Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris. Maria Anna Oberlinner

Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris - Maria Anna Oberlinner


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angeben, an beide Geschlechter gerichtet zu sein (vgl. sed, quaecumque uiris, uobis quoque dicta, puellae, / credite: diuersis partibus arma damus, V. 49f.), liegt der Fokus doch klar auf der Hilfe für Männer.2 Den zweiten Abschnitt, in dem Ovid in Fortführung der Ars amatoria die Rolle des praeceptor einnimmt, kann man als „Lehrgedichts“-Teil des Proöms (V. 41–78)3 bezeichnen. Er endet mit einer Anrufung des Heilgottes Apoll und einer Selbstcharakterisierung der Persona als uates und medens, was auf die Weisungen vorbereitet, die Passagen in medizinischen Schriften4 und philosophischer Konsolationsliteratur zur Heilung von Leidenschaften entsprechen.

      Dadurch, dass Ovid zu Beginn der Remedia5 Amor auftreten lässt, verknüpft er dieses Werk mit den Amores, in deren erstem Gedicht ebenso eine Interaktion zwischen Dichter und Amor beschrieben wird,6 und der Ars amatoria, da sich in Buch 1 die Persona zum praeceptor Amoris (ars 1, 17), des Liebesgottes, erhebt. Somit stellt Ovid sein gesamtes elegisches Œuvre in eine gemeinsame Traditionslinie,7 wobei die graduelle Entfernung von der Grammatik der subjektiven Liebeselegie, die bereits in den Amores in brüchiger Form erscheint,8 in den Remedia, welche die elegische Gattung letztlich demontieren,9 ihr Ziel erreicht: Wenn Ovid am Ende seiner Elegiesammlung versucht, sich von der Liebe zu Corinna zu lösen (vgl. am. 3, 11), und schließlich im Vorschlussgedicht der Sammlung seine puella dazu aufruft, ihm elegische Qualen zu ersparen und ihn wenigstens anzulügen, wenn sie ihn mit einem Rivalen betrügt (vgl. am. 3, 14, u. a. 1f.),10 bereitet er die Remedia amoris indirekt schon vor. Denn „[i]m Endstadium ist der amator ein Fall für den medicus“11 im Fachbereich der Liebesheilung. Die an Horaz’ Finale seiner ersten Odensammlung (Exegi monumentum aere perennius, carm. 3, 30, 1) erinnernde Formel hoc opus exegi (rem. 811) setzt einen Schlusspunkt unter Ovids elegische Dichtung.12 Dabei zeigt sich ein anderer Aspekt der Demontage auch in der Verschiebung der Metaphorik. Anstatt wie Horaz im Rahmen seiner Unsterblichkeits­topik eine Bronzestatue13 zu evozieren, welche – trotz ihrer Materialität – dem vollendeten literarischen monumentum nicht an Beständigkeit gleichkommen kann, setzt Ovid sein opus in traditioneller Weise mit einem Schiff gleich,14 das nach der langen poetischen Reise seinen Hafen erreicht hat, und verlangt von seinen Schülern Kranzopfer für die gute Fahrt und die Heilung (vgl. rem. 811f.). Indem Ovid Horaz’ Sphragis15 lexikalisch und somit intertextuell aufruft,16 den Fokus jedoch verändert und das feste Metall durch das trotz seiner momentanen ‚fatigatio‘ mit Schnelligkeit und Beweglichkeit assoziierte Schiff ersetzt, verweist er auf sein Verfahren der intertextuell-parodistischen Transformation. Dieses charakterisiert, wie in den Kapiteln 4.3.1.1–4.3.1.3 erörtert, auch Ovids Umgang mit den horazischen Prätexten im Allgemeinen; konkret könnte man die Verschiebung der Metaphorik an dieser Stelle als Kontrafaktur bezeichnen.17 Ovid verabschiedet sich also in scheinbar horazischer, jedoch künstlerisch produktiv verwandelter Manier und vertraut sein Werk alias Schiff den durch seinen Lehrgang geheilten Schülerinnen und Schülern an (vgl. rem. 811–814).

