Polizeibeamte als Zeugen im Strafverfahren. Kai Müller

Polizeibeamte als Zeugen im Strafverfahren - Kai Müller


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in einem Ablehnungsverfahren (§§ 26 ff. StPO) entschieden. Dies ist die in der Praxis häufiger vorkommende Variante. Wird einem solchen Antrag stattgegeben, so hat dies regelmäßig zur Folge, dass das Verfahren unter neuer Besetzung des Gerichts von vorne beginnt. Wird der Antrag – was in der Praxis zumeist der Fall ist – abgelehnt, so kann sich daraus für die Verteidigung zumindest ein sog. absoluter Revisionsgrund ergeben (§ 338 Nr. 3 StPO), der bei Erfolg zur Aufhebung des Urteils führt. In diesem Fall wird die Sache vom Revisionsgericht an die Tatsacheninstanz zurückverwiesen und muss nunmehr erneut verhandelt werden. Das Stellen von Befangenheitsanträgen gegenüber dem Gericht gehört daher aus prozesstaktischen Gründen mittlerweile bei vielen Strafverfahren vor einer großen Strafkammer des Landgerichts zum Standardrepertoire der Strafverteidigung.

      Die Leitung der Hauptverhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Beweisaufnahme obliegen dem Vorsitzenden des Gericht (§ 238 StPO). Dieser hat den beisitzenden Richtern, den Schöffen sowie den Verfahrensbeteiligten bei der Vernehmung des Angeklagten, der Zeugen und Sachverständigen ein Fragerecht einzuräumen (§ 239 StPO) und kann dies unter später noch näher zu erläuternden Voraussetzungen auch entziehen (§ 241 I StPO) bzw. einzelne Fragen zurückweisen (§ 241 II StPO). Einige Anordnungen sind jedoch dem Gericht vorbehalten, wie beispielsweise die Entscheidung bei Zweifeln über die Zulässigkeit von Fragen (§ 242 StPO), die Auferlegung der Kosten sowie die zwangsweise Vorführung eines trotz ordnungsgemäßer Ladung ausgebliebenen Zeugen (§ 51 I StPO) oder das Verhängen von Ordnungsgeld bzw. -haft sowie Beugehaft gegenüber einem das Zeugnis oder den Eid verweigernden Zeugen (§ 70 I, II StPO).

       a) Fürsorgepflicht

      Neben diesen unter anderen im Gesetz genannten Pflichten hat das Gericht eine umfassende Fürsorgepflicht. Diese entspringt aus dem Grundsatz des fairen Strafverfahrens und betrifft insbesondere Fürsorge- und auch Hinweispflichten gegenüber dem rechtsunkundigen Angeklagten.41 Aber auch dem Zeugen gilt die Fürsorgepflicht des Gerichts, beispielsweise beim Schutz der Persönlichkeit, worauf bei den Rechten und Pflichten des Zeugen noch näher eingegangen wird.

       b) Sitzungspolizei

      Darüber hinaus obliegt dem Vorsitzenden die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung, die sog. Sitzungspolizei (§ 176 GVG). Die Ordnung in der Sitzung ist der Zustand, der dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten eine störungsfreie Ausübung ihrer Funktion ermöglicht.42 Der Vorsitzende kann hierbei gegenüber allen Anwesenden Ermahnungen und Rügen aussprechen sowie ungebührliches Verhalten untersagen. So etwa Beifalls- oder Missfallenskundgebungen der Zuhörer, wenn ein Zuhörer versucht, durch Zeichen auf den Angeklagten bzw. einen Zeugen einzuwirken oder der Verteidiger sich weigert, entgegen § 20 BORA in Robe aufzutreten.43 Auch können Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige, Nebenkläger, Privatkläger und Zuhörer, die den Anordnungen des Vorsitzenden nicht Folge leisten, aus dem Sitzungssaal entfernt werden (§ 177 GVG). Ebenso kann gegen diese Personengruppe wegen Ungebühr ein Ordnungsgeld oder Ordnungshaft festgesetzt werden (§ 178 GVG). Ungebühr bedeutet einen erheblichen Angriff auf den justizgemäßen Ablauf der Sitzung, auf den „Gerichtsfrieden“ und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts.44 Dies liegt beispielsweise vor, wenn der Angeklagte oder ein Zeuge in völlig unangemessener Kleidung oder im betrunkenen Zustand erscheint, der Angeklagte den Richter beleidigt oder ein Zuhörer trotz Verbots fotografiert.45 Dabei obliegen die Anordnungen nach §§ 177, 178 GVG gegenüber den Zuhörern dem Vorsitzenden, während sonst das Gericht entscheidet. Zu beachten ist, dass diese Zwangsmaßnahmen gegen den Verteidiger stets unzulässig sind.46

