Kartellrechtliche Schadensersatzklagen. Fabian Stancke
Allgemein ordnet § 13 GVG die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten an, für die weder besondere Gerichte bestellt sind oder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder -gerichten begründet ist. § 87 GWB greift den Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit auf und bestimmt die streitwertunabhängige Zuständigkeit der Landgerichte für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die Verbotsnormen des GWB, des AEUV oder des EWG („Kartellstreitsachen“) zum Gegenstand haben.
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Für die Eröffnung des Zivilrechtswegs ist damit auch im Kartellrecht die bürgerliche Rechtsstreitigkeit von der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit abzugrenzen.395 Eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn sich das Klagebegehren als Folge eines Sachverhalts darstellt, der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist.396 Die Rechtsform der Parteien spielt keine Rolle; dies gilt auch dann, wenn an einem solchen Verfahren ein Hoheitsträger beteiligt ist.397 Damit sind kartellrechtlich begründete Schadensersatz-, Beseitigungs- und Unterlassungsklagen ohne weiteres als bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zu qualifizieren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das zivile Verfahren auf eine kartellbehördliche Entscheidung hin erfolgt (sog. Follow-on-Verfahren) oder unabhängig davon eingeleitet wurde (sog. Stand-alone-Verfahren). Dass in solchen Verfahren bisweilen öffentlich-rechtliche Vorfragen eine Rolle spielen, ändert nichts am Vorliegen einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit.398 Keine bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten sind dagegen Kartellbußgeldsachen (§§ 81ff. GWB) sowie Streitigkeiten im kartellrechtlichen Verwaltungsrechtsschutz.399 Der alte Streit über das Verhältnis der ordentlichen Gerichtsbarkeit zur Sozialgerichtsbarkeit bei Kartellrechtsverstößen der gesetzlichen Krankenkassen ist mit Streichung der Sonderzuweisung an die Sozialgerichtsbarkeit entschieden – kartellrechtliche Streitigkeiten zwischen gesetzlichen Krankenkassen und privaten Leistungserbringern sind wieder eindeutig Kartellzivilprozesse.400
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Die Zulässigkeit des Rechtswegs ist von dem angerufenen Gericht als Sachurteilsvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen. Die Wahl des falschen Rechtswegs hat seit der Einführung des § 17a GVG allerdings an Schrecken verloren, da sie nicht mehr zur Abweisung der Klage als unzulässig, sondern nur zur Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht führt. Allerdings muss der Kläger die durch Klage vor dem Gericht des falschen Rechtsweges entstandenen Mehrkosten tragen, § 17b Abs. 2 GVG. Die Verweisung ändert nichts an der durch die Klage vor dem „falschen“ Gericht begründeten Rechtshängigkeit (§ 17b Abs. 1 Satz 2 GVG), so dass insbesondere die Verjährung gehemmt bleibt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Es ist erwägenswert, diese fortbestehende Rechtshängigkeit taktisch zu nutzen und eine Klage bewusst beim „falschen“ Gericht einzureichen. Besonders geeignet hierfür erscheint das Verwaltungsgericht, bei dem die Streitsache bereits mit Einreichung der Klage (und nicht erst mit deren Zustellung, § 253 Abs. 1 ZPO) rechtshängig wird, §§ 81, 90 VwGO. In Konstellationen, in denen eine möglichst schnelle Rechtshängigkeit gewünscht ist, kann dies von Vorteil sein. Zu denken ist dabei vor allem an Fälle, in denen § 167 ZPO nicht hilft, wie etwa bei der Frage der anderweitigen Rechtshängigkeit oder bei Prozesszinsen. Das LG München hat ein solches Vorgehen als Bestandteil eines „deutschen Torpedos“ gegen eine israelische Kartellschadensersatzklage „aufgrund einer Interessenabwägung im Einzelfall“ – die sich dann doch sehr abstrakt liest – allerdings für rechtsmissbräuchlich gehalten.401
2. Sachliche Zuständigkeit
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Die sachliche und funktionale Zuständigkeit der zur Entscheidung berufenen Gerichte ist im GWB geregelt. Nur diese Zuständigkeitsregelungen sind gemäß § 95 GWB ausschließlich. Diesbezügliche Zuständigkeitsvereinbarungen sind gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 ZPO unzulässig und die Zuständigkeit kann auch nicht durch rügeloses Verhandeln zur Hauptsache begründet werden, § 40 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Die sachliche Zuständigkeit der Kartellgerichte geht anderen Zuständigkeitsregelungen vor, auch wenn diese ebenfalls ausschließlichen Charakter haben.402 Die internationale und örtliche Zuständigkeit sowie die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts können hingegen grundsätzlich vertraglich geregelt werden. Allerdings sind dabei die dargestellten strengen Anforderungen des EuGH zu berücksichtigen.403
