TEXT + KRITIK 234 - Robert Menasse. Ewout van der Knaap

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er ist unser aller Menasse. Er ist auch für seine Gegner, ja für seine Feinde eine Institution, ein monumenthaft aufragendes Ärgernis.

      Der Geburtsort Wien ist keine notwendige Bedingung für das Werden und Gedeihen einer Wiener Institution, aber, wie der Fall Menasse zeigt, es erleichtert und beschleunigt die Angelegenheit. Der Übergang von der Wiener zur österreichischen Institution ist bekanntlich fließend. Als 1995 Österreich als Gastland zur Frankfurt Buchmesse geladen war, da schien es geradezu zwingend, dass Robert Menasse die Eröffnungsrede halten sollte. Wer, wenn nicht er? Robert Menasse ist, wie Wendelin Schmidt-Dengler, sein Doktorvater und zeitlebens wohlwollender Kritiker gesagt hat, »ein Meister im Umgang mit symbolischen Repräsentationen«. Schmidt-Dengler meinte das im Hinblick auf Menasses literarisches Werk, man kann es aber auch auf den Autor münzen: Robert Menasse selbst beherrscht die Kunst der Repräsentation, er hat sich mit Kompetenz und Chuzpe, mit der Anmaßung des um seinen Wert Wissenden, zur Institution ausgestaltet; er verkörpert längst die umfassende Zuständigkeit für nationale Belange.

      Im offiziösen, seinerzeit vom Wissenschaftsministerium initiierten sogenannten »Kulturinformationssystem« im Internet namens »aeiou« findet sich im Eintrag zu Robert Menasse der Satz: »Im Mittelpunkt seiner Essayistik steht die Positionsbestimmung der österreichischen Literatur.« Kann man das sagen, oder drückt sich da nicht vielmehr das Wunschdenken aus, Menasse möge sich auf seine Kernaufgaben als Autor und Literaturwissenschaftler konzentrieren? Gewiss, mit dem Essay »Die sozialpartnerschaftliche Ästhetik« (1990) hat er ein Bild der österreichischen Literatur geprägt, das den Geist der Realverfassung des Landes atmet, das die Spuren von Kompromiss und Konsens um des lieben Friedens Willen trägt. Aber die »Positionsbestimmung der österreichischen Literatur« ist für Menasse eben in erster Linie insofern von Interesse, als sie etwas über dieses Land verrät. Und so erscheinen auch Werke in einem rotweißroten Licht, die man lange nur als individuell-existenziell verstehen wollte. A. E.I. O.U. – kein Wunder, dass Menasse für eine doppeldeutige Lesart des habsburgischen Wahlspruchs plädiert und die Erkenntnis in jedem Fall für tröstlich erklärt: Austria erit in orbe ultima – »Österreich wird in der Welt das Letzte sein«.

      »Brillant« ist wohl das in Bezug auf Menasses Essayistik am häufigsten gebrauchte Wort. »Brillant«, das meint, neben der substanziellen Härte und Qualität, immer auch die Sphäre des Effekts, das Funkelnde, Glänzende, Blendende des geschliffenen Ausdrucks. Und wirklich, wir erleben Robert Menasses Befunde als brillant, egal, ob sie uns nun plausibel erscheinen oder haarsträubend, was auch hin und wieder vorkommt – ja, dann wirken sie fast noch beeindruckender, müssen wir doch Könnerschaft bewundern, wo wir die Gefolgschaft in der Sache verweigern.

      Wer etwa Robert Menasses langen Essay »Das Land ohne Eigenschaften« (1992) jetzt wieder liest, der staunt freilich, wie haltbar die Schlussfolgerungen zur österreichischen Identität am Vorabend des EG-Beitritts sind, wie prophetisch der Autor manches damals gesehen hat, etwa den fiktiven Charakter der unverdrossen beschworenen Neutralität.

      Robert Menasse ist der Ausnahmefall des Propheten, der im eigenen Lande sehr wohl etwas gilt. Das ist keine einseitige Liebe: Menasses Kritik an Österreich ist durchpulst von einem patriotischen Furor, der für Autorinnen und Autoren der nächsten Generation schwer begreiflich ist.

      Dass in Österreich schlicht alles Symbol ist und dass die Macht des Imaginären in die Wirklichkeit hineinwirkt, berührt, wie der Germanist Friedbert Aspetsberger meinte, auch das Phänomen Menasse: So verlangte der Autor gleich nach Regierungsantritt des Wende-Kabinetts Schüssel /

      Riess-Passer 2000 dessen Rücktritt, weil es seine historische Mission – das Aufbrechen der großkoalitionären Verkrustung – erfüllt habe. Die Regierung trat nicht zurück, 2002 dann aber doch: Die Realität richtete sich nach der Fiktion des Dichters. – »Menasse fordert viel, ist aber kein Doktrinär«, resümiert Aspetsberger.