      Das auf Ermittlungsverfahren und anschließendes Zwischenverfahren folgende Hauptverfahren besteht aus zwei Abschnitten, der Vorbereitung der Hauptverhandlung mit Terminansetzung, Ladungen, Herbeischaffen der Beweismittel etc. und der Hauptverhandlung selbst. Die Hauptverhandlung soll nach der gesetzlichen Konzeption den Höhepunkt des gesamten Strafprozesses bilden. In der Praxis hat jedoch zunehmend das Ermittlungsverfahren an Bedeutung gewonnen, da oftmals schon dort die Weichenstellung für das Hauptverfahren erfolgt oder aber die Sache sogar ohne Hauptverhandlung, beispielsweise durch Einstellung (§§ 153 ff. StPO) oder durch Strafbefehl (§ 407 ff. StPO) erledigt wird. Gleichwohl bleibt die Hauptverhandlung das Kernstück des Strafprozesses, da nur dort durch Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten endgültig entschieden wird (§ 261 StPO).47 Dies geschieht nach den schon dargestellten Regeln des Strengbeweises und den im Folgenden zu erörternden Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit. Letztere wirken sich auch auf die Tätigkeiten des Polizeibeamten als Ermittler und Zeuge vor Gericht aus.

      Mündlichkeit besagt, dass grundsätzlich nur das mündlich in der Hauptverhandlung Vorgetragene dem Urteil zugrunde gelegt werden darf (vgl. §§ 261, 264 StPO). Das Gericht kennt zwar den gesamten Inhalt der Ermittlungsakte. Es kann aber bei der Entscheidungsfindung nicht den gesamten Akteninhalt, sondern nur das, was mündlich verhandelt wurde, berücksichtigen. Was nicht gesprochen wurde, gilt als nicht vorhanden bzw. geschehen. In der Folge müssen beispielsweise Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen (§ 250 StPO) und Urkunden, die sich in der Akte befinden, verlesen werden (§ 249 I StPO).48 Macht ein Zeuge in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht (§§ 52 ff. StPO) Gebrauch, ist die Verlesung eines früheren Vernehmungsprotokolls verboten (§ 252 StPO). Das sich in der Akte befindliche Schriftstück über diese Vernehmung darf dann nicht zur Entscheidungsfindung des Gerichts herangezogen werden. Zu beachten ist auch, dass die Schöffen zumindest in der Praxis regelmäßig keinen Zugang zu den Akten haben49 und daher die Gründe für ihre Entscheidung allein aus der Hauptverhandlung gewinnen.

      Der Grundsatz der Unmittelbarkeit bedeutet, dass das entscheidende Gericht die Beweisaufnahme selbst wahrnehmen muss und nicht etwa anderen Personen übertragen darf. Die Tatsachen müssen dabei aus der Quelle selbst geschöpft und nicht durch Beweissurrogate ersetzt werden, da der sachnähere Beweis regelmäßig der bessere ist.50 Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so muss diese Person in der Hauptverhandlung vernommen werden (§ 250 StPO). Ein möglicherweise in den Akten vorhandenes Protokoll über eine frühere Vernehmung darf nicht als Ersatz für die Vernehmung dieser Person vor Gericht als Urkundenbeweis verlesen werden. Das Gericht soll sich einen unmittelbaren Eindruck von der Aussage einer Person machen und dabei auch die Möglichkeit der Rückfrage haben.51 Der Unmittelbarkeitsgrundsatz wird daher auch als Prinzip vom Vorrang des Personalbeweises vor dem Urkundenbeweis bezeichnet.52 Dies verbietet jedoch nicht die lediglich den Personalbeweis ergänzende Verlesung der Urkunde, beispielsweise des früheren Vernehmungsprotokolls als Vorhalt gegenüber der vor Gericht Auskunft gebenden Person.53

       Merke:

      Das Gesetz erlaubt in Ausnahmefällen, den Personalbeweis durch den Urkundenbeweis zu ersetzen (vgl. §§ 251 ff. StPO). So können Erklärungen des Angeklagten in einem richterlichen Protokoll während des Ermittlungsverfahrens als Urkundenbeweis in der Hauptverhandlung verlesen werden (§ 254 I StPO), nicht jedoch das polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Protokoll einer Beschuldigtenvernehmung.

      Hieraus ergibt sich bei einem erst vor Gericht schweigenden Angeklagten die Notwendigkeit, den Polizeibeamten,


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