      Im ersten Vers der beiden Schlussdisticha der Remedia, die das Ende der elegischen Traditionslinie Ovids markieren, manifestiert sich ein weiterer Aspekt, der typisch für die Gestaltung dieses opus ist: Wenn die Lehrer-Persona im Anschluss an den Verweis auf Horaz die Bekränzung des ‚Buch-Schiffes‘ fordert, rekurriert Ovid gleichzeitig auf den liebeselegischen Topos des Paraklausithyrons, das meist von der Bekränzung des Türpfostens am Eingang zum Haus der puella begleitet wird; die Junktur date serta alcui rei (carinae in rem. 811) kann als eine intertextuelle Anbindung an Formulierungen der römischen Liebeselegiker gewertet werden (vgl. z. B. Tib. 1, 2, 14).18 Ovid beschreibt zu Beginn der Remedia den Akt des servitium amoris selbst: effice nocturna frangatur ianua rixa / et tegat ornatas multa corona fores (V. 31f.). Das heißt: Am Ende seiner Tetralogie, die mit der Heilung (vgl. V. 814) der leidenden Rezipienten schließt, fordert der Lehrer seine Schüler zu einer Handlung im Stil der elegisch Liebenden auf, die sie sozusagen wieder zur Ausgangsposition zurückführt; durch die elegischen Obertöne der intertextuellen Referenz wird der Heilungseffekt also gleichzeitig zunichtegemacht. Darin äußert sich die paradox anmutende Doppelnatur der Remedia, die zwar vordergründig eine Lösung von unglücklicher Liebe propagieren, durch ihre Anspielungen aber immer wieder auf die Sphäre der Liebeselegie, von der sie eigentlich Abstand nehmen, verweisen; die mehrdeutige Referentialität Ovids zu interpretieren, ist ein Ziel dieser Arbeit. Festzuhalten ist an diesem Punkt, dass in der Schlusspassage V. 811–814 wesentliche Merkmale der Remedia im Allgemeinen pointiert zum Ausdruck kommen: die intertextuelle Anspielung auf Horaz, der implizite Verweis auf die eigene ovidisch-transformierende Schreibweise, die Rekurrenz auf die Gattung Liebeselegie und die gleichzeitige Darstellung der Grundintentionen und -probleme, die mit dem Heilungsprogramm der Remedia einhergehen.

      Trotz der mehrschichtigen Anspielungen des Endes markieren die genannten Metaphern deutlich das Ende des Lehrgangs, das die in Ovids Werkchronologie erkennbare Sequenz der Gattungsstufen fortführt. Die stufenweise Weiterentwicklung von Ovids elegischem Schaffen ist auch zu berücksichtigen, wenn man das Verhältnis zur Ars, wie es sowohl im Dialog-, als auch im Lehrgedichtsproöm19 der Remedia Ausdruck findet, näher beschreibt. Die Remedia sind keine Palinodie der Ars,20 sondern vielmehr eine notwendige Ergänzung und Erweiterung. Denn es geht, wie Katharina Volk betont, nicht darum, dass die Lehren der Ars, also die Anleitung für erfolgreiches Werben um ein Mädchen, rückgängig gemacht werden, sondern darum, die destruktiven Kräfte von amor als emotionaler Kraft zu beseitigen.21 Zudem liegt der Schwerpunkt in der Liebeskunst darauf, wie man bei jemand anderem Liebe hervorrufen kann, während die Remedia einen Schüler inszenieren, der sich selbst von unerwünschter Liebe befreien will.22

      Die Ars amatoria wird dabei nicht nur nicht zurückgenommen, sondern ist selbstverständlich als Intertext zu berücksichtigen, da der praeceptor davon ausgeht, dass die Leser der Ars und der Remedia dieselben sind:

discite sanari per quem didicistis amare;
una manus uobis uulnus opemque feret.
[…]
Naso legendus erat tum cum didicistis amare;
idem nunc uobis Naso legendus erit. (V. 43f.; 71f.)

      Des Weiteren stilisiert sich die ovidische Persona zum Meister, der bei allen Belangen der Liebe zu Rate gezogen werden muss und deshalb einerseits als Lehrer der Ars Liebe verursachen und andererseits als Heiler der Liebeswunde in den Remedia gleichermaßen Autorität für sich beanspruchen kann. Dafür greift er in einem Analogieschluss auf das Telephus-Paradigma (vgl. V. 47f.) zurück: So, wie Telephus nach der Verwundung durch Achill nur durch die Berührung mit dessen Lanzenspitze geheilt werden kann, soll sich der Schüler der Remedia auf den ihm wohlvertrauten Lehrer verlassen.23

      Zurück zum Aufbau: Der Hauptteil der tractatio gliedert sich in zwei Vorschriften-Gruppen. Die erste besteht vor allem aus Hinweisen auf aktives Tun, mit dem eine akute Liebesleidenschaft behandelt werden kann: Reise, betätige dich juristisch, schlafe mit anderen Mädchen, habe Sex bis zum Überdruss etc. (vgl. V. 135–608); die zweite aus Ratschlägen, was man meiden sollte, um Rückfälle zu verhindern: Meide in Zukunft die Gesellschaft Verliebter, meide Liebesdichter oder Musik, denke nicht mehr an deine Geliebte und ihre Briefe, vermeide Hass (vgl. V. 609–810). Jeweils in der Mitte der ‚ars agendi‘ und der ‚ars vitandi‘24, also der Kunst, durch Handeln bzw. durch das Meiden bestimmter Tätigkeiten den Heilungsprozess zu beschleunigen,25 durchbrechen zwei Exkurse die Reihe der Instruktionen, wodurch eine strukturelle Symmetrie innerhalb des Hauptteils entsteht. Während Ovid in V. 361–396 in der Tradition kallimacheischer Polemik26 die Musa proterua seiner elegischen Dichtung rechtfertigt – es handelt sich dabei um den einzigen expliziten poetologischen Exkurs innerhalb seines elegischen Œuvres –,27 bestätigt er in V. 699–706 seine affirmative Haltung gegenüber Amor,28 weil er nicht gewaltsam gegen ihn vorgeht, sondern durch Beratung heilt, und wendet sich in einer erneuten Apostrophe


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