Das Haus des Meisters. Jochen Nöller

Das Haus des Meisters - Jochen Nöller


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die Beine und ging in gebückter Haltung und mit gesenktem Kopf voraus.

      Ursay war sprachlos. Dieser Kunde war eindeutig etwas Besonderes, kein Wunder, dass sich der General so ominös ausgedrückt hatte. Ein Junge mit einer verzauberten Robe, ohne jegliches Wissen über Sklavenhaltung und dennoch … Seinen Primär musste er nicht entsorgen, dafür hatte der junge Herr gesorgt. Nur war es jetzt eine Art Befehl, der Befehl eines Knaben, der ihn dazu zwang, seinen Sklaven zu verschonen. Er schüttelte den Kopf und vertrieb diese wirren Gedanken. Ein angesehener und vor allem reicher Kunde musste zufriedengestellt werden. Sein Händlerherz schlug beim Gedanken an das viele Geld, das er verdienen konnte, schneller.

      Nur kurz abreagieren, dachte er sich und rief zwei seiner Haussklaven herbei. Nach ein paar gezielten Schlägen lag der eine am Boden und die schlechte Laune des Geschäftsmannes war wie weggeblasen – oder vielmehr weggeschlagen. Er gluckste über seinen Wortwitz und ging, sich die Hände reibend und in Erwartung eines einfachen Geschäftes mit viel Profit, zu dem Kunden. Der zweite Sklave schleifte den Bewusstlosen weg und machte anschließend sauber.

      Unbekannt

       Der weiße Tiger

      »Aufstehen, ihr Faulpelze! Alle in einer Reihe aufstellen«, schallte die Stimme des Primärs durch die Sklavenunterkunft. Geschmeidig erhob sich der weiße Tiger und reihte sich gehorsam ein. Er war wie alle Wesen hier nur mit einem braunen Lendenschurz bekleidet und schaute mit trostlosem Blick zu Boden. Dabei dachte er allerdings über seine Situation nach.

      Vor 123 Monden war er noch frei gewesen, nun fristete er sein Leben als Sklave. Abgerichtet. Gebrochen? Nein! Einen kleinen Teil seines Willens hatte er sich bewahren können. Den anderen und vor allem dem Primär, diesem unbarmherzigen Bastard, gegenüber spielte er den willigen Sklaven. Doch er wartete nur auf seine Chance zur Flucht. Lange hatte er ausharren müssen und unzählige Erniedrigungen eingesteckt. Er konnte schon gar nicht mehr zählen, wie oft man ihn missbraucht hatte.

      »Das ist nur zu deinem Besten«, hatte der Primär beim ersten Mal gesagt. »Wenn dein Meister mit dir unzufrieden ist, bist du tot. Also hör auf zu flennen und steh deinen Mann.«

      Es hatte viel zu lernen gegeben. Wie man seinem Meister jeden Wunsch von den Augen ablas, wie man sich zu benehmen hatte, wie man sich in Form hielt, wie man zum perfekten Sexspielzeug wurde. 10 Jahre und 3 Monate waren eine verdammt lange Zeit in Gefangenschaft.

      Und er wusste, dass seine Uhr ablief. Er war auf der Höhe seiner körperlichen Attribute. In ein paar Jahren würde kein Hahn mehr nach ihm krähen und dann wäre es um ihn geschehen. Also gab er stets sein Bestes, um perfekt auszusehen. Er wusste, dass die Kunden nur die mitnahmen, die ihnen auf Anhieb gefielen. Schon vier Mal war der weiße Tiger in die Endausscheidung gekommen und doch war er immer noch hier. Ein wenig Glück und die Fähigkeit sich zu präsentieren, gehörten eben auch dazu.

      Ein neuer Kunde war vielversprechend. Je mehr Käufer kamen, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, gewählt zu werden. Aber neue Kunden waren auch problematisch, stellten einen Risikofaktor dar. Wie würde der neue Besitzer seine Sklaven behandeln? Was waren die Vorlieben dieses Menschen? Diese und noch viel mehr Fragen wurden insgeheim diskutiert, solange die Wesen unter sich waren, fernab der wachsamen Augen ihrer Peiniger. Schon so einige Wesen hatten die Gunst eines Käufers erregt und waren dem Schlächter Ursay entkommen. Ob es ihnen allerdings besser erging als den Zurückgebliebenen, wusste keiner. Also blieb ihnen nur die Hoffnung. Hoffnung auf ein besseres Leben. Hoffnung auf einen guten Meister.

      Der Primär kam zurück in den Raum und stellte die Reihe nach seinem Willen um. Nun war der Tiger weit hinten und würde als letztes drankommen. Auch wenn ihm das nicht zusagte, verzog er keine Miene. Für die Wesen war der Primär des Händlers nicht einer der ihren, sondern eine Abscheulichkeit, ein Verräter und ein Monster, der wie alle Menschen, den Tod verdiente.

      Mit wachsamen gelben Augen prüfte die rechte Hand des Schlächters die Ware, wobei er penibel Haltung und Aussehen begutachtete.

