Schwarzbuch Alpen. Matthias Schickhofer
DIE VEGETATION: BRÄNDE UND HÖHENWANDERUNG
Auch wenn die „Sommerfrische“ am Berg in Zukunft ein Revival erleben dürfte – die Urlaubsidylle im Gebirge und an den Alpenseen könnte durch den Klimawandel getrübt werden. Bei langen Hitzeperioden ist nämlich mit häufigeren und schwereren Waldbränden zur rechnen.
Gegen Ende der Sommerhitzewelle 2003 verursachte ein Brandstifter einen verheerenden Waldbrand oberhalb von Leuk im Schweizer Kanton Wallis. Aufkommende Bergwinde sorgten für eine Ausbreitung des Brandes auf einen 500 bis 1000 Meter breiten Streifen bis hinauf an die Waldgrenze. 300 Hektar Wald, inklusive 70 Hektar Schutzwald, brannten in nur einer Nacht ab. Es schwelte mehr als zehn Tage lang. Ohne Helikopter hätte dem Feuer kaum etwas entgegengesetzt werden können. Die Löscharbeiten konnten erst drei Wochen später völlig eingestellt werden. Zum Glück gab es keine Toten oder Verletzten, berichtet die Studie „Leben mit Waldbrand“.19
Im Vergleich zum Mittelmeerraum treten Waldbrände in den Alpen (noch) eher selten und weniger großflächig auf. Wenn extreme Hitzeperioden in Zukunft vermehrt eintreten, wird es aber auch hier öfter zu Großbränden kommen, besonders in trockenen Lagen. Im Zusammenwirken mit dem Mangel an Schmelzwasser könnte das zu gefährlichen Situationen führen. Die Studie kommt zum Schluss, dass „in inneralpinen Trockentälern, zum Beispiel im Rhonetal und Engadin“, die Waldbrandgefahr „wegen der Zunahme von Dürren im Sommer drastisch zunehmen wird“. Doch auch bisher feuchtere Bereiche werden in Hitzesommern ein gesteigertes Brandrisiko haben.
Die Erwärmung wird auch den kälteliebenden Pflanzenarten des Hochgebirges zusetzen: Sie müssen nach oben ausweichen. Doch diese Flucht nach oben trifft unweigerlich auf eine Grenze: Am Gipfel ist Schluss. Sollte es zu einer durchschnittlichen globalen Erwärmung um drei Grad in den nächsten 100 Jahren kommen, ist nach Angaben der Alpenschutzkommission CIPRA20 eine Verschiebung der Vegetationszonen von ca. 600 Kilometern von Süd nach Nord bzw. eine vertikale Verschiebung um ca. 600 Höhenmetern zu erwarten. Da sich die meisten Gehölze aber nur mit einer Geschwindigkeit von etwa 100 Kilometern in 100 Jahren ausbreiten, viele alpine Arten nur mit 50 Höhenmetern bzw. einzelne Grasarten gar nur mit vier Metern in 100 Jahren bewegen, werden viele Arten dem raschen Temperaturwandel nicht folgen können.
Der Wald stößt in höhere Lagen vor, Schäden in Fichtenwäldern in Tallagen durch Borkenkäfer nehmen zu. Laubwälder breiten sich aus. In sehr heißen Sommern kämpfen die meisten Baumarten mit Trockenheit. Weil sich die Wuchsbedingungen für etliche Baumarten im immer unwirtlicheren, hitze- und trockenheitsgeplagten Tiefland verschlechtern, werden die Alpen bei einem starken Temperaturanstieg als „Refugium für den Wald“ an Bedeutung gewinnen, erklärt Georg Gratzer, Waldökologe an der Universität für Bodenkultur Wien.21
Die Alpen sind die „floristisch reichhaltigste Region Mitteleuropas“. Die „Flora alpina“ zählt laut CIPRA 4491 Pflanzenarten, von denen 501 nur hier vorkommen. Durch die Höhenwanderung der Vegetationszonen sind 45 Prozent der alpinen Arten bis 2100 vom Aussterben bedroht.
„Wir sind mitten im Klimawandel. Ein weiterer Temperaturanstieg von etwa ein bis zwei Grad bis zur Mitte des Jahrhunderts kann nicht mehr verhindert werden, weil das Klima sehr träge auf die bisherigen Emissionen reagiert“, erläutert der Klimaforscher Herbert Formayer.22 „Wir haben ja schon eine massive Erwärmung hinter uns. Seit den Siebzigerjahren ist es schon um etwa zwei Grad wärmer geworden. Und das hat unsere Umgebung noch nicht verdaut. Die Natur hat nicht nachgezogen.“
REICHT DAS PARISER KLIMAABKOMMEN?