      Freilich: Das Apodiktische gehört nun einmal wesentlich zum Geschäft. Der Eros des Denkens tritt nicht schamhaft auf. Auch Karl Kraus hat seine Urteile über die Zeit und ihre Genossen nicht in das Gewand tastender Überlegung gekleidet. Ganz in seinem Sinne versteht Robert Menasse den Schriftsteller als den natürlichen Feind der Floskel – und damit der Sprache des Journalismus wie der Politik. Das Denken des Essayisten kann deshalb grundsätzlich nur ein Gegendenken sein. Nicht zwangsläufig bloß gegen die Macht, sondern auch gegen die öffentlich sich artikulierende Mehrheit – wie es Menasse mit seiner These von der im Jahr 2000 endlich in Österreich eingezogenen »Normalität« unternahm. Jörg Haider als Proponent einer etwas anderen »Linksopposition« gegen die rot-schwarze Einheitspartei – diese Deutung Menasses sahen damals viele als rote Fahnenflucht.

      Unerschrockenheit ist es, was den politischen Kommentator Menasse zuvörderst auszeichnet: Robert Menasse erschrickt prinzipiell nicht vor der eigenen Courage, es erschrecken immer die anderen. Er kennt buchstäblich keinen Genierer.

      Menasse hat sich, ohne Ansehen der Partei, mit allen angelegt: mit Jörg Haider selbstverständlich, mit Kurt Waldheim und Wolfgang Schüssel, mit Viktor Klima und auch mit Helmut Zilk – nie hat er seine Zielpersonen in ihrem Individuellen aufs Korn genommen, immer in ihrem Symptomatischen. Was er sagte, war hieb- und stichfest, das heißt auch: zitabel.

      Dass er, der den Beitritt des Landes zur EG als einen weiteren Versuch beschrieb, die Verantwortung für sich selbst loszuwerden, später mit großer Ausdauer die scheindemokratische Verfasstheit der EU anprangerte, war ein Labsal für viele seiner Leser. Hier jedoch scheint sich nun ein Kurswechsel anzukündigen. Auch das gehört zur Institution Menasse: Wenn Robert Menasse in Brüssel weilt und über eine Revision seines Brüssel-Bildes nachdenkt, dann halten das die österreichischen Medien für berichtenswert. Das meint wohl Friedbert Aspetsbergers Beobachtung, Robert Menasse sei ein »Medienmensch« – »und vielleicht mehr Medienmensch (…) als der durchschnittliche Medienmensch Medienmensch ist«. Was immer man von einer möglichen Bekehrung zum Brüssel-Paulus halten mag: Menasses geistige Gelenkigkeit übertrifft zweifellos die seiner jungen Kollegen.

      Mut bewies Robert Menasse nicht nur bei der Einmischung in die öffentlichen, also ureigenen Angelegenheiten, sondern auch bei der Erprobung und Eroberung neuer literarischer Genres.

      Als Autor hat er prinzipiell jede sich stellende Herausforderung angenommen oder vielmehr: Er hat sie sich selbst gestellt. Er hat nicht ein Buch über den Geisteszustand Europas vor der großen Wende geschrieben, sondern gleich eine Trilogie: die Trilogie der Entgeisterung. Er hat nicht bloß die Geschichte des Rabbi Menasseh ben Israel erzählt, des Lehrers von Baruch Spinoza, er hat sie mit der zeitgenössischen Existenz des Alter Egos Viktor Abravanel, eines Wiener Historikers, zu einer grundlegenden Fallstudie über die Vorzüge und Nachteile des Erinnerns wie des Vergessens verknüpft, jenseits aller vorgestanzten Antworten. Er hat nicht irgendein Theaterstück über das zeitgenössische Wirtschaftstreiben verfasst, sondern – mit »Doktor Hoechst« – natürlich gleich ein »Faustspiel«. Er hat die Lebensbeichte eines liebeshungrigen Klatschjournalisten, der in der Badewanne nach der verloren Uterus-Wohligkeit sucht, nicht irgendwie genannt, sondern »Don Juan de la Mancha«, solcherart Mozart und Cervantes vor seinen Karren spannend. Und er hat sogar ein Buch, das zu schreiben einem seiner Helden einen ganzen Roman lang nicht gelingen wollte, kurzerhand selbst geschrieben: die »Phänomenologie der Entgeisterung« erschien als eine Art Appendix zur Trilogie. Für diejenigen unter Ihnen, die den zweiten Band, den Roman »Selige Zeiten, brüchige Welt« kennen: Es stimmt, dass Leo Singers in vielen Gesprächen beschworenes Buch, mit dem er Friedrich Hegels »Phänomenologie des Geistes« fortschreiben, ihn gut dialektisch bestätigen und widerlegen wollte, zu guter Letzt erscheint, doch es ist eigentlich nicht sein Buch, es sind die Aufzeichnungen der hassgeliebten Judith Katz, die seine philosophischen Kaffeehaus- und Barspekulationen für die Nachwelt verewigt, selbst hingegen das Zeitliche gesegnet hat.

      Billig gibt es dieser Autor also nicht. Dr. Menasse ist nicht nur ein Dr. Tausend, er ist immer auch Dr. Höchst. Dass ein »bestrickender intellektueller Hochmut« dazu gehört, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit Hegel just den »totesten aller toten philosophischen Hunde« als Leitmotiv zu erwählen, hat Sigrid Löffler schon 1999 in ihrer Laudatio zur Verleihung des Grimmelshausen-Preises an Robert Menasse festgestellt. Menasse wollte und will vom dialektischen Denken, vom Modell


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