Unglaubliche Reisen. David Barrie
Und wie der erschöpfte Streifenwaldsänger deutlich zeigte, sind wir nicht die einzige Spezies, die vor solchen Problemen standen und stehen.
In der ferneren Vergangenheit war die Navigation auf offenen Gewässern ein so großes Wagnis, dass sich die meisten Seefahrer nach Möglichkeit vermutlich an vertraute Routen hielten – was aber gewiss nicht bedeutete, dass sie immer dicht an den Küsten blieben. Solange sie in etwa wussten, wie weit und in welche Richtung sie fahren mussten, und ihre Geschwindigkeit sowie ihren Kurs ungefähr schätzen konnten, durften sie allemal darauf vertrauen, ihr Ziel zu erreichen. Seeleute auf der nördlichen Halbkugel konnten anhand der Höhe des Polarsterns über dem Horizont bequem den Breitengrad feststellen. Und etwa ab dem Jahr 1500 war es dank der sorgfältigen Beobachtungen von Astronomen auch möglich, den Breitengrad zu bestimmen, indem man den Stand der Sonne zur Mittagszeit maß.
Sofern der Breitengrad eines Ziels bekannt war, konnten sich Seefahrer darauf verlassen, es früher oder später zu erreichen; sie mussten einfach entlang dieses Grades segeln. Aber außer Sichtweite von Land war eine genaue Positionsbestimmung aussichtslos, weil sie keine Möglichkeit hatten, ihren Längengrad zu ermitteln. Deshalb ließ sich nie genau sagen, wann sie an ihrem Ziel ankommen würden – eine gefährliche Lage, besonders bei üblem Wetter und schlechter Sicht.
Weil die Längengrade nicht gemessen werden konnten, gab es auch keine genauen Karten. Schätzungen etwa zur Breite des Pazifischen Ozeans schwankten um Tausende Kilometer. So waren beispielsweise die Positionsdaten der Salomoninseln, welche die Spanier Mitte des 16. Jahrhunderts entdeckt hatten, für zweihundert Jahre verloren gegangen. Selbst die Karten für vertraute europäische Gewässer waren häufig sehr ungenau. Das sogenannte Längengradproblem* wurde erst Mitte des 18. Jahrhunderts gelöst, obwohl verschiedene europäische Regierungen in den vorausgegangenen zweihundert Jahren hohe Belohnungen ausgesetzt hatten; und selbst danach dauerte es noch eine ganze Weile, bis die meisten Seeleute Zugang zu der neuen Technologie hatten und diese anzuwenden wussten.1
Wie also navigierten die Schiffer früher auf hoher See?
Abgesehen von astronomischen Beobachtungen standen ihnen drei einfache Hilfsmittel zur Verfügung: der Magnetkompass (der in Europa wohl ab dem 12. Jahrhundert genutzt wurde), das Handlog und das Handlot.
Der Kompass ermöglichte es natürlich, einen stetigen Kurs zu steuern, doch das war nicht annähernd so einfach, wie es vielleicht klingt; diese Instrumente waren für eine potenziell gefährliche Störung anfällig, die sogenannte Kompassabweichung. Magnetische Eisenobjekte an Bord des Schiffs beeinflussten die Kompassanzeige, und verwirrenderweise variierte der Einfluss, je nachdem, in welche Richtung das Schiff fuhr.
Erst im 19. Jahrhundert verstand man dieses rätselhafte Phänomen und entwickelte entsprechende Hilfsmittel. Zudem dauerte es sehr lange, bis der Mensch begriff, dass mitunter eine große Abweichung zwischen rechtweisend Nord und missweisend Nord bestand und dass sich die Werte nicht nur von Ort zu Ort unterschieden, sondern auch im Lauf der Zeit veränderten.
Das Handlog war ein bleibeschwertes, dreieckiges Holzbrett am Ende einer langen, in regelmäßigen Abständen mit Knoten versehenen Leine. Das Log wurde achtern ins Wasser gelassen und für einen bestimmten Zeitraum, der mit einer Sanduhr gemessen wurde, hinter dem Schiff hergezogen. Anhand der Anzahl von Knoten, die an der Leine abgelaufen waren, ließ sich die Geschwindigkeit des Schiffes im Wasser errechnen. Ein Knoten wurde als eine Seemeile (1,852 Kilometer) pro Stunde definiert. Diese Methode war recht effektiv, auch wenn die Kalibrierung des Logs häufig Probleme bereitete.
Das Handlot war sogar noch simpler. Es bestand schlicht aus einer langen Leine mit einem konischen Bleiklumpen am Ende, die über die Reling geworfen wurde, um die Wassertiefe zu messen. Indem man etwas Fett oder Talg in eine Höhlung am unteren Ende des Bleiklumpens schmierte, konnte man auch die Beschaffenheit des Meeresbodens bestimmen; so ließ sich feststellen, ob er beispielsweise aus Sand, Kies oder Schlick bestand. Karten von Küstengewässern zeigten die Eigenschaft des Meeresgrundes an. Solche Informationen in Verbindung mit den Tiefenangaben konnten dabei helfen, die ungefähre Position des Schiffes zu ermitteln.