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Die Landgerichte sind gemäß § 87 Satz 1 GWB streitwertunabhängig sachlich ausschließlich zuständig für Kartellzivilverfahren in erster Instanz. Kartellstreitsachen sind insbesondere Leistungsklagen, mit denen Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche aus §§ 33, 33a GWB i.V.m. einer kartellrechtlichen Verbotsnorm geltend gemacht werden, aber auch Feststellungsklagen und negative Feststellungsklagen, wenn der Gegenstand des Rechtsverhältnisses, dessen (Nicht-)Bestehen festgestellt werden soll, kartellrechtlicher Art ist.404 Dabei reicht ein offensichtlich unschlüssiger Klägervortrag nicht aus; es muss nach dem bisherigen Tatsachenvortrag (als zutreffend unterstellt) das Vorliegen einer kartellrechtlichen Streitigkeit zumindest hinreichend wahrscheinlich sein.405 Sollte einmal eine Gestaltungsklage vorliegen, bei welcher der Gestaltungsgrund in den Verbotsnormen des GWB oder der Art. 101, 102 AEUV bzw. Art. 53, 54 EWR-Abkommen liegt, handelt es sich ebenfalls um Kartellstreitsachen i.S.d. § 87 GWB.406
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Auch Kartellstreitigkeiten i.w.S., bei denen die Entscheidung des Rechtsstreits von einer bloßen kartellrechtlichen (Vor-)Frage abhängt, begründen gemäß § 87 Satz 2 GWB die Zuständigkeit der Landgerichte.407 So hat das BAG entschieden, dass die Arbeitsgerichte für die Entscheidung eines Rechtsstreits nicht (mehr) zuständig sind, wenn sich in dem Verfahren kartellrechtliche Vorfragen stellen und der Rechtsstreit ohne Beantwortung dieser Fragen nicht entschieden werden kann.408 Um zu verhindern, dass Kartellgerichte mit einer Vielzahl von Streitigkeiten befasst werden, die tatsächlich ohne die Beantwortung kartellrechtlicher Fragen entschieden werden können, ist § 87 Satz 2 GWB restriktiv auszulegen. Es ist nicht ausreichend, dass eine Partei behauptet, dass sich ein Einwand aus dem Kartellrecht ergibt. Erforderlich ist vielmehr der Vortrag eines Lebenssachverhaltes, der nach summarischer Würdigung nicht ohne die Berücksichtigung kartellrechtlicher Normen zu lösen ist.409
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Umstritten ist, ob ein Nicht-Kartellgericht kartellrechtliche Fragen selbst entscheiden darf, wenn sie durch die Rechtsprechung geklärt oder eindeutig lösbar sind, vergleichbar einem acte (é)claire mit Unionsrecht.410 So kann jedenfalls nach Ansicht des BAG ein Nicht-Kartellgericht dann entscheiden, wenn die kartellrechtliche Vorfrage so einfach zu beantworten ist, dass divergierende Entscheidungen nicht zu erwarten sind oder die kartellrechtliche Vorfrage durch höchstrichterliche Rechtsprechung der Kartellgerichtsbarkeit geklärt ist.411
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Die Zuständigkeit des Kartellgerichts kann auch erst im Laufe des Rechtsstreits begründet werden, z.B. durch Einbringung einer kartellrechtlichen Argumentation in das Verfahren.412 Dies kann auch noch in der Rechtsmittelinstanz erfolgen.413 Es kommt dabei auch nicht darauf an, ob sich die kartellrechtliche Vorfrage aus dem Sachvorbringen des Klägers oder des Beklagten ergibt.414 Für den vorläufigen Rechtsschutz gelten keine Besonderheiten.
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Nach § 89 Abs. 1 GWB werden die Landesregierungen zum Zwecke der Rechtspflege ermächtigt, bürgerliche Rechtsstreitigkeiten i.S.d. § 87 GWB einem Landgericht für die Bezirke mehrerer Landgerichte zuzuweisen. Es handelt sich um eine besondere Form der sachlichen Zuständigkeit.415 Diese Regelungen dienen der Konzentration der Kartellzivilverfahren bei besonders ausgewiesenen und sachkundigen Gerichten. Von dieser Ermächtigung haben die Landesregierungen wie folgt Gebrauch gemacht (Stand März 2020):
– Baden-Württemberg (§ 13 Abs. 1 ZuVOJu):Zuständig für den OLG-Bezirk Stuttgart: LG StuttgartZuständig für den OLG-Bezirk Karlsruhe: LG Mannheim
– Bayern (§ 33 Abs. 1 GZVJu):Zuständig für den OLG-Bezirk München: LG München IZuständig für die OLG-Bezirke Nürnberg und Bamberg: LG Nürnberg-Fürth
– Brandenburg (§ 2 Abs. 1 Nr.