TEXT + KRITIK 234 - Robert Menasse. Ewout van der Knaap

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selbst) bis zum Verschwinden dieses Wissens heute, dieses Modell ist dem, der es in seiner »Phänomenologie der Entgeisterung« vorstellt, selbst nicht geheuer, vor allem weil, »angelangt in der Gegenwart, wenn die entfaltete Dummheit total ist, ich dieselbe nicht repräsentieren möchte«.

      Um die »Trilogie der Entgeisterung« zu genießen, muss man jedoch, wie ich bestätigen kann, keineswegs Hegel-Spezialist sein. Der Titel des ersten, 1988 erschienen Romans »Sinnliche Gewißheit« (fulminant wie alle Titel Menasses) zitiert das erste Kapitel des Hegel’schen Werks, er formuliert aber auch ein sehr leicht nachvollziehbares Programm: Die Erlebnisse des Ich-Erzählers Roman, der wie Robert Menasse etliche Jahre als österreichischer Lektor in Saõ Paulo lehrt und der die jüdischen Emigranten Singer und Katz in der »Bar jeder Hoffnung« kennenlernt, sind dem Bedürfnis nach unmittelbarer sinnlicher Gewissheit geschuldet: nach Frauen, nach Alkohol, nach der Hitze der Tropen. Selten ist ein Buch, in dem so viel über Philosophie geredet wird, sinnlicher gewesen, selten amüsanter.

      Der dritte Band »Schubumkehr« tritt hingegen als eine Art Muskelprotz der Motivik, der Konstruktion und des Sinnverweises auf, nichts an dieser Erzählanordnung spricht für sich, alles spricht immer auch für etwas anderes. Der symbolische Muskelaufbau lässt Roman Gilanian, der sich nach dem Brasilien-Intermezzo in den Schoß der Mutter und in den der Heimat flüchtet, den geschichtlichen Prozess der Entgeisterung und Verblödung am eigenen Leib zu Ende führen: Komprechts im Waldviertel wird für Menasse zur Modellgemeinde Österreichs, nichts mehr ist hier, was es ist, alles ist so, als ob, alles ist Kopie, auch Romans jüdische Identität.

      »Hier ist ein Exkurs nötig. Es sind immer Exkurse nötig.« (Don Juan de la Mancha) Im nationalsozialistischen Sprachgebrauch bezeichnete man als »Geltungsjuden«, wer als Mischling ersten Grades nach den Nürnberger Rassegesetzen eigentlich kein Jude war, aber als solcher galt, weil er z. B. mosaischen Glaubens oder mit einem Juden / einer Jüdin verheiratet war. Robert Menasse, der weder nach den Gesetzen der Nazis noch nach jenen der jüdischen Religion Jude ist, hat sich in seiner Rolle als Autor ganz bewusst zum »Geltungsjuden« der österreichischen Nachkriegsliteratur gemacht. Er hat an eine durch die Vertreibung der Intelligenz 1938 fast vollständig verschüttete jüdische Wiener Literaturtradition angeknüpft, an eine ganz spezifische, geistreich-widerspruchsvolle Art und Weise zu denken, zu reden, schreiben – und, ja auch das, zu blödeln. Robert Menasse hat sich, in erster Linie in seinem großen Doppelgänger-Roman »Die Vertreibung aus der Hölle«, zuletzt aber auch mit der vielleicht besten Geschichte seines Erzählbandes, »Vom Ende des Hungerwinters«, mit den jüdischen Wurzeln seiner Familie auseinandergesetzt – oder: diese jüdischen Wurzeln (mit dem Rabbi Menasseh / Manasseh) erst erfunden. Immer hat er auch die Frage reflektiert, wie über dieses Thema zu sprechen, zu schreiben sei. In »Das Ende des Hungerwinters« wird die Erzählung des Vaters vom Überleben im Amsterdamer Tiergartenversteck grandios durch dessen Entertainer-Routine unterlaufen, in der er tränenlos erstarrt scheint. Das allenthalben verherrlichte Erinnern ist ein kompliziertes Geschäft.

