Compliance Management im Unternehmen. Martin R. Schulz
– Geschäftsführung, Mitarbeiter, Geschäftspartner – auch verbindlich ist. Ausnahmen mögen für reine „Mission Statements“ gelten, die eher auf die öffentliche Wahrnehmung als auf die eigene Belegschaft abzielen.
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Soweit es darum geht, Geschäftspartner rechtlich an bestimmte Vorgaben zu binden (etwa das Verbot von Kinderarbeit oder die Garantie eines Mindestlohns), muss das Unternehmen auf einer ausdrücklichen Vereinbarung bestehen.14 Ob dies gelingt, ist häufig eine Frage der Markt- bzw. Verhandlungsmacht. Tatsächlich müssen Dienstleister und Zulieferer großer Unternehmen immer häufiger Erklärungen dahingehend abgeben, dass ihre Geschäftspraktiken im Einklang mit den ethischen und rechtlichen Erwartungen des Auftraggebers stehen. Umgekehrt werden entsprechende Erklärungen seltener verlangt und kaum abgegeben. Die Wirkung solcher Vereinbarungen hängt ganz entscheidend davon ab, ob die Vereinbarung nach Unterzeichnung noch praktische Relevanz entfaltet oder schlicht im Firmenarchiv endet.
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Soll der Verhaltenskodex in der eigenen Belegschaft eingeführt werden, bieten sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten an. Der Arbeitgeber kann sein Regelwerk entweder auf der einzelvertraglichen Ebene umsetzen oder eine entsprechende Betriebsvereinbarung abschließen. Teilweise müssen auch beide Wege parallel beschritten werden: Eine Betriebsvereinbarung entfaltet keine Wirkung für leitende Angestellte oder Geschäftsführer; in diesen Fällen muss eine individualvertragliche Regelung erfolgen. Umgekehrt genügen einzelvertragliche Lösungen dort nicht, wo betriebsverfassungsrechtliche Mitwirkungsrechte bestehen und der Betriebsrat zwingend zu beteiligen ist.
1. Individualvertragliche Umsetzung
a) Weisungsrecht des Arbeitgebers
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Der Arbeitgeber wird zunächst prüfen, ob er die gewünschten Verhaltensregeln durch schlichte arbeitsrechtliche Weisung in das Anstellungsverhältnis einführen kann. Nach § 106 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleitung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht bereits durch höherrangiges Recht festgelegt sind.
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Dies gilt selbstverständlich für alle Weisungen, die sich auf die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung beziehen. Solche tätigkeitsbezogenen Weisungen, die beispielsweise den richtigen Umgang mit Gefahren am Arbeitsplatz oder mit personenbezogenen Daten betreffen, sind zumeist unproblematisch. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kommt ebenfalls nicht in Betracht, solange es nur um das sogenannte Arbeitsverhalten geht.
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Das Weisungsrecht gilt grundsätzlich aber auch für Vorgaben zur Ordnung und zum Verhalten der Mitarbeiter im Betrieb.15 Sofern es sich nicht um einen Einzelfall handelt, steht dem Betriebsrat insofern ein Mitbestimmungsrecht zu (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).
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In jedem Fall beschränkt sich das arbeitsrechtliche Direktionsrecht darauf, die bestehenden vertraglichen Pflichten zu konkretisieren; der Arbeitgeber kann auf diesem Wege nicht die bestehenden Absprachen ändern oder neue Verpflichtungen einführen.16
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Für ein breites Spektrum compliance-relevanter Vorgaben, die üblicherweise den Kern vieler Verhaltenskodizes ausmachen, müssen aber meist keine neuen Pflichten begründet werden.
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Zum einen treffen Management und Mitarbeiter weitreichende Loyalitäts-, Treue- und Rücksichtnahmepflichten gegenüber ihrem Arbeitgeber. Sie sind verpflichtet, alle Handlungen zu unterlassen, die den Arbeitgeber, sein Eigentum und seine geschäftlichen Interessen schädigen könnten. Dies bedeutet beispielsweise auch, dass ein Arbeitnehmer das Unternehmen vor möglicherweise drohenden Schäden warnen muss.17 Grundlage dieser Verpflichtung ist die allgemeine Leistungstreuepflicht (§ 242 BGB)18 bzw. das Gebot zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB),19 die bzw. das impliziter Bestandteil jedes Schuldverhältnisses ist. Insoweit bedarf es keiner ausdrücklichen Vereinbarung.
