Allein zu zweit. Katrin Bentley
ihr im Garten helfen und mit meiner kleinen Gießkanne die Blumen wässern. Oder ich sammelte Schnecken und bespritzte sie mit Wasser, um zu sehen, welche am schnellsten vorwärtskroch. Bei meiner Großmutter durfte ich mich herrlich schmutzig machen, abends wusch sie mich dann liebevoll und sang dazu lustige Lieder. Bei schönem Wetter wusch ich Puppenkleider und hängte sie an einer kleinen Wäscheleine im Garten auf, dann kochte ich meinen Puppen einen Brei aus Wasser und Sand, den ich mit Rosenblättern dekorierte. Waren sie satt, setzte ich mich unter den Zwetschgenbaum und malte Bilder, die meine Großmutter freudig an die Wand hängte. Abends erzählte sie mir Geschichten, und wenn ich trotzdem nicht einschlafen konnte, durfte ich es ihr sagen.
Die Fürsorge meiner Großmutter half mir, die schwierige Zeit im Kindergarten besser zu ertragen. Als ich im Frühjahr in die Schule kam, gefiel es mir dort sofort ausgezeichnet. Die Lehrer waren nett, und ich hatte viele Freunde, mit denen ich mich auch heute noch bestens verstehe. Eines Tages rief mir ein Junge »Hüpfi« zu. Als ich ihn verblüfft fragte, was er damit meine, grinste er und sagte: »Der Name passt zu dir, weil du jeden Tag in die Schule hüpfst.« Vergnügt warf ich meine Zöpfe über die Schultern und sagte: »Ich gehe eben unheimlich gern dorthin.« Vier Jahre später kam ich prüfungsfrei in die Sekundarschule, an der mein Vater als Lehrer tätig war.
Auch diese Zeit habe ich in bester Erinnerung. Ich weiß noch, dass sich meine Lebensfreude immer wieder in Lachanfällen zeigte, die ich nur schwer unterdrücken konnte. Verzweifelt kniff ich dann den Mund zusammen, um nicht herauszuplatzen, musste aber trotzdem lachen, bis mir die Tränen kamen. Mein fröhliches Lachen schallte durch die Gänge der Sekundarschule, später durch die des Lehrerinnenseminars. Eine Kollegin sagte mir vor kurzem, dass mein Lachen ihr geholfen habe, diese für sie anstrengende Zeit zu überstehen. Trotz meiner Fröhlichkeit und Lebenslust konnte ich die Worte der Kindergärtnerin nie ganz vergessen. Sie hatten mein Selbstwertgefühl tief erschüttert, und wenn ich etwas Neues anfing, war mein erster Gedanke immer: »Das kann ich nicht.«
Ansonsten war meine Kindheit sehr schön. Ich hatte liebevolle Eltern, die sich um mich kümmerten und mir alles gaben, was ich brauchte. Beide waren seit der Schulzeit ineinander verliebt, und ihre Liebe war unglaublich tief. Mein lebhafter Vater konnte sich in Gegenwart meiner eher stillen Mutter herrlich erholen, und es gab kaum Momente, in denen sie nicht ein Herz und eine Seele waren.
Da mein Vater neben Sprachen und Geschichte auch Sport unterrichtete, war unsere Familie immer aktiv. Ich selber war zwar nicht sehr sportlich, genoss es aber, draußen zu sein. Ich lernte früh schwimmen und war kaum aus dem Wasser zu bringen; im Turnen hing ich jedoch wie ein Kartoffelsack am Reck. Mein Vater, der mehrere Jahre bernischer Rekordhalter im 3000-Meter-Lauf war und auch in anderen Disziplinen brillierte, gab mir aber nie das Gefühl, unsportlich zu sein. Stattdessen spornte er mich immer wieder an und lehrte mich schon mit sechs Jahren, Ski zu fahren. Wie ungeschickt ich mich auch anstellte, er blieb immer fröhlich und half mir geduldig, meine Ängste zu überwinden. Bald einmal stand ich sicherer auf den Brettern und fahre auch heute noch begeistert die Pisten hinunter.
Als ich zwölf Jahre alt war, zog unsere Familie in eine neue Wohnung mit einer riesigen Dachterrasse, von der aus man eine tolle Aussicht auf Eiger, Mönch und Jungfrau, den Niesen, das Stockhorn und die Blüemlisalp hatte, deren Schönheit und Ruhe wie Kraftquellen auf mich wirkten.
Etwa zur gleichen Zeit trat unsere Familie in den Tennisclub Thun ein, der mehr oder weniger direkt am See lag. Die Jahre dort habe ich noch heute in bester Erinnerung. Mein Vater wurde bald einmal Präsident der Anlage, und ich gewann dort Freunde fürs Leben. Wir spielten Tennis, erzählten uns Witze, schleckten Eis und erfrischten uns anschließend im kühlen See. Obwohl ich nicht sehr erfolgshungrig war, spielte ich immer besser Tennis und wurde mit sechzehn Jahren in meiner Kategorie drittbeste Juniorin des Berner Oberlands, worauf ich unheimlich stolz war. Auch später gewann ich T-Shirts, eine Tennistasche und einen großen Pokal, doch das Resultat eines Spiels blieb für mich immer zweitrangig: Im Vordergrund standen die Freude über gelungene Ballwechsel und die Kameradschaft mit meinen Klubgefährten. Das ist mir noch heute wichtiger als Erfolg!
