Kartellrechtliche Schadensersatzklagen. Fabian Stancke
auf verschiedene Weise begegnet werden, wobei das konkrete Vorgehen stark vom Einzelfall abhängt.
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Eine Beschwerde bei den Behörden kommt zwar in Betracht, wird aber nur Erfolg haben, wenn starke Indizien für das Bestehen eines Kartells geliefert werden können.32 Steht ein Submissionsbetrug gemäß § 298 StGB im Raum,33 sind zudem die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet, bei einem Anfangsverdacht gegen Privatpersonen zu ermitteln. Als weitere Maßnahme kommt in Betracht, betroffene Bieter von Vergabeverfahren auszuschließen.34 Öffentliche Auftraggeber dürfen nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB Bieter von Ausschreibungen ausschließen, sobald hinreichende Anhaltspunkte für einen Kartellverstoß vorliegen.35 Ferner hat der Gesetzgeber ein Wettbewerbsregister beim BKartA eingeführt, in dem Kartellbeteiligte eingetragen werden.36 Öffentliche Auftraggeber trifft eine Abfragepflicht.37 Durch eine sog. „Selbstreinigung“ gemäß § 125 GWB können Lieferanten dem abhelfen.38 Dazu muss der Kartellverstoß aufgeklärt werden.39 Ferner bedarf es der Kooperation mit den Behörden, personeller Maßnahmen gegenüber den involvierten Personen und der Umsetzung von Compliance-Vorgaben sowie der Schadenswiedergutmachung.40 Nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 GWB erfordert eine Selbstreinigung, dass der Bieter den durch eine Straftat oder Fehlverhalten verursachten Schaden entweder bereits ersetzt oder sich zum Ersatz verpflichtet hat.41 Gepaart mit Compliance-Pflichten kann eine Konfrontation der Lieferanten mit einem Kartellverdacht bereits das Kartell destabilisieren.42 Schließlich lassen sich auch durch AGB Kartellschadensrisiken adressieren. Dort können Compliance-Pflichten, insbesondere die Verpflichtung zu Maßnahmen im Falle von Kartellschäden sowie pauschalisierter Schadensersatz aufgenommen werden.43
10 Sog. Follow-on-Klage, vgl. § 33b GWB n.F.; Art. 16 Abs. 1 Kartellverfahrensverordnung. Die bisherige Rspr. ging von einem Anscheinsbeweis hinsichtlich des Kartellschadens aus: OLG Karlsruhe, 31.7.2013, 6 U 51/2 (Kart), ECLI:DE:OLGKARL :2013:0731.6U51.12.0A = NZKart 2014, 366 Rn. 54f. – Löschfahrzeuge; KG Berlin, 1.10.2009, 2 U 10/03 Kart, ECLI:DE:KG:2009:1001.2U10.03.0A – Berliner Transportbeton II; BGH, 28.6.2005, KRB 2/05, NJW 2006, 163, 164f. – Berliner Transportbeton I; allerdings hat der BGH in seiner Entscheidung Schienenkartell I vom 11.12.2018 die Anwendung eines Anscheinsbeweises im Fall eines Quoten- und Kundenschutzkartells mangels Typizität der in Frage stehenden Geschehensabläufe verneint, BGH, 11.12.2018, KZR 26/17, ECLI:DE:BGH:2018:111218UKZR26.17.0 – Schienenkartell; Art. 17 Abs. 2 der Kartellschadensersatzrichtlinie sieht dagegen eine ausdrückliche Schadensvermutung und somit eine Beweislastumkehr zulasten des Kartellbeteiligten vor. Die 9. GWB-Novelle setzt dies in § 33a Abs. 2 GWB n.F. entsprechend mit einer widerlegbaren Vermutung um. 11 Ferner bieten auch die branchenbekannten Newsletter-Dienste eine gute Quelle für „Erstinformationen“. 12 Erwägungsgründe 14 und 45 der Kartellschadensersatzrichtlinie; zulasten der Geschädigten besteht typischerweise eine Informationsasymmetrie. 13 Die Bindungswirkung der Behördenentscheidungen erstreckt sich nur auf die Feststellung des Kartellrechtsverstoßes; statt vieler Franck, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2, § 33b GWB Rn. 26f. Die Kartellschadensersatzrichtlinie in Art. 17 Abs. 2 und entsprechend die Umsetzung in § 33a Abs. 2 Satz 1 GWB n.F. sieht eine Vermutung für den Eintritt eines Schadens vor. 14 Ausführlich hierzu Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, https://ec.europa.eu/competition/antitrust/actionsdamages/quantification_en.html (zuletzt aufgerufen am 15.6.2020): Hüschelrath/Leheyda/Müller/Veith, Schadensermittlung und Schadensersatz bei Hardcore-Kartellen. 