"Darling Jane". Jane Austen – eine Biographie. Christian Grawe
bei –40. Im Hause Austen wurden viele Abende mit Vorlesen verbracht, und wenn im Sommer und zu Weihnachten die Schüler George Austens in den Ferien nach Hause fuhren, ging man noch einen Schritt weiter. Dann führte man in der Scheune Theaterstücke auf, bei denen Cousine Eliza begeistert mittat. Auch die großartigen Theaterszenen in Mansfield Park verdanken den häuslichen Erlebnissen der Autorin wohl allerlei.
Jane Austens Briefe sprechen immer wieder von Lektüreeindrücken und spielen mit literarischen Gestalten und Zitaten. 1795 findet man den Namen der Zwanzigjährigen unter den Subskribenten von Fanny Burneys neuem Roman Camilla. Der Teenager Fanny Price in Mansfield Park verdankt den Stolz, zum erstenmal Abonnentin einer Leihbücherei zu sein, sicher den Erfahrungen ihrer Autorin. Aus einem Brief an Cassandra vom 18. Dezember 1798 kann man entnehmen, dass eine Mrs. Martin 1798 in Steventon oder Umgebung eine Leihbücherei eröffnete:
Ich habe eine sehr höfliche Einladung von Mrs. Martin erhalten, mich als Abonnentin ihrer Leihbücherei einzuschreiben, die am 14. Januar aufmacht, und habe dem entsprechend mein, oder vielmehr Dein, Einverständnis gegeben. Meine Mutter will das Geld dafür auftreiben. […] Als Anreiz zu abonnieren schreibt Mrs. Martin uns, dass ihre Sammlung nicht nur aus Romanen besteht, sondern aus jeder Art Literatur usw. usw. Diesen Anspruch hätte sie sich bei unserer Familie, die aus begeisterten Romanlesern besteht und sich dessen nicht schämt, sparen können. Aber ich nehme an, aus Rücksicht auf die Selbsteinschätzung der Hälfte ihrer Abonnenten war das nötig.
Aber auch diese Rücksichtnahme scheint nichts gefruchtet zu haben, denn in einem Brief vom Oktober 1800 heißt es dann:
Unsere ganze Nachbarschaft ist im Moment vollauf damit beschäftigt, die arme Mrs. Martin zu beklagen, die mit ihrem Geschäft ganz und gar gescheitert ist und deren Haus vor kurzem gepfändet wurde.
Immerhin sind diese Briefstellen ein Beleg dafür, wie gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Leihbüchereien auch das flache Land zu erobern versuchten.
Das Familienleben im Pfarrhaus in Steventon war, wie bei sieben Kindern nicht anders zu erwarten, lebhaft und nicht üppig. George Austen hatte zwar durch seine beiden Pfarren ein bequemes Auskommen, hatte aber finanzielle Sorgen, weil er früher gemachte Schulden an seinen Schwager Leigh-Perrot abzahlen musste. Deshalb besserte er sein Einkommen dadurch auf, dass er Schüler als Pensionsgäste ins Haus nahm, die er zusammen mit seinen Söhnen unterrichtete. Auch die Vettern und Cousinen vergrößerten die Familie durch ihre längeren und kürzeren Besuche noch weiter. Das austensche Haus war mit seiner harmonischen Atmosphäre und Gastlichkeit für Teile der Verwandtschaft eine Art Refugium, besonders in Krisenzeiten.
Jane Austens Cousine Eliza als spätere Comtesse de Feuillide
Unter den vorübergehenden Ergänzungen zur Familie darf Mitte der achtziger Jahre die schon mehrmals erwähnte Cousine Eliza Hancock nicht übergangen werden. Ihr fast romanhaftes Schicksal erregte die Phantasie der Austen-Kinder: Sie war in Indien geboren und wahrscheinlich nicht die Tochter ihres offiziellen Vaters, sondern des Gouverneurs von Indien, Warren Hastings. Dass ihre Mutter dessen Geliebte war, glaubte man in der englischen Gesellschaft in Indien zu wissen. Hastings sorgte finanziell für Eliza, und sie nannte ihren früh verstorbenen Sohn Hastings. Seit 1781 war sie mit dem französischen Grafen Jean-François Capot de Feuillide verheiratet, der dann 1794 unter der Guillotine starb; sie lebte mehrere Jahre in Frankreich und sprach fließend Französisch. 1792 besuchte ihr Mann sie in England, wurde aber nach Frankreich zurückgerufen, weil sein Besitz in Gefahr war, konfisziert zu werden. Eliza folgte ihm dorthin, musste allerdings nach seiner Hinrichtung 1794 in einer abenteuerlichen Flucht nach England zurückkehren – so jedenfalls wurde es in der Familie überliefert. Sie blieb zeit ihres Lebens flatterhaft und ein bisschen exaltiert. Ihre Briefe an ihre Cousine Philadelphia Walter enthalten zahlreiche Informationen über die Familie Austen. Mit ihrer kapriziösen Art trug sie wesentlich zur Stimmung und Unterhaltung im Haus bei, heiratete schließlich in zweiter Ehe ihren zehn Jahre jüngeren Vetter Henry und hat wohl mit einigen Zügen zu bestimmten Gestalten in Jane Austens Romanen Patin gestanden, vor allem zu Mary Crawford in Mansfield Park und zur Titelgestalt von Lady Susan. Als elegante Schwägerin war sie später öfter Janes Londoner Gastgeberin und Gefährtin und zog diese ihrer Schwester Cassandra vor.
