Polizeirelevante psychische Störungen. Lena Posch

Polizeirelevante psychische Störungen - Lena Posch


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einem Kontinuum zwischen den Polen gesund und krank (oder geringe Ausprägung = 1 bis hohe Ausprägung = 10) erfasst.

      Dabei kann ein dimensionales Klassifikationssystem auch mit einem kategorialen Ansatz verknüpft werden: Um zu entscheiden, wann auf diesem Kontinuum eine psychische Krankheit vorliegt oder nicht vorliegt (und ggf. in welchem Schweregrad), kann man einen quantitativen Grenzwert (Schwelle) festlegen und sich dazu verschiedener Normen bedienen:

      – Statistische Norm: als krank gilt, was statistisch gesehen selten ist.

       Dabei wird ein Bereich um den Mittelwert (entspricht „Normalität“) herum definiert (68,2 % = von -1 bis +1 Standardabweichung), der als „normal“ bzw. durchschnittlich angesehen wird. In diesem Bereich befinden sich die meisten (=68,2 %) Menschen. Je weiter man unterhalb der Normalverteilungskurve zu den Randbereichen vordringt, desto weniger Menschen befinden sich in diesen (-1 bis -2 und +1 bis +2 Standardabweichungen je 13,6 %, -2 bis -3 und +2 bis +3 Standardabweichungen je 2,1 %), d. h. desto seltener liegt im Fall der Definition einer psychischen Störung ein bestimmter psychischer Zustand vor. Das wiederum bedeutet, dass dieser Zustand immer weiter vom Durchschnitt (68,2 % um den Mittelwert herum) abweicht und somit als zunehmend kränker angesehen wird.

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      Abb. 1 Normalverteilungskurve

      – Funktionelle Norm: als krank gilt, was Menschen daran hindert, sich gemäß ihren aktuellen Lebensbedingungen zu verhalten bzw. ihre alltäglichen Funktionen zu erfüllen

      – Soziale Norm: als krank gilt, was vom gesellschaftlich Festgelegten abweicht

      IMG Wittchen, & Hoyer (2011): Klinische Psychologie & Psychotherapie:

       Kapitel 1.3 „Was sind psychische Störungen?“ (S. 7–10)

       Kapitel 2.1 „Abnorm oder normal – Krank oder gesund?“ (S. 28–32)

      In der Psychologie wird (im Unterschied zu den meisten Bereichen der Medizin) auf den Begriff „Krankheit“ verzichtet und stattdessen der neutralere Begriff der „psychischen Störung“ bevorzugt, da eindeutig nachgewiesene Kausalbeziehungen für die Entstehung einer psychischen Störung fehlen.

      Psychische Störungen sind dabei als ein klinisch bedeutsames Verhaltens- oder psychisches Muster definiert8, das einhergeht mit

      – Leidensdruck bei sich (z. B. durch Schmerzen) oder anderen (z. B. durch Verhaltensprobleme),

      – einer erheblichen Beeinträchtigung (z. B. im Sozialleben, in beruflichen Leistungen oder finanziellen Bereichen) oder

      – einem erhöhten Risiko zu sterben oder tiefgreifenden Freiheitsverlust zu erleiden.

      Ursächlich dafür ist eine verhaltensmäßige, psychische oder biologische Funktionsstörung.

      Bei psychischen Störungen handelt es sich also um eine Beeinträchtigung

      – im Handeln (z. B. in der Motorik oder sozialen Interaktion)

      – in der Wahrnehmung,

      – im Denken (z. B. im Urteilen oder Lernen),

      – im Fühlen oder

      – der körperlich/biologischen Funktionsweise (z. B. Veränderungen im Transmitterhaushalt, der Muskelspannung)

      die zu einem dauerhaft und massiv herabgesetzten Fähigkeits- und Funktionsniveau des Betroffenen führt.

      Es handelt sich dagegen nicht um eine psychische Störung, wenn das Verhalten

      – nur eine verständliche Reaktion auf ein Ereignis ist (z. B. Trauer beim Verlust einer nahestehenden Person) oder

      – nur von der Norm abweicht (z. B. politisch, religiös oder sexuell) oder zu individuellen Konflikten mit der Gesellschaft führt, ohne dass dem eine Funktionsstörung zugrunde liegt.9

      IMG Wittchen & Hoyer (2011): Klinische Psychologie & Psychotherapie:

       Kapitel 1.3 „Was sind psychische Störungen?“ (S. 7–10)

       Kapitel 2.1 „Abnorm oder normal – Krank oder gesund?“ (S. 28–32)

      IMG Caspar, Pjanic & Westermann (2018): Klinische Psychologie:

       Kapitel 1.3.1 „Psychische Störungen – Begriff und Kriterien“ (S. 6–7)

      Unter der Klassifikation psychischer Störungen versteht man die Zuweisung von Diagnosen zu Syndromen (Gruppe typischerweise gemeinsam auftretender Symptome). Damit ist die Klassifikation psychischer Störungen rein beschreibend: Ohne Aussagen über die Entstehung psychischer Störungen zu machen, werden leicht erkennbare und gut messbare Symptome, daher vor allem Verhaltensauffälligkeiten, nur aufgelistet. Ab einer gewissen Anzahl, Dauer, Häufigkeit und Intensität der auftretenden Symptome wird ihnen ein Krankheitswert zugeschrieben und damit ihre klinische Bedeutsamkeit beurteilt. So kann entschieden werden, ob eine psychische Störung vorliegt oder nicht und welchen Schweregrad sie aufweist. Die Grenzwerte dafür basieren auf dem Konsens internationaler Experten und dem aktuellen Stand der Forschung.

      Derzeit gibt es zwei international gültige Klassifikationssysteme für psychische Störungen: Kapitel F der ICD-10 (10th Revision of the International Classification of Diseases, WHO 1992) sowie das DSM-5 (5th Revision of the Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, American Psychiatric Association (APA), 2013). Grundsätzlich sind beide Systeme hinsichtlich Diagnosen und Aufbau miteinander kompatibel. Die in Deutschland zur Kodierung und Leistungsabrechnung verwendete ICD-10 klassifiziert in anderen Kapiteln darüber hinaus auch alle weiteren Krankheiten – nicht nur die psychischer Art. Dafür ist das DSM-5 für psychische Störungen ausführlicher und wird vor allem von Psychologen und in der Forschung verwendet. Ein einheitliches, mehr erklärendes Klassifikationssystem gestaltet sich aufgrund vieler unspezifischer Störungsbilder und multikausaler Entstehungsbedingungen schwierig.

Tabelle 1: Psychische Störungen und Kategorisierung nach ICD-1010
GliederungArt der Störungen
F00-F09Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen• z. B. Demenzen (Alzheimer, vaskuläre Demenz, Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheiten)• andere psychische Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns
F10-F19Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen• Akute Intoxikation• Schädlicher Gebrauch• Abhängigkeits- und Entzugssyndrome für Substanzen (z. B. Alkohol, Tabak, sonstige Drogen wie Cannabinoide, Kokain, andere Stimulantien, einschl. Koffein etc.)
F20-F29Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen• Z. B. paranoide, hebephrene, katatone Schizophrenie• akute vorübergehende psychotische Störungen• schizoaffektive Störungen (manisch, depressiv oder gemischt)
F30-F39Affektive Störungen• z. B. Manie und Hypomanie• Depression (depressive Episode, rezidivierende depressive Störungen)• Bipolare affektive Störung
F40-F49Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen• Phobien und andere
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