      »Du«, keifte der Teufel und zeigte auf einen Hundesklaven. »Dein Blick gefällt mir nicht und dein Aussehen ebenso wenig. Raus aus der Reihe oder muss ich nachhelfen?«

      Gehorsam trottete der angesprochene Sklave aus der Reihe und zu seinem Strohhaufen.

      »Mach dich nützlich, Sklave. Wenn ich wiederkomme, hast du alles Stroh hier erneuert, sonst…« Mit einem dämonischen Grinsen im Gesicht wandte der Primär sich ab. »So, alle anderen der Reihe nach und zeigt euch von eurer besten Seite.«

      Im Vorzimmer angekommen, mussten alle warten, um dann einzeln durch den Vorhang zu treten. Der weiße Tiger spitzte die Ohren und versuchte, die Kommentare des Kunden zur präsentierten Ware aufzuschnappen. Allerdings konnte er nur vereinzelte Wörter hören.

      »Also die Otter …«

      »… mein Herr … nicht zu verkaufen … schlechte Ware …«

      Oh, die Otterbrüder. Ja, von denen hatte der Tigersklave gehört. Sie waren verkauft und zwei Tage später wieder zurückgebracht worden. Was genau vorgefallen war, wusste er nicht. Zu viel Neugierde war gefährlich. Am Ende war es auch egal, denn er kannte die Strafe für Misserfolg: den Tod.

      Der Primär hatte also einen Fehler gemacht und dem Kunden schlechte Ware präsentiert. Sein Herz machte einen schadenfrohen Sprung, wobei er darauf achtete, seine Maske aufrecht zu erhalten. Es geschah diesem Sadisten recht, auch einmal gezüchtigt zu werden. Für diesen Fehler würde der gelbe Tiger leiden müssen, das stand fest. Er verkniff sich ein Grinsen, denn er konnte die wachsamen gelben Augen auf sich gerichtet spüren. Der weiße Tiger wusste, nur ein kleiner Fehler und er hätte keine Chance, sein Glück bei dem Kunden zu versuchen. Sekunden wurden zu Stunden und als sich der Primär von ihm abwandte, atmete er erleichtert aus. Das war nochmal gut gegangen.

      Plötzlich kam Bewegung in das Monster und es stürzte sich auf eines der Wesen. »Was gibt es denn da zu grinsen, Abschaum?«, frage der Primär wütend. Der gelbe Tiger war allen anderen was Größe und Muskeln betraf deutlich überlegen und hatte keine Mühe, sein Opfer mit einer seiner Pranken gegen die Wand zu pressen. Ohne eine Antwort abzuwarten, traf die Faust des Monsters den wehrlosen Sklaven und dieser sackte bewusstlos zu Boden.

      »Du, räum den Müll hier weg und stell dich wieder in die Reihe«, schnauzte er das nächstbeste Wesen an. Sein Blick glitt über die verängstigten Wesen und nun zeigte sich auf seinem Gesicht ein dämonisches Grinsen. Der Primär war die rechte Hand des Teufels und das zeigte er auch. Schnell wurde sein Befehl umgesetzt, während das Monster an seinen Platz am Vorhang zurückging.

      »Der Nächste«, knurrte der gelbe Tiger und sofort trat der erste in der Reihe durch den Vorhang.

      »Hm…«, war alles was der Tigersklave vom Kunden hören konnte. Einer nach dem anderen stieg durch den Vorhang und wurde abgelehnt. Der Kunde war offenbar sehr wählerisch.

      Als der vorletzte Sklave zum Vorzeigen ging, konnte der weiße Tiger einen schnellen Blick auf den Kunden erhaschen. Ein Junge, ein halbes Kind. Na, wenn das nicht seine Chance war, endlich hier herauszukommen und zu fliehen. Angestrengt dachte er über seine Möglichkeiten nach.

      »Du bist dran, Kleiner«, schnaubte der Primär abfällig und drängte ihn, sich zu beeilen.

      Guten Mutes schritt er majestätisch durch den Vorhang. Nach vier Schritten hatte er die Plattform direkt vor den beiden Menschen erreicht. Die Augen des Jünglings fixierend streckte er sich und zeigte seinen Körper. Der Kunde ließ den Blick über ihn wandern. Ein seltsamer Ausdruck lag in diesen blauen Augen, aber das störte ihn nicht und so wartete er geduldig ab. Genau in dem Moment, als der Blick des Knaben auf seinem Lendenschurz ruhte, setzte er seinen Plan um. Mit einer eleganten Bewegung durchschnitt der Tiger mit einer seiner scharfen Krallen den dünnen Stoff und entblößte sich völlig.

      Dazu räkelte er sich ausgiebig und schenkte dem Knaben einen verführerischen Blick. Früher hätte er sich geschämt, nackt vor einem anderen so zu posieren. Früher… Das war lange Vergangenheit. Vor der Gefangenschaft; vor dem, was man ihm


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