Compliance Management im Unternehmen. Martin R. Schulz
die Pflicht (vgl. § 13 MiLoG). Zum anderen eröffnet nur ein effizientes Compliance-System die Chance, nicht (oder nur eingeschränkt) für Regelverstöße anderer Personen zu haften (vgl. § 12 AGG).2 Der Unternehmer kann seine Verantwortung (teilweise) auf Dritte übertragen, beispielsweise auf interne oder externe Beauftragte für Datenschutz oder Arbeitssicherheit. Dies setzt freilich weitere Maßnahmen wie die sorgfältige Auswahl, Schulung und Kontrolle der Mitarbeiter voraus.3
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Schließlich handeln viele Unternehmer aus dem aufrichtigen Wunsch, ihren Wertvorstellungen und Überzeugungen jenseits des Betriebsgeländes ein Stück weit Geltung zu verschaffen. Ein guter „Code of Conduct“ regelt nicht nur, wie sich das Unternehmen und seine Mitarbeiter im Geschäftsleben verhalten, sondern vermittelt den Adressaten auch die intrinsischen Motive für solche Vorgaben. Dies sind die geltenden Gesetze, aber immer häufiger auch die Werte des Unternehmens.4 Viele Verhaltenskodizes erklären und werben für ihre Vorgaben. Wer seine Mitarbeiter von einer gemeinsamen „Mission“ überzeugen kann, wird mit seinem „Code of Conduct“ auf größere Zustimmung stoßen, als jemand, dem es nur darum geht, die gesetzlichen Standards sicher zu stellen.
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Teilweise wird dieses „ethische Bekenntnis“ auch zur Imagepflege und in der Kommunikation mit den Stakeholdern eingesetzt. Ein Unternehmen, das im Fokus öffentlicher Kritik oder behördlicher Ermittlungen steht, kann so möglicherweise seine Glaubwürdigkeit verteidigen oder wiederherstellen.
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Häufig hat sich auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine nachhaltige Unternehmenspolitik nicht auf dem Ansatz „race to the bottom“ beruhen kann.5 Dies gilt insbesondere im Wettbewerb um Fachkräfte und Talente. Gerade bei den Arbeitsbedingungen bieten viele Unternehmen mittlerweile auch dort einen möglichst hohen Standard, wo er nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Compliance wird so zu einem Standortvorteil.
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Ein effizientes Compliance-System setzt nicht zwangsläufig einen voluminösen Verhaltenskodex voraus. Gleichwohl ist die Einführung eines „Code of Conduct“ häufig das Mittel der Wahl. Dies hängt auch damit zusammen, dass so ein sichtbarer Nachweis der eigenen Anstrengungen auf diesem Gebiet geschaffen wird.6
II. Ausgestaltung
1. Erscheinungsformen
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„Code of Conduct“ ist ein schillernder Begriff. Es gibt weder eine generelle Verpflichtung zur Einführung noch einen „Goldstandard“ bei der Ausgestaltung. Zahlreiche Verhaltenskodizes sind über das Internet frei zugänglich; sie unterscheiden sich in Umfang und Inhalt deutlich.
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Manche Unternehmen umreißen im „Code of Conduct“ die ethischen Grundprinzipien ihres Handelns. Sie bekennen sich zu gegenseitigem Respekt, zu fairem Verhalten im Geschäftsleben, zu „Loyalität“ und zu einem guten Arbeitsklima. Sie versprechen, das (geistige) Eigentum, die Privatsphäre und Würde anderer Menschen zu achten. Und sie verurteilen Kinderarbeit, Mobbing, Diskriminierung und sexuelle Belästigung. Ein solcher Verhaltenskodex beschreibt eher das Selbstverständnis eines Unternehmens, als dass er neue Regeln für die Belegschaft formuliert.
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Für die Mitarbeiter haben solche „ethischen Bekenntnisse“ vor allem dann zusätzliche rechtliche Relevanz, wenn sie für ein Tendenzunternehmen arbeiten.7 Gleichwohl sollte man die Bedeutung eines „Code of Conduct“, der die Belegschaft auf gemeinsame Grundprinzipien einschwört, nicht unterschätzen: Compliance ist mehr als schlichte Regelkonformität. Vielmehr geht es um die Organisation rechtskonformen Verhaltens im Unternehmen.8 Der Erfolg der Compliance-Organisation basiert allerdings nicht nur auf regelbasierten Vorgaben, sondern hängt maßgeblich auch von einer entsprechenden Werteorientierung der Unternehmensangehörigen ab (Regelbefolgung und Integrität als Bestandteile der „Compliance-Kultur“).9 Die Formulierung von Werten gibt den Unternehmensangehörigen zudem Orientierung, insbesondere für diejenigen Fragen und Fallkonstellationen, die nicht bzw. nicht eindeutig durch Regeln erfasst bzw. geklärt sind.10 Ein Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern glaubhaft vermitteln kann, welche Werte das Unternehmen verkörpert und warum sich ein entsprechendes Engagement lohnt, erreicht damit m.E. etwas anderes, aber nicht weniger als mit einem ausgefeilten Regelwerk.