15 Siehe dazu Makatsch/Kacholdt, in: MüKo-Wettbewerbsrecht, § 33g GWB Rn. 37f.; Lübbig/Mallmann, NZKart 2016, 518ff. 16 OLG Hamm, 26.11.2013, 1 VAs 116/13, 120/13 und 122/13, ECLI:DE:OLGHAM: 2013:1126.1VAS116.13.120.13.00 = WuW/E DE-R 4101 – Einsicht in Strafakten; bestätigt durch BVerfG, 6.3.2014, 1 BvR 3541/13, 1 BvR 3543/13, 1 BvR 3600/13, NJW 2014, 1581. Zu den Voraussetzungen der Aktenbeiziehung im Zivilprozess auch Harms/Petrasincu, NZKart 2014, 304. 17 Davon unberührt soll die Einsicht in Bußgeldbescheide bleiben; Anträge können weiterhin direkt gestellt werden. 18 Makatsch/Kacholdt, in: MüKo-Wettbewerbsrecht, § 89c GWB Rn. 15f. 19 Idealerweise sollten Informationen zu dem der Beschaffung zugrunde liegenden Angebot, der Bestellung, Lieferung, Rechnungstellung und Bezahlung abrufbar sein. 20 So sollten z.B. bei Vergabeverfahren Informationen beigebracht werden, die den Verfahrensablauf und die einzelnen Angebote abbilden. 21 Zu berücksichtigen ist, dass nach umstrittener Rspr. mit der Veröffentlichung von Pressemitteilungen der Kartellbehörden bereits die Verjährungsfrist der Schadensersatzansprüche beginnen soll, vgl. OLG Düsseldorf, 18.2.2015, VI-U (Kart) 3/14, ECLI: DE:OLGD:2015:0218.VI.U.KART3.14.00 = NZKart 2015, 201 – Zementkartell II; Topel, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 50 Rn. 168; a.A. LG Mannheim, 30.10.2015, 7 O 193/11 Kart, ECLI:DE:LGMANNH:2015:1030.7O34.15KART.0A, Rn. 43ff. – Grauzementkartell; LG Berlin, 6.8.2013, 16 O 193/11 Kart, ECLI:DE:LGBE: 2013:0806.16O193.11.0A = NZKart 2014, 37 – Fahrtreppen; Makatsch/Abele, WuW 2015, 461; Makatsch/Abele, WuW 2014, 164, 168f. Für das österreichische Recht hat der OGH, 16.12.2013, 6 Ob 186/12i, WuW/E KRint 477 entschieden, dass Kennenmüssen frühestens mit der Veröffentlichung der rechtskräftigen Entscheidung besteht. Hinzu kommt die 10-jährige kenntnisunabhängige Verjährung. 22 So kann die Aufbewahrung etwa aus steuer- oder handelsrechtlichen Gründen erfolgen. 23 Vgl. z.B. den sog. „Litigation Hold“ in den USA, Zubulake v Warburg LLC, 229 F.R.D. 422, 431 (S.D.N.Y. 2004). 24 Vgl. Hüschelrath, JECLAP 2013, 185. 25 OECD, Roundtable on ex officio cartel investigations and the use of screens to detect cartels, Background Note, 2013, S. 25ff., vgl. auch die Informationsbroschüre „Wie erkennt man unzulässige Submissionsabsprachen?“ des BKartA vom Dezember 2014, abrufbar unter http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Broschueren/Submissionsabsprachen.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (zuletzt abgerufen am 20.11.2020). 26 Das Bundeskartellamt etwa gibt an, entsprechende Screeningmethoden „in geeigneten Fällen anzuwenden“, vgl. Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht 2017/2018, S. 32. 27 Beth/Reimers, CB 2019, 17, 18f. 28 Imhof/Karagok/Rutz, Screening for Bid-rigging – Does it Work?, CRE-SE Working Paper No. 2017-9. 29 Beth/Reimers, CB 2019, 17, 19. 30 Reimers/Brack/Modest, NZKart. 2018, 453, 458. 31 Vgl. Ebersoll/Stork, CCZ 2013, 129, 131; Nothelfer, CCZ 2012, 186, 187; Motta, Competition Policy: Theory and Practice, S. 142ff. 32 Dabei sollte es z.B. auch ausreichen, um behördliche Ermittlungen anzustoßen, dass durch unternehmensinterne IT-basierte Screening-Werkzeuge Auffälligkeiten in Vergaben festgestellt worden sind. 33 Klusmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 56 Rn. 25; gilt auch für vertikale Absprachen, vgl. BGH, 25.7.2012, 2 StR 154/12, NJW 2012, 3318; Heuking, BB 2013, 1155ff.