Wider den kirchlichen Narzissmus. Manfred Scheuer
ein Kostenfaktor, den wir uns nicht mehr leisten wollen.
Die entsprechende Geisteshaltung skizziert Theodor W. Adorno in den Minima Moralia: „Musterung. Wer, wie das so heißt, in der Praxis steht, Interessen zu verfolgen, Pläne zu verwirklichen hat, dem verwandeln die Menschen, mit denen er in Berührung kommt, automatisch sich in Freund und Feind. Indem er sie daraufhin ansieht, wie sie seinen Absichten sich einfügen, reduziert er sie gleichsam vorweg zu Objekten: die einen sind verwendbar, die anderen hinderlich. … So tritt Verarmung im Verhältnis zu anderen Menschen ein: die Fähigkeit, den anderen als solchen und nicht als Funktion des eigenen Willens wahrzunehmen, vor allem aber die des fruchtbaren Gegensatzes, die Möglichkeit, durch Einbegreifen des Widersprechenden über sich selber hinauszugehen, verkümmert. Sie wird ersetzt durch beurteilende Menschenkenntnis. … Der starr prüfende, bannende und gebannte Blick, der allen Führern des Entsetzens eigen ist, hat ein Modell im abschätzenden des Managers, der den Stellenbewerber Platz nehmen heißt und sein Gesicht so beleuchtet, dass es ins Helle der Verwendbarkeit und ins Dunkle, Anrüchige des Unqualifizierten erbarmungslos zerfällt. Das Ende ist die medizinische Untersuchung nach der Alternative: Arbeitseinsatz oder Liquidation.“33
Ein Dienst am Frieden kann die Kritik an allen Götzen und die Radikalisierung der Gottesfrage sein. Gerade die Verabsolutierung von bestimmten endlichen und begrenzten Werten führt nicht selten zu tödlichen Konflikten. Den Götzen der Herrschsucht, des Übermenschen, des Kapitals, des Nationalismus, des Rassismus, des Militarismus oder des gekränkten Stolzes wurden Millionen von Menschen geopfert. Sogar Werte wie der Friede selbst, wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erzeugen das Gegenteil ihrer selbst, wenn sie gewaltsam universalisiert werden. So wurde die fraternité der französischen Revolutionsheere zur Aggression gegen die Alte Welt, die sozialistische Brüderlichkeit zum Sowjetimperialismus oder eine christliche Ethik zum Kreuzzug gegen die Heiden. Innergeschichtliche Endlösungen, politische Utopien und Revolutionen wurden zum Terror. Zum Götzen kann auch das Sicherheitsbedürfnis werden, z. B. wenn von der Rüstung ein hohes Maß an Intelligenz absorbiert, Kapital gebunden und damit indirekt ein Krieg gegen die Armen geführt wird. Eine Spiritualität des Friedens nimmt Abschied von allen sich selbst rechtfertigenden, sich selbst begründenden, aus sich selbst entwerfenden und damit sich selbst vergötzenden Systemen.
AUSBLICK
Monotheismus, Polytheismus oder Atheismus sind nicht an sich schon Gewalt produzierend oder friedlich demokratisch. Es ist die jeweils konkrete Religion oder Ideologie auf Gewalt und Friedenspotentiale hin zu prüfen. Das gilt auch für Formen der Spiritualität und der Religion, die keinen personalen Gott kennen, wie z. B. für den Buddhismus. Das gilt ebenso für Vernunft, Aufklärung, Fortschritt, Wissenschaft und Utopie, die in ihren real existierenden Vollzügen in der Dialektik von Gewalt und Frieden stehen und ihre Nacht- bzw. Schattenseite haben.
Auf Krieg und Frieden, Gewalt und Feindesliebe sind die konkreten normativen Personen der Religionsgründer, der Offenbarer, der Propheten, der Heiligen zu befragen, und zwar im Hinblick auf die Lehre wie auch im Hinblick auf die Praxis. Ebenso sind kanonische Texte, heilige Bücher und Traditionen im Hinblick auf Gewalt und Frieden zu beleuchten. Zu heben sind die jeweiligen Impulse zu Freiheit, Versöhnung, gewaltfreier Konfliktlösung, Feindesliebe, Frieden und Gerechtigkeit.34
In der christlichen Bibel stehen Aussagen über Gewalt und Frieden nicht gleichrangig oder gleichwertig nebeneinander. Die christliche Bibel und ihre Lehre zu Frieden und Gewalt ist von der Mitte, von der Person Jesu, von seiner Bergpredigt, von den Seligpreisungen der Gewaltlosen und der Friedensstifter, vom Kreuzestod als Zuspitzung der Vergebung und der Feindesliebe her zu interpretieren.
Neben den normativen Personen und Texten ist aber auch die konkrete Gewalt- und Friedensgeschichte der jeweiligen Religion und Weltanschauung zu betrachten. Auf sehr unterschiedlichen Altären wurden Menschenopfer dargebracht. Religion und Glaube sind sehr unheilige Allianzen mit Nationen und Ethnien, mit wirtschaftlicher und politischer Macht, mit unterschiedlichen Interessen und Ideologien eingegangen und haben so auch Gewalt, Unterdrückung, Kolonisierung und Krieg mit sanktioniert. Religionen und Glaube haben aber auch zur Zähmung von Gewalt und Aggression, zur Versöhnung zwischen Feinden, zur Überwindung von Hass, Krieg und Unrecht beigetragen. Es wäre fatal, auf die humanisierenden Kräfte der Religionen zu verzichten und die Frieden stiftenden Potentiale z. B. des christlichen Glaubens auf die Seite zu schieben. Begriffe wie Moralität und Sittlichkeit, Person und Individualität, Freiheit und Emanzipation können wir Europäer, so Jürgen Habermas 1988, nicht ernstlich verstehen, „ohne uns die Substanz des heilsgeschichtlichen Denkens jüdisch-christlicher Herkunft anzueignen.“35 Religion gehöre zum „kulturellen Potential“, aus dem sich die Integrationskraft der Gesellschaft speise.36 Habermas erinnerte daran, dass Glaube nicht notwendig zum Fürchten ist, sondern zur Selbstkontrolle einer diesseitig-demokratischen Bürgerschaft hilfreich, wenn nicht unentbehrlich. Im Motiv der Gottebenbildlichkeit des Menschen liegen Einsichten, die auch eine weltliche Gesellschaft nur zu ihrem Schaden vernachlässigen kann.
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