Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris. Maria Anna Oberlinner
Beginn von Amores 1, 1 (Arma graui numero) dem Motto nachgestellt ist, können die ersten Worte doch als programmatische Adaption der vergilischen Eposformulierung Arma uirumque cano (Aen. 1, 1) gelten und somit den Broich’schen Markierungstypen zugeordnet werden.
Über die genannten Aspekte der Referentialität und Kommunikativität hinaus definiert Pfister vier weitere Kriterien für die Skalierung von Intertextualität. Dazu zählen die Autoreflexivität (3), wenn also die Intertextualität selbst auf einer Metaebene innerhalb des Textes reflektiert wird, und die Strukturalität (4), welche die „syntagmatische Integration der Prätexte in den Text“ bezeichnet.20 Hierzu kann man m. E. etwa rechnen, dass die didaktische Strukturierung aus ἔργα καὶ ἡμέραι, des hesiodischen Archetyps, als Folie für Lehrgedichte im Allgemeinen und wie auch für Vergils Georgica für Ovids Remedia im Speziellen dient.21 Auch die Selektivität (5), welche beschreibt, wie „pointiert“ ein Prätext einbezogen wird, und letztlich die Dialogizität (6), der zufolge bei „stärker[er] […] semantischer und ideologischer Spannung“ zwischen Text und Prätext Intertextualität deutlicher erfahrbar wird, werden von Pfister angeführt.22 Besonders der letzte Aspekt verweist bereits darauf, dass die Parodie ein der Intertextualität verwandtes Phänomen ist, da eine Spannung, wie Pfister sie aufgebaut sieht, auch als Merkmal für parodierende Texte gelten kann.
Als prominenter Systematisierungsversuch ist zudem Gérard Genettes Ausdifferenzierung der „Transtextualität“ zu nennen.23 Dabei berücksichtigt er in seinen fünf Unterkategorien24 sowohl die Bezüge eines Textes auf einzelne Texte als auch diejenigen auf Genres, was als Unterscheidung von „Einzeltext- und Systemreferenz“ auch für Pfister und Broich bei der Beschreibung von Intertextualitätsphänomenen zentral ist. Denn die intertextuelle Referenz auf einen konkreten Prätext, sei es vom selben oder von einem anderen Autor,25 ist grundsätzlich vom Verweis auf ganze Gattungen, auf „Textkollektiva […] und sie strukturierenden textbildenden Systemen“26 zu unterscheiden, auch wenn beide Phänomene zugleich in einem Text präsent sein können. Diese Differenzierung ist für die aktive Textarbeit an Ovids Remedia ebenfalls wichtig, da ich die intertextuelle Bezugnahme Ovids auf einzelne Texte und dabei gleichzeitig auch auf Gattungsvorbilder, etwa diejenigen der (horazischen) Satire oder des Lehrgedichts im Allgemeinen, untersuche. Auch für die Frage, welche Mechanismen zur Konstituierung einer Gattung beitragen, können – je nach Perspektive einer literarischen Epoche – Überlegungen zur Intertextualität herangezogen werden. Wenngleich aus moderner Sicht Genres oft hauptsächlich auf „eine[m] Code, eine[m] Satz von Regeln und Konventionen, eine[r] Gattungsgrammatik“ basieren und keine „feingesponnene[n] Netze von Beziehungen“27 darstellen, ist die Bedeutung intertextueller Phänomene, wie Ulrich Suerbaum (1985) betont, stärker hervorzuheben. Im Rahmen seiner „[g]eneralisierende[n] Hypothesen“, die er für reihenbildende Detektivgeschichten formuliert, hält er fest, dass erst durch „lineare Intertextualität“, die Anknüpfung an eigene Texte sowie Werke fremder Autoren, oder auch „perspektivierende Intertextualität“, bei der es weniger um konkrete Zitate als um globale Referenzen auf ein ganzes ‚Textsystem‘ geht, Gattungen geschaffen würden.28 Dabei nähmen aber die Bedeutung und der Umfang der expliziten intertextuellen Bezüge auf Einzeltextebene ab, je weiter sich eine Gattung bereits etabliert habe.29
Wenngleich diese Hypothesen für Texte des 18. und 19. Jahrhunderts aufgestellt sind, lassen sie sich doch mit der antiken Sicht auf Gattungen und der Frage nach ihrer Konstituierung verknüpfen.30 Für grundsätzliche Überlegungen, was Gattungen überhaupt sind und welchen Problemen man bei einer allgemeingültigen Definition begegnet, kann ich exemplarisch auf Volks (2002) Monographie verweisen, in der sie die Themen Gattung im Allgemeinen und in der Antike sowie besonders die didaktische Poesie ausführlich erörtert.31 Ich referiere im Folgenden einige ihrer Beobachtungen hierzu knapp und gehe dabei auf die Verbindung von Intertextualität und Genre im Fall des Lehrgedichts, das einen der wichtigsten generischen Ankerpunkte der Remedia amoris ausmacht, ein.