Am 12. Dezember 2015 feierte die Welt den Durchbruch bei der Klimakonferenz in Paris: Ein neuer Weltklimavertrag wurde nach heftigem Ringen doch noch unterzeichnet. Erstmals vereinbarten Industrie- und Schwellenländer, gemeinsam gegen den Klimawandel vorzugehen. Alle teilnehmenden Staaten sind nun völkerrechtlich verpflichtet, ihren nationalen Klimaschutzbeitrag zu definieren und Maßnahmen zu dessen Umsetzung zu ergreifen.
Ziel des Vertrags ist es, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad (bezogen auf das vorindustrielle Niveau) zu beschränken, wobei 1,5 Grad angestrebt werden. De facto geht es aber darum, die Erwärmung bei einem weiteren Anstieg von einem Grad ab heute zu stabilisieren. Um das zu erreichen, müssen die weltweiten Treibhausgasemissionen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts auf null reduziert werden. Das bedeutet, dass ab 2050 keine klimaschädlichen Gase mehr ausgestoßen werden dürfen, die nicht wieder durch sogenannte „Senken“, zum Beispiel Wälder, aus der Atmosphäre aufgenommen werden. Und die Industriestaaten müssen den Entwicklungsländern unter die Arme greifen.
Doch sind diese Ziele überhaupt ausreichend?
Im September 2016 warnte ein Team von Top-Wissenschaftlern die Weltgemeinschaft, dass „sie damit aufhören sollte, sich mit dem Paris-Abkommen selbst zu gratulieren“, weil die globalen Temperaturen wahrscheinlich bereits in 35 Jahren gefährliche Werte erreichen werden. Sie legten einen Kurzbericht vor, wonach die Welt schon um 2050 den heiklen Wert von ein Grad Erwärmung überschreiten könnte, sollten die Emissionen nicht stärker gekürzt werden. Sir Robert Watson, Professor an der University von East Anglia und ehemaliger Leiter des UNO-Weltklimarats, betont: „Wenn ihr Regierungen es wirklich ernst meint, dann müsst ihr viel, viel mehr tun.“23
Die Klimamodelle berücksichtigen bis jetzt vor allem die bekannten Emissionen von Treibhausgasen, vor allem CO2. Wissenschaftler warnen aber davor, dass sich die Klimaerhitzung beschleunigen könnte, wenn es zu sogenannten „Kippeffekten“ („tipping points“) kommt. Damit sind „Rückkopplungen“ gemeint, etwa Methangase, die wegen der Erwärmung verstärkt aus dem auftauenden Permafrostboden Sibiriens entweichen. Methan ist um ein vielfaches klimawirksamer als CO2 und könnte das Klimasystem noch mehr ins Wanken bringen.
„Die tipping points sind das größte Problem“, bestätigt Herbert Formayer. „Nicht, was wir wissen, ist die Crux, sondern was wir nicht wissen. Da könnten Entwicklungen eintreten, wo wir nicht wissen, wie sich das Klimasystem verhalten wird. Dieses Problem können wir mit den Klimamodellen aber nicht abbilden, weil die werden dann so instabil, dass das nicht mehr glaubwürdig ist.“ Ein solches Worst-Case-Szenario wäre für die Alpen noch viel verheerender.
Im Alpenraum ist der motorisierte Straßenverkehr mit Abstand der größte Emittent von Treibhausgasen. Das gilt für den Lkw-Transit ebenso wie für den Freizeit- und Binnenverkehr. Die Zersiedelung und die wuchernden Shoppingwelten an den Ortsrändern tragen wesentlich zum Problem bei. Auch die künstliche Beschneiung und die Urlaubsmobilität sind riesige Energieverbraucher. Ein Teil des Klimaproblems ist also hausgemacht. Und die Alpenländer haben ihre „Hausaufgaben“ in Sachen Klimaschutz längst nicht gemacht.
Touristiker wissen um die Bedeutung des Schnees für ihr Geschäft. Ohne die „Magie“ des weißen Winters kollabiert das milliardenschwere Wintergeschäft in seiner aktuellen Form. Seilbahnbetreiber und Groß-Hoteliers müssten demnach längst die Klimaschutz-Bewegung anführen und in Washington demonstrieren, um Präsident Donald Trump zur Abkehr von seiner ignoranten Klimapolitik zu bewegen. Aber das ist aus heutiger Sicht nicht einmal in den kühnsten Vorstellungen denkbar.
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