Es ist verführerisch, aus dem Familienleben vergangener Jahrhunderte eine Idylle zu machen, aber im Falle der Austens entsprach dieses Bild wohl weitgehend der Wirklichkeit. Es wurde von einem Beobachter mit der Natürlichkeit »der wohlhabenden Familien in den reizvollen Tälern der Schweiz« verglichen. Nur darf das nicht zu völlig unangebrachten Vorstellungen von einer engstirnig-frömmelnden Atmosphäre in diesem Pfarrhaus führen. Die Eltern erzogen ihre Kinder verständnisvoll und liberal und förderten ihre Interessen. Zeit ihres Lebens scheint das Verhältnis zwischen allen Geschwistern weitgehend ungetrübt und herzlich gewesen zu sein. Das Lob auf die geschwisterliche Vertrautheit, das Jane Austen in Mansfield Park gesungen hat, beruht bestimmt auf eigenen Empfindungen.
Kindern derselben Familie, desselben Blutes mit denselben frühen Erlebnissen und Gewohnheiten ist eine Möglichkeit gegeben, sich gemeinsam zu freuen, wie keine spätere Verbindung im Leben sie herstellen kann; und es gehört schon eine lange und unnatürliche Entfremdung, eine Trennung dazu, die keine spätere Verbindung rechtfertigen kann, um diese kostbaren Reste früherer Zuneigung ganz auszulöschen. (S. 284)
Noch 1814 schrieb Jane in einem Brief an ihre Nichte Anna:
Ich möchte, dass Vettern und Cousinen sich wie Vettern und Cousinen benehmen und sich füreinander interessieren. Schließlich sind sie nur einen Verwandtschaftsgrad weiter voneinander entfernt als Geschwister.
Das Vorlesen und Theaterspielen aber, das bei den Geschwistern häusliche Unterhaltung blieb, setzte sich bei Jane in künstlerische Impulse um und bildete die stärkste Anregung dafür, dass sie zu schreiben begann, denn sie benutzte die Lektüre und die Theaterstücke, um Parodien der zeitgenössischen Literatur zu schreiben, die sie dann ihrerseits offenbar mit großem Erfolg im Kreis der Familie vorlas.
III
Während die Brüder nun nach und nach das Haus verließen, um sich ihrem Studium oder ihrem Beruf zu widmen, und zum Teil auch heirateten, knüpften die beiden Mädchen engere Beziehungen in der Nachbarschaft an. Auch mit den Familien der Umgebung von den Grundbesitzern bis zu den Kollegen des Vaters standen die Austens auf bestem Fuß. Vor allem mit drei Häusern gingen Cassandra und Jane freundschaftlich um.
(1) Auf dem Landsitz Manydown auf dem Weg nach Basingstoke lebten die Biggs, die drei Töchter und einen Sohn hatten. Hier blieben die austenschen Mädchen öfter über Nacht, wenn in Basingstoke Veranstaltungen stattfanden, die man gemeinsam besuchte. Der Sohn sollte, wie sich zeigen wird, 1801 eine kurze, aber wichtige Rolle in Jane Austens Leben spielen.
(2) In Ashe, gut eine Meile nördlich von Steventon, war Mr. Lefroy Pastor, dessen gebildete, gesellschaftlich gewandte Frau für Jane eine enge mütterliche Freundin war, die offenbar als frauliches Vorbild großen Einfluss auf sie ausübte. Ihr plötzlicher Tod durch einen Sturz vom Pferd 1804 ging Jane sehr nahe, obwohl sie zu dieser Zeit gar nicht mehr in Steventon wohnte. Der Unfall fand ausgerechnet an ihrem Geburtstag statt. Ihre Bestürzung lässt sich noch an dem Gedicht ablesen, dass sie vier Jahre später über das tragische Ereignis schrieb. Der jüngste Sohn der Lefroys heiratete 1814 Janes älteste Nichte Anna.
Tom Lefroy
1796 war Tom Lefroy aus Irland bei seiner Tante zu Besuch und verliebte sich in Jane Austen, die seine Gefühle erwiderte. Aber da der junge Mann noch kein Einkommen hatte und vielleicht auch weil die Austen-Töchter mit einer größeren Mitgift nicht rechnen konnten, wurde die Verbindung von den Lefroys nicht ermutigt. Auch gab es ein Gerücht, dass Tom schon vergeben sei. In ihren ersten überlieferten Briefen berichtet Jane ihrer Schwester in halb ironischen, halb ernsten Worten von dem Abschied von Tom:
Du schimpfst mich in Deinem schönen langen Brief […] so sehr aus,