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Andere Unternehmen skizzieren (darüber hinaus) die aktuelle Gesetzeslage in sensiblen Bereichen und halten ihre Belegschaft mehr oder weniger eindringlich zur Rechtstreue an. Ein derartiger Verhaltenskodex betont beispielsweise die Strafbarkeit von Geldwäsche, Vorteilsgewährung oder unlauterem Wettbewerb. Die Belegschaft wird ausdrücklich auf die Einhaltung von Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen verpflichtet. Häufig stellt ein solcher „Code of Conduct“ auch die besondere Bedeutung bestimmter Pflichten aus dem Arbeitsvertrag (Verschwiegenheit, Umgang mit Firmeneigentum etc.) heraus. Konsequenterweise enthält der Verhaltenskodex schließlich einen Hinweis, dass ein Verstoß gegen diese Vorgaben gravierende Folgen für das Unternehmen und für das Arbeitsverhältnis haben kann: „Neben arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer fristlosen Kündigung kann ein Fehlverhalten auch strafrechtliche Folgen haben, die von einer Geldstrafe bis hin zu einer Freiheitsstrafe reichen.“
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Der „Code of Conduct“ konkretisiert in diesen Fällen die bereits qua Gesetz oder Vertrag bestehenden Pflichten. Außerdem wird den Mitarbeitern und dem Management verdeutlicht, dass das Unternehmen ein großes Interesse an der Einhaltung und Erfüllung dieser Pflichten hat. Ob ein Fehlverhalten aber tatsächlich zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt, ist eine Frage des Einzelfalls. Verhaltensbedingte Kündigungen setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Eine Warnung in einer Betriebsvereinbarung oder in einem Verhaltenskodex kann eine vorweggenommene Abmahnung darstellen, die den Arbeitgeber berechtigt, sofort nach dem ersten Verstoß zu kündigen.11 Dies kommt allerdings nur bei besonders hervorgehobenen wesentlichen Pflichten oder konkreten schweren Pflichtverletzungen in Betracht.12 Der Arbeitgeber kann nicht eine Vielzahl von Pflichten pauschal unter den Vorbehalt einer sofortigen Kündigung stellen – weder in einem Arbeitsvertrag noch in einem „Code of Conduct“.
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Schließlich gibt es Verhaltenskodizes, die ein umfangreiches und detailliertes Regelwerk zu zahlreichen Aspekten des Arbeitsalltags im Unternehmen enthalten. Der „Code of Conduct“ setzt nicht nur das geltende Recht um, sondern stellt zusätzlich eigene Verhaltensregeln auf. Das Spektrum der Themen, die adressiert werden, kann von ganz grundsätzlichen Wertentscheidungen über arbeitsrechtliche Verhaltensvorgaben (Meldepflichten und „Whistleblowing“) bis hin zu kleinteiligen Regelungen des Betriebsablaufs (Torkontrollen, unbezahlte Freistellungen) reichen. Der „Code of Conduct“ ist dann häufig ein sogenanntes „Employee Handbook“ mit einer umfassenden Betriebsordnung (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). Manchmal existieren Vorbilder bei einer ausländischen Muttergesellschaft, die möglichst originalgetreu bei der deutschen Tochtergesellschaft umgesetzt werden.
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Verhaltenskodizes, die nach diesem Muster entworfen sind, können ein „großer Wurf“ sein. Allerdings besteht die Gefahr, dass es zu unerfreulichen Diskrepanzen zwischen Regelungen des „Code of Conduct“ und den Vorgaben deutscher Gesetze kommt. Viele Lebensbereiche, die im Ausland der Regelungshoheit der Parteien überlassen bleiben, sind in Deutschland gesetzlich ausgeformt. So mag eine umfassende Regelung, ob und zu welchen Bedingungen Elternzeit gewährt wird oder wie bei wiederholtem Zuspätkommen eines Mitarbeiters vorzugehen ist, in manchen US-amerikanischen Bundesstaaten sinnvoll sein. In Deutschland unterwirft sich der Arbeitgeber dagegen möglicherweise durch derartige Regelungen ohne Not zusätzlichen Beschränkungen. Besonders nachteilig können sich solche Regelungen auswirken, wenn das Unternehmen sich verpflichtet, vor einer Kündigung ein ausgefeiltes Beschwerdeverfahren („grievance procedure“) zu durchlaufen. Die unternehmensinternen Vorgaben (z.B. eine zeitaufwendige Anhörung) sollten beispielsweise nicht dazu führen, dass der Arbeitgeber zwingende gesetzliche