      Mit seiner Selbstbestimmung als öffentlicher Ezzesgeber hat Robert Menasse, Kopie oder nicht, die Rolle des jüdischen Schriftstellers in Österreich, in Wien, wieder zu einer begehrenswerten gemacht. Die Kaffeehauskultur ist ihr Humus, nicht ihre Zukunft. Menasses Standpunkt ist nicht der verlorene Posten des letzten jüdischen Mokka-Mohikaners. Es ist nicht die Rolle der verschämten Selbstwahrnehmung, nicht die des Opferlamms, es ist eine aktive, eine selbstbewusste, zupackende, freche, ja fröhliche Rolle.

      Einer der in allen Sätteln gerecht ist, kein Prinzipien- und kein I-Tüpfel-Reiter.

      Vielleicht doch: Tausendsassa. Der Tausendsassa kommt, wie man nachschlagen kann, aus dem Französischen, vom Hetzruf für Hunde: »ça, ça!« – also »da! da!« Der Rufende weckt die »totesten der toten philosophischen Hunde«. Auf jeden Fall weckt er mit Vergnügen schlafende Hunde und hetzt sie in tausend Richtungen. Er will sie in Bewegung sehen. Nicht immer lassen sie sich zurückpfeifen. Der Hund verkörpert Wachsamkeit und Treue – und den Tod.

      Was einer schreibt, schreibt er mit dem Tod um die Wette. Da hört sich der Spaß auf, oder er fängt erst an. In »Schubumkehr« steht: »Es ist alles lächerlich, wenn.« Der Thomas-Bernhard-Leser ergänzt: »wenn man an den Tod denkt«. Mit einem solchen Satz konnte man in den seligen Zeiten vor 40 Jahren noch preisverleihende Minister erschüttern.

      In »Sinnliche Gewißheit« behauptet der Erzähler, das Leben des Einzelnen hänge davon ab, dass er es erzählen könne. Worauf der Wirt Oswald mit dem Satz zustimmt: »Ich kann jeder sagen.« Der Titel des Erzählbandes ist also nicht einfach die trotzige Antwort auf den Titel eines jüngeren Kollegen, der da behauptet »Das bin doch ich«, um es post festum gleich wieder abzustreiten.

      Nach altem Brauch soll das Erzählen als Trick funktionieren, um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, das letzte Wort zu behalten, und das letzte Wort ist bei Robert Menasse immer eine Pointe.

      »Anekdoten mit Toten« heißt eine Kurzgeschichte in dem Band. Menasse erzählt darin die Geschichte von Onkel Alfred, dem passionierten Steinmetz aus Schrems, der sich in jahrelanger Arbeit eine Gruft baut, eine Pyramide eigentlich, ein »Monument des ewigen Lebens«. Onkel Alfreds Lebensgefährtin, die Großmutter des Ich-Erzählers, kommt gegen den Drang zur Unsterblichkeit nicht an: »›So gib doch a Ruh‹, sagte Oma. Und Onkel Alfred: ›Für die Ruh hab ich später Zeit!‹«

      Das wäre, zugegeben, ein verführerisches Bild für den emsig bauenden Autor Menasse, der keine Ruh geben will. Das Bild ist aber von unangemessener Düsternis, zumal in der Geschichte die Behörde die Einebnung des pyramidalen Traums besorgt.

      Der Autor selbst hat uns ein freundlicheres Selbstporträt gewissermaßen auf dem Serviertablett offeriert, das ganz ohne Koketterie das Stoffliche und Handfeste und Handwerkliche des Schreibens bemüht. In einem Interview hat er sich den Kochlöffel – nicht irgendeinen übrigens, sondern den seiner Großmutter – zum literarischen Zunftzeichen erwählt. Seine Gewürze beschreibt er so: »Das Salz ist zum Beispiel die Erziehung. Der Pfeffer die Erregung. Der Paprika ist die Scham. Ganz wichtig ist mir der Chili. Der Chili ist die Gier! Der Chili ist das Fiebern. Das ist eigentlich der Dauerzustand des Dichters.«

      Diese Stelle mag Sie an den meistzitierten Romananfang der letzten Jahre erinnern. Hier geht es aber um die schlichte Erkenntnis, dass literarische Wirkung hergestellt wird, dass vor dem Rühren das Umrühren liegt.

      Intelligenz ist ein Geburtsfehler, kein literarisches Verdienst. Der Rest ist Arbeit.

       Attila Bombitz

       Variationen auf die Entgeisterung Zum literarischen Werk von Robert Menasse

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