferstandenen Erlöser zu erzählen.

      Inzwischen wusste ich, von was er sprach, und ließ ihn ziehen.

      Nur einige weitere Monde vergingen, als Lazarus mit dem gleichen Auftrag nach Massalia aufbrechen wollte. Er versprach, uns hin und wieder zu besuchen.

      Wenn er dann tatsächlich für einige Tage vorbeikam, hoch zu Pferde, leuchteten seine Augen, berichtete er vom Leben der wachsenden Gemeinde in der Stadt. Er setzte sich mit Mirjam zusammen. Im Kreis erinnerten sie sich an den, dessen Gefährtin Mirjam gewesen war. Ein Wort, das ich aus ihrem Mund nie hörte. Sie sagte auch nicht Witwe, nur Erbin ließ sie gelten.

      Dieses Erbe hatte Mirjam im Laufe der Zeit in eine leicht verständliche Form gegossen. Mit ihrem Charisma, ihrer Beredsamkeit, mit ihren blauen Augen, ihrer Lebendigkeit war sie eine Menschenfischerin. Mit der Zeit sammelte sie eine immer größere Anhängerschar aus dem Dorf und der Umgebung, in der Mehrzahl Frauen, um sich. Geeignete Mitglieder ihrer Gemeinschaft bildete sie selbst aus, um die frohe Botschaft weiter ins Land zu tragen. Meine Aufgabe, die ich mir selbst gestellt hatte, weil auch ich inzwischen an ihre Botschaft glaubte, war es, ihrem unbedingten Wollen den Rücken frei zu halten. Ein nicht immer leichtes Unterfangen.

      Jesus, dem Mirjam und ihre Schar nachfolgten, der von sich sagte, »ich bin der, der ich bin«, war nach Mirjams Worten ein Nachkomme eines gewissen David von königlichem Blut. Mirjam war ein wichtiges Mitglied unter den Begleitern, die sie Jünger nannte, von diesem Jesus. Beide hatten eine besonders innige Verbindung zueinander gehabt. Er hatte sie ganz selbstverständlich in aller Offenheit auf den Mund geküsst. Mit verklärtem Gesicht schilderte sie mir einmal die Szene, wie sie Jesus die Füße mit kostbarem wohlriechendem Öl gesalbt hatte. Das war kurz vor dessen Tod gewesen. Er war am Kreuz gestorben, ein politischer, ein grausamer Tod. Und Mirjam war ihm bis zum Ende beigestanden. Sie war es auch, als alle seine Anhänger sich ängstlich versteckt gehalten hatten, die zum Grab gegangen war und es leer vorgefunden hatte. Kurz darauf war ihr der Gekreuzigte erschienen, der von den Toten Auferstandene.

      Was für eine rührende Geschichte. Nicht nur allein weil Mirjam die Zeugin war, glaubte ich ihren Worten. Ich fühlte auch in mir die Wahrheit der Geschichte. Zudem meinte ich zu wissen, dass das eine völlig neue, eine große Geschichte war, deren Worte sie, Joseph und Lazarus mit dem Wind verbreiteten.

      Und ich war dabei. Das empfand ich als Auszeichnung.

      So oft es mir möglich war, betrat ich Mirjams Haus, nahm die gelassene Stimmung in mich auf. Alles war wahr in diesem Haus, die Lüge hatte keine Chance, Friede ging von hier aus.

      In späteren Jahren zeigte sich bei dem Kind eine starke Persönlichkeit. David spielte die wilden Spiele der Dorfkinder mit, bestimmte allerdings mit feinem Gespür die Regeln. Streit schlichtete er schon geschickt, bevor er richtig ausbrach. War Mirjam von dunklem Typ, so war der Junge ihr Gegenteil. Er hatte eine leicht braune Haut, aber hellblonde dichte Locken. War Mirjams Gesicht eher voll, war seines schmal. Aber beide hatten dieses durchdringende Blau der Augen.

      Eines Tages, David war inzwischen zehn Sommer alt, erschien wieder einmal Lazarus bei uns. Irgendwie ahnte ich, dass er dieses Mal mit einem Vorsatz gekommen war. Ich ließ ihn nicht aus den


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