Compliance Management im Unternehmen. Martin R. Schulz
der Unternehmensleitung – das sog. „Organisationsverschulden“ – führt. Es entspricht zwischenzeitlich der wohl überwiegenden Auffassung, dass der Vorstand im Rahmen seiner Legalitätspflicht dafür Sorge zu tragen hat, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverstöße wie etwa Schmiergeldzahlungen an Amtsträger oder an Privatpersonen erfolgen. Seiner Organisationspflicht genügt ein Vorstandsmitglied bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet. Entscheidend für den Umfang im Einzelnen sind dabei Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch Verdachtsfälle aus der Vergangenheit. Die Einhaltung des Legalitätsprinzips und demgemäß die Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems gehört damit zur Gesamtverantwortung des Vorstands.175 Auch hier kommt neben einer zivilrechtlichen Haftung eine eigenständige strafrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder der Geschäftsleitung sowie der aufgrund der Delegation beauftragten Mitarbeiter in Betracht.
b) Gremienentscheidungen
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Die Entwicklung hin zu einer Gesamtverantwortlichkeit der Leitungsgremien des Unternehmens hat ihren Ausgang in der sog. „Lederspray-Entscheidung“ aus dem Jahre 1990 genommen.176 Die Angeklagten waren hier Geschäftsführer mehrerer (verbundener) Gesellschaften, die sich u.a. mit der Herstellung und dem Vertrieb von Lederspray befassten. Nach Eingang von Meldungen über signifikante Gesundheitsschädigungen nach Gebrauch des Ledersprays hat die mehrköpfige Geschäftsführung in einer extra einberufenen Sitzung zwar eine Veränderung des produktspezifischen Warnhinweises beschlossen, nicht jedoch eine öffentliche Warnung oder gar einen Produktrückruf des vertriebenen Ledersprays. Sowohl das erstinstanzlich zuständige Landgericht Mainz als auch der Bundesgerichtshof sahen in dem weiteren Inverkehrbringen des Ledersprays eine vorsätzliche gefährliche Körperverletzung und in dem Unterlassen des Produktrückrufes eine vorsätzliche gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen sämtlicher Geschäftsführer. Obwohl sich einer der Geschäftsführer zunächst sogar für eine Rückrufaktion ausgesprochen hatte, sich jedoch mit seiner Meinung nicht durchsetzen konnte und sich der Mehrheitsmeinung angeschlossen hatte, hat der Bundesgerichtshof jedenfalls in Krisensituationen, in denen das Unternehmen als Ganzes betroffen ist, eine Gesamtverantwortlichkeit der Geschäftsleitung angenommen mit der Folge, dass auch im Falle eines (Mehrheits-)Beschlusses eines Kollegialorganes ausschließlich das Gesamtverhalten des Kollegialorganes strafbarkeitsbegründend ist. Unter Anwendung dieses Grundsatzes der Generalverantwortung und Allzuständigkeit der Geschäftsleitung hat der Bundesgerichtshof sämtliche an der Abstimmung Beteiligten als Mittäter gemäß § 25 Abs. 2 StGB angesehen. Mit dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1990 wurde ein Paradigmenwechsel eingeleitet, der im Hinblick auf die Strafbarkeit im Unternehmen unmittelbar bei der Unternehmensleitung ansetzt und insofern zu einer „Top down-Zurechnung“ führt.177 Die Rechtsprechung im Unternehmensstrafrecht bewegt sich damit von dem ursprünglichen Grundsatz der individuellen Verantwortlichkeit einer natürlichen Person in Richtung einer Art Kollektivhaftung aller Gremienmitglieder für eine rechtswidrige Entscheidung im Kollegialorgan.
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War Gegenstand des „Lederspray-Falles“ trotz der Äußerung von Bedenken noch eine einheitliche kollegiale Entscheidung, so musste sich der Bundesgerichtshof im „Mannesmann-Urteil“178 im Jahre 2005 darüber hinaus mit der Frage der Strafbarkeit einer Enthaltung eines Gremienmitgliedes befassen. In dieser Entscheidung hat der BGH die Strafbarkeit eines Mitgliedes eines Kollegialorganes (hier des Aufsichtsrates) angenommen, obwohl dieses sich bei der Fassung des (rechtswidrigen) Beschlusses der Stimme enthalten hat. In Kenntnis der Mehrheitsverhältnisse führe der sich Enthaltende durch seine Stimmenthaltung vorsätzlich die Wirksamkeit eines Beschlusses herbei, so dass ihm die (strafrechtlich relevante) Mehrheitsentscheidung als Mittäter zuzurechnen ist.