Ich genoss meine Jugend in Thun. Auch Jahre später gab es nichts Schöneres für mich, als in dem klaren Wasser des Sees zu schwimmen und die wunderschönen Berge zu betrachten. In solchen Momenten spürte ich ganz deutlich, dass ich hierhergehörte. In Sommernächten radelte ich mit meinen Freunden am See entlang nach Oberhofen in unsere Lieblingsdisco. Hatten wir keine Lust zum Tanzen, segelten wir auf eine der kleinen Inseln, machten ein Lagerfeuer und grillten unter den Sternen. Im Herbst wanderten wir durch die bunt gefärbten Wälder. Zog Nebel auf, machte ich es mir zu Hause gemütlich und las oder fuhr auf einen der Berge, um das unter mir liegende Nebelmeer zu bewundern. Ich werde diese Zeiten nie vergessen, waren wir doch alle so sorglos und voller Hoffnung auf die Zukunft.
3
An einem schönen Frühlingstag im Jahr 1980 hielt ich endlich das Lehrerdiplom in den Händen und begann sofort mit der Stellensuche. Wenig später bekam ich eine Zusage von der Primarschule in Jegenstorf, einem Bauerndorf nördlich von Bern. Dort hatte ich am Anfang nur ein Zimmer und verbrachte das Wochenende nach wie vor in Thun. Oft fuhr ich sogar an freien Nachmittagen heim in die elterliche Wohnung und korrigierte die Arbeiten der Kinder am See oder zu Hause auf der Terrasse mit Sicht auf die Berge.
Mein Beruf gefiel mir ausgezeichnet, er erfüllte mein Bedürfnis nach Abwechslung und Kreativität. Ich liebte den Umgang mit den Kindern und konnte ihren Wunsch nach Bewegung und Fröhlichkeit und ihre Freude an Geschichten nur allzu gut verstehen. Wurden sie beim ersten Schnee unruhig, unterbrach ich schnell die Rechenstunde und ging mit ihnen nach draußen, wo sie sich nach Herzenslust austoben konnten. Saßen sie später mit roten Wangen und glänzenden Augen wieder an ihren Pulten, lösten sie die Aufgaben schneller denn je.
Ich war mit Leib und Seele Lehrerin und nahm mir fest vor, immer ausgeglichen, fröhlich und geduldig vor meinen Schülern zu stehen. Sie zu verängstigen, lag mir fern, denn Angst spornt nicht an, sie blockiert, das wusste ich genau. Stattdessen versuchte ich, ihre Freude am Lernen zu wecken und ihnen Selbstvertrauen zu geben. Am Beispiel des Hausbaus zeigte ich ihnen, wie gut es ist, dass wir alle unterschiedliche Fähigkeiten haben. Ein Architekt allein kann kein Haus bauen, es braucht auch Elektriker, Schreiner, Maurer und Büropersonal, damit das Projekt gelingt. Die Kinder und ich waren nicht bloß eine Klasse, sondern eher eine Familie, bei der Toleranz, gegenseitiges Verständnis, Motivation, Ehrlichkeit und gute Zusammenarbeit an erster Stelle standen.
Mit der Zeit übernahm ich auch sogenannt schwierige Schüler von anderen Lehrern. Ich machte das gern und freute mich, wenn ich sah, dass sie sich mit ein wenig Verständnis, klaren Abmachungen und Mithilfe der Klassenkameraden wieder integrieren ließen. Ich war damals Unterstufenlehrerin, aber bald einmal wandten sich auch ältere Schüler mit ihren Problemen an mich. Gern nahm ich mir Zeit für sie. Die Oberstufenlehrer lachten damals über meinen Erziehungsstil, ich ließ mich davon aber nicht beirren, weil ich sah, wie das Selbstvertrauen der Teenager wuchs und sie ihr Leben besser in den Griff bekamen. Dem Schulinspektor fiel mein Engagement und meine Freude am Lehrerberuf auf, und so wurde ich bereits mit knapp 23 Jahren Übungslehrerin. Ich durfte also künftigen Lehrern und Lehrerinnen in meiner Klasse das Unterrichten beibringen. Ich hoffte, dass sich meine Freude auf sie übertragen würde, und genoss es, wenn mir das gelang und sie über die anfänglichen Unsicherheiten hinweg zu ihrem eigenen Lehrstil fanden.
Ich war auch Mitglied einer weit über den Ort hinaus bekannten Amateurtheatergruppe, die unter anderem Stücke von Leo Tolstoi, Peter Shaffer, Gerhart Hauptmann und John Patrick in Mundart aufführte. Unsere Vorstellungen waren meist schon Wochen vor Spielbeginn ausverkauft. Drei Jahre lang spielte ich in verschiedenen Produktionen eine Hauptrolle. Das war zwar sehr zeitaufwendig, gleichzeitig aber auch sehr erfüllend. Oft stand ich fünf Abende in der Woche auf der Bühne und kam kaum je vor Mitternacht ins Bett. Ich versuchte auch, in meinen Schülern die Freude an der Schauspielerei zu wecken, und schrieb Musicals und Theaterstücke für sie, die sie dann am Ende des Jahres aufführten.
Mit 24 Jahren war ich vollkommen glücklich mit meinem Leben. Unter der Woche lebte ich nun in meiner eigenen gemütlichen, nordisch eingerichteten Dreizimmerwohnung