Ludwig van Beethoven. 100 Seiten. Stefan Siegert

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mit der schönen Wirtstochter. Helene von Breuning, ihre Mutter, ist eine weitere dieser für Beethoven segensreichen Bonner Witwen. Sie ist in den Vierzigern, Mutter vierer Kinder, alle wenig jünger als Beethoven, der zwei von ihnen auf dem Klavier unterrichtet, und ihr geht offenbar schnell auf, mit welch ungeschliffenem Juwel sie es da zu tun hat. Für den jungen Mann aus ärmlichen Verhältnissen ein Volltreffer. Denn sie durchschaut und behütet ihn nicht nur mit ersatzmütterlicher Liebe. Sie und ihre Kinder nehmen den nicht ganz einfachen Jungen mit den wild funkelnden dunklen Augen und den schwarzen Locken von Herzen in ihre Familie auf. Er übernachtet öfter in dem eleganten Haus, das an drei Seiten einen gärtnergepflegten kleinen Vorgarten umfasst. Der Sohn Stephan von Breuning schließt lebenslang Freundschaft mit Ludwig; die Tochter Eleonore (»Lorchen«) heiratet zwar Beethovens Bonner Busenfreund, den Arzt Franz Gerhard Wegeler, bleibt ihrem Klavierlehrer aber als gute Freundin zeitlebens verbunden.

      Die Breunings gehören zur Oberschicht. Sie führen Ludwig in ihre Kreise ein und statten ihn mit den nötigen Umgangsformen aus. Beethoven begegnet bei ihnen Menschen wie dem vor kurzem aus Wien nach Bonn gekommenen, nur acht Jahre älteren Grafen Ferdinand Waldstein; der hat im Burgtheater die Uraufführung von Figaro und Cosi fan tutte besucht, er kennt Mozart persönlich, versteht etwas von Musik und ist neben Neefe wohl der Erste, der Beethovens Potenzial wirklich erfasst und fördert. Beethoven komponiert ein Ritterballett für ihn; es wird mit Zustimmung des Komponisten als Werk Waldsteins aufgeführt.

       Kantate auf den Tod Josephs II. WoO 87 (1790)

       Kantate auf die Erhebung Leopolds II. WoO 88 (1790)

       Musik zu einem Ritterballett WoO 1 (1790/91)

       24 Variationen für Klavier über »Venni Amore« D WoO 65 (1790/91)

       12 Variationen für Klavier und Violine über »Se vuol ballare« aus Mozarts Le nozze di Figaro F WoO 40 (1792/93)

      In den von Wohlhabenheit und Kultur durchfluteten, gastlichen Räumen der von Breunings könnten Beethovens frühe Klavierquartette gespielt und beklatscht worden sein; man hört seine Lieder und die von ihm selbst besonders geschätzten Variationszyklen. Er »fantasirt« am Klavier, ist von Anfang an berühmt für die zu seiner Zeit für alle Musiker üblichen Improvisationen. Dem jungen Freund des Hauses steht die Breuningsche Bibliothek offen; er verschlingt Schiller, Lessing, Herder, Goethe, Klopstock, in Übersetzungen auch griechische Klassiker und Shakespeare. Ihm geht eine Welt auf. Er vertont manches von dem, was er liest. »Wer ist ein freier Mann?«, fragt da rhetorisch ein Text Gottlieb Konrad Pfeffels, den Beethoven vielleicht wegen seines jakobinisch gewendeten Kantianertums in WoO 117 in Musik setzt. Die Antwort: »Der, dem nur eigener Wille / und keines Zwingherrn Grille / Gesetze geben kann!« Es ist Eulogius Schneider, der ihm solche Reime besorgt. Namens der Bonner Lesegesellschaft beauftragt der Professor seinen jungen Freund und Hörer mit einer Kantate auf den verehrten, 1790 gestorbenen Kaiser Joseph. Es entsteht eine umfangreiche Komposition für Solosänger, Chor und Orchester. In den freimaurerischen Allegorien der Aufklärung wird da der von Kaiser Joseph beförderte Sieg des Lichts über die Finsternis besungen (Mozart hat wenig später in der Zauberflöte, kunstvoll sublimiert, ein Fragezeichen hinter Siege einer »Weisheit« gesetzt, die auf Sklaverei basiert). Wie viel Beethoven Befreiungen bedeuten, aber auch, wie außerordentlich gut sein Gedächtnis funktioniert und wie ökonomisch er mit seinen sicher nicht wenigen Einfällen umgeht, wird deutlich, wenn man die schöne Sopranmelodie »Da stiegen die Menschen, die Menschen ans Licht« in der josephinischen Trauerkantate WoO 87 von 1790 mit dem Moment in Beethovens Leonore von 1805 (dem späteren Fidelio) vergleicht, da Leonore nach langem Kampf ihrem eingekerkerten Mann mit den Worten »Welch’ ein Augenblick!« die Ketten abnimmt. Nicht nur die Tonart F-Dur ist identisch.

      Obwohl gerade die Sopranarie mit Chor künftig Großes ahnen lässt, ist die Trauerkantate insgesamt noch nicht der große Wurf. Aber als Joseph Haydn auf dem Rückweg von seiner ersten Londonreise 1792 Station in Bonn macht – der ihn begleitende Londoner Konzertunternehmer Johann Peter Salomon ist gebürtiger Bonner, seine Familie lebte im 2. Stock schräg gegenüber den Beethovens in der Bonngasse –, geben die Musiker der Hofkapelle ihm zu Ehren in Bad Godesberg ein Frühstück. Haydn trägt sich ins Gästebuch der Lesegesellschaft ein. Man reicht ihm Beethovens Kantate (vielleicht der Urheber selbst), und Haydn zeigt sich so angetan, dass er in den Vorschlag einwilligt, das junge Bonner Großtalent demnächst in Wien zu unterrichten. Vermutlich Graf Waldstein, der Liebling des Regenten, sorgt für kurfürstliche Finanzierung. Beethoven packt seine Sachen und reist um den 2. November 1792 herum auf der Postroute über Frankfurt, Nürnberg, Regensburg, Passau und Linz nach Wien, das er am 10. November erreicht. Er sieht seine Heimatstadt nie wieder.

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