Das herkömmliche Handlot nützte auf dem offenen Meer – bei einer üblichen Wassertiefe von mehreren Tausend Metern – natürlich gar nichts. Dort draußen konnten die alten Seefahrer ihre Position nur anhand eines einfachen Hilfsmittels schätzen: Sie zeichneten auf, wie lange sie in eine bestimmte Richtung gesegelt waren. Zehn Stunden Fahrt mit fünf Knoten auf einem westlichen Kurs bedeutete also, dass man sich fünfzig Seemeilen weiter westlich befand als zehn Stunden zuvor. Das war jedenfalls zu hoffen.
Indem man jede Änderung der Geschwindigkeit und der Richtung protokollierte (meist an einer schlichten Stecktafel, da die meisten Seeleute Analphabeten waren), konnte man theoretisch errechnen, wo man sich relativ zum Ausgangspunkt befand – selbst nachdem man mehrere Male Kurs und Tempo geändert hatte. Diese Methode wird als Koppelnavigation bezeichnet.2 Ihr Ursprung liegt weitgehend im Dunkeln, doch sie reicht mindestens bis ins 17. Jahrhundert zurück.
Bedauerlicherweise ist die Koppelnavigation sehr unzuverlässig. Sie ist ausgesprochen fehleranfällig, weil sich viele Störfaktoren nur sehr schwer kalkulieren lassen. Zum einen treten Strömungen auf, die selbst im tiefen Ozean stark sein können. Sie sind unmöglich zu erkennen, es sei denn, man kann die eigene Position irgendwie festmachen. Vielleicht fährt man dem Log zufolge mit fünf Knoten, und der Kompass mag als Fahrtrichtung West anzeigen; wenn aber der gesamte Ozean in Bewegung ist, segelt man möglicherweise in eine ganz andere Richtung und mit einer anderen Fahrgeschwindigkeit.
Zum anderen neigen Segelschiffe dazu, »durchzusacken«, wenn der Wind nicht genau von rückwärts weht. Mit anderen Worten: Sie driften seitlich ab, während sie sich vorwärtsbewegen. Das Ausmaß dieser Abdrift lässt sich zwar schätzen, indem man abgleicht, wie weit sich das Kielwasser gegenüber dem gesteuerten Kurs verschiebt, doch das ist keine exakte Methode.
Auch der Steuermann sollte berücksichtigt werden. Manche Rudergänger können ein Schiff gut auf Kurs halten, andere sind hingegen weniger zuverlässig. Am Ende einer jeden Wache mag dem Navigator versichert werden, dass das Schiff mit einer bestimmten Fahrt konstant nach Westen gesegelt ist, doch in Wahrheit ist es womöglich einem viel unregelmäßigeren Weg gefolgt, und auch das Tempo mag geschwankt haben. Und natürlich muss man auch immer das Wetter bedenken. Wenn ein Schiff vor einem Sturm hergetrieben wird, ist es unmöglich, überhaupt etwas zu protokollieren; und bei einer Flaute driftet es einfach dahin, den unsichtbaren Strömungen ausgeliefert. Unter solchen Umständen versagt die Koppelnavigation vollständig.
Der britische Konteradmiral George Anson leitete in den 1740er-Jahren eine berühmte Expedition, die lebhaft veranschaulichte, wie unzuverlässig die Koppelnavigation sein konnte. Nachdem Anson unter katastrophalen Bedingungen mühsam Kap Hoorn umrundet hatte, glaubte er, seine kleine ramponierte Flotte sei weit genug in den Pazifik vorgedrungen, um gefahrlos nach Norden drehen und die Westküste Südamerikas entlangsegeln zu können. Er sollte sich jedoch auf eine böse Überraschung gefasst machen.
Anson war sich sicher, die Flotte befinde sich weit draußen auf See und fernab von Land. Mitten in der Nacht feuerte das Leitschiff einen Warnschuss ab. Der Verband steuerte auf seinen Untergang zu und drohte an den Felsklippen von Feuerland zu zerschellen, doch mit knapper Not kam er noch einmal davon. Bei der Koppelnavigation hatte sich der Admiral um ungefähr 500 Seemeilen (926 Kilometer) vertan. Später scheiterte sein erster Versuch, die Juan-Fernández-Inseln ausfindig zu machen, und da die Expedition unterwegs so viel Zeit verloren hatte, starben Dutzende Seeleute an Skorbut.
Mark Twain bewegt sich im Kreis
In den 1950er-Jahren bahnte sich ein gänzlich neues navigatorisches Problem an, als Atom-U-Boote entwickelt wurden, die monatelang abgetaucht operieren konnten. Zu jener Zeit war die Himmelsnavigation zwar längst ausgereift, und auch verschiedene funkgestützte Formen der Positionsbestimmung waren verfügbar, doch für Schiffe, die tief unter der Meeresoberfläche patrouillierten, standen solche Instrumente nicht bereit.3
Die Lösung lieferte ein Navigationssystem,