c) Delegation von Verantwortungsbereichen
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Der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit der Geschäftsleitung, der auch zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Gesamtorgans führt, gilt jedoch ausweislich der Rechtsprechung zunächst einmal nur in den Situationen, in denen das Unternehmen als Ganzes betroffen ist. Von dem insoweit aus dem Gesellschaftsrecht übertragenen „Prinzip der gemeinschaftlichen Geschäftsführung“179 gibt es in der Praxis jedoch relevante Ausnahmen. So erfolgt in der Praxis allein aus Gründen der Effektivität im Regelfall eine Verteilung der Geschäftsführungsaufgaben auf die Mitglieder der Kollegialorgane. Von dem Prinzip der Gesamtgeschäftsführung abweichende Organisationsformen sind insoweit etwa die Einräumung einer Einzelgeschäftsführungsbefugnis (verbunden mit einem Alleinvertretungsrecht) an einzelne Organmitglieder, die Vereinbarung von Verantwortlichkeiten für einzelne Ressourcen (z.B. Produktion, Vertrieb, Finanzen, HR oder Recht) sowie die Einräumung einer auf bestimmte Sparten des Unternehmens bezogenen Einzelgeschäftsführungsbefugnis.180 Die Festlegung solcher Abweichungen vom Prinzip der Gesamtgeschäftsführung im Rahmen der Satzung oder der Geschäftsordnung sind gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG auch bei der Aktiengesellschaft zulässig und führen dazu, dass die jeweils geschäftsführungsbefugten Vorstandsmitglieder im Rahmen der ihnen eingeräumten Einzelgeschäftsführungsbefugnis eigenverantwortlich handeln. Eine solche Geschäftsverteilung oder Ressortaufteilung auf der Ebene der Geschäftsführung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs181 jedoch eine klare und eindeutige Abgrenzung der Geschäftsführungsaufgaben aufgrund einer von allen Mitgliedern des Organs mitgetragenen Aufgabenzuweisung voraus, die die vollständige Wahrnehmung der Geschäftsführungsaufgaben durch hierfür fachlich und persönlich geeignete Personen sicherstellt und ungeachtet der Ressortzuständigkeit eines einzelnen Geschäftsführers die Zuständigkeit des Gesamtorgans insbesondere für nicht delegierbare Angelegenheiten der Geschäftsführung wahrt. Eine diesen Anforderungen genügende Aufgabenzuweisung bedarf nicht zwingend einer schriftlichen Dokumentation, wenngleich die schriftliche Dokumentation regelmäßig das naheliegende und geeignete Mittel für eine klare und eindeutige Aufgabenabgrenzung darstellt.182
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Im Hinblick auf die Kernaufgaben der Unternehmensleitung unterliegt eine solche „horizontale Delegation“ jedoch bestimmten Grenzen. Nicht zulässig ist die Delegation der grundsätzlichen Planungs- und Steuerungsverantwortung, der Organisationsverantwortung, der Finanzverantwortung sowie nach herrschender Auffassung auch der Verantwortung für die Einrichtung einer Compliance-Organisation, die zu den „unveräußerlichen Leitungsaufgaben des Gesamtvorstandes“ gehört.183 Unzulässig ist demnach eine vollständige Delegation der vorbezeichneten Aufgaben an einzelne Vorstandsmitglieder oder gar andere Mitarbeiter sowie die Delegation von Einzelaufgaben, die dem Gesamtvorstand etwa konkret durch das Aktiengesetz übertragen sind.184 Unabhängig von der (zulässigen) Delegation verbleibt es damit bei einer Gesamtverantwortung aller Gremienmitglieder für die ordnungsgemäße und rechtmäßige Gesamtleitung des Unternehmens. Insofern hat das Kollegialorgan sicherzustellen, dass der Gesamtvorstand im Falle der Delegation von dem ressortmäßig zuständigen Mitglied ordnungsgemäß informiert wird und die (delegierte) Einzelverantwortlichkeit kontrolliert und überwacht wird. Um sicherzustellen, dass die Unterrichtungspflicht ordnungsgemäß wahrgenommen wird, ist der Vorstand darüber hinaus verpflichtet, ein System ordnungsgemäßer Berichterstattung einzurichten, das den anderen Kollegialmitgliedern die Wahrnehmung ihrer Kontroll- und Überwachungspflicht ermöglicht. Bestehen Anhaltspunkte für eine sorgfaltswidrige oder nicht rechtmäßige Geschäftsführung durch ein Mitglied eines Kollegialorganes, so hat das Gesamtorgan nicht nur ein Rückholrecht, sondern eine Interventionspflicht, um die Problematik dann im Rahmen einer verbindlichen Kollegialentscheidung zu lösen.
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Da die Geschäftsleitung in der Praxis naturgemäß nicht sämtliche Entscheidungen selbst treffen kann, ist auch eine Delegation der Aufgabendurchführung auf untergeordnete Mitarbeiter oder gar externe Dritte, die sog. „vertikale