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Zum anderen wird jedes Anstellungsverhältnis nachhaltig durch die besonderen persönlichen Bindungen der Vertragspartner geprägt. Daraus resultieren Nebenpflichten, deren praktische Bedeutung teilweise deutlich weiter reicht als in anderen Schuldverhältnissen:
– Vertragliche Wettbewerbsverbote,
– Schutz von (geistigem) Eigentum des Arbeitgebers,
– Schutz von Geschäftsgeheimnissen,
– Wahrung der betrieblichen Ordnung.
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Auch in diesen Fällen bedarf es keiner ausdrücklichen Vereinbarung; die entsprechenden Pflichten verstehen sich grundsätzlich von selbst.
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Schließlich enthalten viele Anstellungsverträge üblicherweise eine Reihe von Vorschriften, die unmittelbar darauf abzielen, ein gesetzeskonformes Verhalten der Mitarbeiter sicherzustellen. Dazu zählen Vorgaben zum Umgang mit Interessenkonflikten und Geschenken, zu (persönlichen) Äußerungen in der Öffentlichkeit, zur Nutzung von E-Mail und Internet oder zum Umgang mit personenbezogenen Daten. Typische Beispiele sind auch Vereinbarungen, mit denen bestimmte Arbeitgeberpflichten (z.B. für Arbeitssicherheit) vertraglich auf einen Arbeitnehmer übertragen werden. Die Regelungsdichte nimmt tendenziell zu, je höher der Vertragsinhaber in der Unternehmenshierarchie angesiedelt ist. Besonders ausgeprägt sind solche Vorschriften in der Finanzbranche; teilweise setzen die Anstellungsverträge zwingende Vorgaben des Kreditwesengesetzes oder der Institutsvergütungsverordnung unmittelbar um (z.B. das Verbot einer privaten Absicherung gegen die Risiken eines Selbstbehalts bei einer D&O-Versicherung oder gegen den Verlust einer aufgeschobenen variablen Vergütung). Auch hier kann der Arbeitgeber vertraglich bereits begründete Pflichten im Rahmen seines Weisungsrechts einseitig weiter konkretisieren und ausgestalten.
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Das arbeitsrechtliche Direktionsrecht besteht nur im Rahmen billigen Ermessens (§ 315 BGB). Der Arbeitgeber muss alle wesentlichen Umstände, insbesondere die berechtigten Interessen der betreffenden Mitarbeiter, angemessen berücksichtigen und sie mit seinen eigenen Belangen abwägen, bevor eine Weisung ergeht. Diese Grenze wird häufig (aber keineswegs immer) dann überschritten, wenn sich eine Regelung auf das außerdienstliche Verhalten der Mitarbeiter erstreckt. Gerade ethisch motivierte Vorgaben mit hohem Sendungsbewusstsein sind häufig mit Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen der Arbeitnehmer verbunden; hier kommt es auf die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall an.20
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Vor diesem Hintergrund wird ein Unternehmen seinen Verhaltenskodex vor allem dann mittels Weisung einführen, wenn es „nur“ darum geht, bereits bestehende Pflichten zu wiederholen bzw. zu konkretisieren, die Grenzen des „billigen Ermessen“ sicher gewahrt werden und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht einschlägig sind. Der Arbeitgeber veröffentlicht den „Code of Conduct“ regelmäßig im Intranet und stellt ihn den Mitarbeitern auch per E-Mail oder als Broschüre zur Verfügung. Ratsam sind individuelle Empfangs- und Lesebestätigungen. Die Vorzüge dieser Vorgehensweise liegen auf der Hand: Der Arbeitgeber kann einen „Code of Conduct“ ohne großen Aufwand einführen und auch kurzfristig wieder ändern. Diese Flexibilität kann sich als großer Vorteil erweisen; die internen und externen Anforderungen an den Verhaltenskodex ändern sich erfahrungsgemäß rasch.
b) Vertragliche Vereinbarung
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Der Arbeitgeber kann einen Verhaltenskodex auch mittels einzelvertraglicher Vereinbarungen im Unternehmen einführen. Diese Option kommt in Betracht, wenn das arbeitsrechtliche Direktionsrecht alleine nicht ausreicht, um den „Code of Conduct“ zu implementieren. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Unternehmen nicht nur die bestehenden Pflichten konkretisieren,