Auch in der Antike gab es, wie Volk ausführt, ein Bewusstsein für literarische Gattungen, wenngleich diese oft mehr in einer „common sense“-Form verstanden und weniger intensiv theoretisch fundiert wurden.32 Dabei teilte man sie vor allem nach metrischen Gesichtspunkten ein; es gab aber auch Unterscheidungen nach dem Primat des Inhalts und des ‚Prototypen‘.33 Gattungs-Reflexionen fänden sich zudem in metapoetischen Textpassagen, welche die (Nicht-)Zugehörigkeit eines poetischen Textes zu bestimmten Genres thematisieren können,34 oder bei den Theoretikern Platon und Aristoteles35 (der anknüpfend an seinen Lehrer besonders stark formalistische Kriterien ablehnt).36 Am Beispiel der didaktischen Poesie offenbare sich dabei „[t]he difference between the communis opinio about genre and the methods of distinguishing different types of poetry employed by such theorists as Plato and Aristotle […]“37. Während durch die hexametrische Gestaltung allgemein eine Zuordnung zur Epik vorgenommen wurde, artikulierte, so Volk, Aristoteles – via negationis – insofern einen Unterschied zu dieser Gattung, als das Lehrgedicht nicht nur des Mimesis-Kriteriums für das Epos entbehre, sondern nicht einmal Poesie darstelle.38 Die sich hier bereits abzeichnende Wahrnehmung der didaktischen Poesie als einer eigenen Gattung erfuhr Konkretisierungen etwa im Tractatus Coislinianus, der „direkt auf Aristoteles reagiert“39, und später in Diomedes’ Ars grammatica (4./5. Jd. n. Chr.), die in der platonischen Tradition zu verorten ist.40
Sieht man von den spärlichen theoretischen Zeugnissen ab, kann man jedoch durch konkrete Textarbeit an didaktischen Werken ‚implizite Poetiken‘ herausarbeiten.41 Denn diese weisen, wie Volk zeigt, gemeinsame, für die Gattung Lehrgedicht als konstitutiv zu betrachtende Merkmale auf – „(1) explicit didactic intent; (2) teacher-student constellation; (3) poetic self-consciousness; and (4) poetic simultaneity“.42 Dass sich das didaktische Genre sukzessive aus einem „didactic mode“ heraus entwickelt hat43 und von Hesiod und Empedokles bis hin zu Manilius ein offensichtlich immer konkreteres Gefüge aus didaktischen Bausteinen aufzuweisen beginnt, bestätigt den von Suerbaum beschriebenen Intertextualitätsprozess einer Gattungsgenese im Allgemeinen. Im weiteren Sinne intertextuelle Prozesse spielten demnach auch für das Lehrgedicht als Genre eine wichtige Rolle.
Hier soll Intertextualität aber nicht zur Erklärung der Gattungsgenese eingesetzt werden, sondern zur Untersuchung, welchen Einfluss Gattungssysteme – auch in der Konkretisierung durch bestimmte Textkorpora – und Einzeltexte auf die Remedia amoris haben. Bevor ich meinen Arbeitsbegriff von Intertextualität konturiere, ergänze ich meine Ausführungen noch um die zentralen Ergebnisse der aufschlussreichen Studien von Hinds (1998) und Edmunds (2001), da sie ihre Ausführungen mit lateinischen Textstellen illustrieren und sich kritisch-reflektiert mit intertextuellen Theorien klassischer Philologen (etwa Barchiesis, Contes, Farrells, Thomas’) auseinandersetzen.44
Bei Hinds und Edmunds bilden zwei Themenbereiche einen Schwerpunkt, die Edmunds als die zwei grundlegenden Probleme der Intertextualitätsdiskurse sieht: Diese betreffen sowohl die Frage nach der Autorintentionalität – von Hinds als „fundamentalism“45 bezeichnet – und die Frage nach dem Status des Textes an sich als auch die Rolle, welche der Leser für die Konstitution des Textes spielt.46 Hinds versucht, was ihn mit Pfister vergleichbar macht, einen Mittelweg zu finden, der zwischen dem vielen Lesern intrinsischen Verlangen danach, vom Autor bewusst gesetzte Anspielungen zu entdecken, und einem weiten Begriff der Intertextualität zu verorten ist; letzterer besteht in einer Annäherung an den Bereich der „zero-interpretability“47, der praktisch aber kaum vorhanden sei48 und das Feld für weitere Beobachtungen zu bisher vernachlässigten Anspielungen öffne.49 Aus einer Erweiterung der Bezugstexte ergibt sich aber die Problematik, die darin besteht, dass die Unterscheidung von allusion, quasi ‚Einzeltextreferenzen‘, und Topoi, die eine „intertextual tradition as a collectivity“50 hervorrufen (Hinds bezieht sich auf Contes Gegenüberstellung von modello-esemplare und modello-codice),51 zwangsläufig verschwimmt.52 Hinds zeigt jedoch, dass ein Topos und eine Anspielung auf einen konkreten Text gleichzeitig möglich sein können53 – eine Beobachtung, die auch für Ovids intertextuelles Vorgehen zutreffend ist. So ruft Ovid bei seinen Hinweisen darauf, dass langes klagendes Sprechen über die Geliebte und mangelndes Schweigen zu vermeiden sei (siehe meine Ausführungen in Kapitel 4.3.2.4), den Topos „that an angry tongue is a proof of love“54 auf. Gleichzeitig