Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen. Christoph Keller
besonderen Verfahrensvorschriften des § 42 PolG NRW gelten nur für Durchsuchungen.19 Sofern man von einer Durchsuchung ausgeht, war insbesondere der Richtervorbehalt entbehrlich (§ 42 Abs. 1 PolG NRW). Die Polizei kann ohne richterliche Entscheidung eine Durchsuchung nur anordnen und durchführen, wenn Gefahr im Verzug besteht, d. h. wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde.20 Das Vorliegen von „Gefahr im Verzug“ muss mit Tatsachen belegt werden, die auf den Einzelfall bezogen sind; reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus. Da die Polizei im Bereich der Gefahrenabwehr aber in der Regel eilige Maßnahmen zu treffen hat, kommt in diesem Aufgabenbereich die Anordnung der Durchsuchung durch den Richter in der Praxis nur verhältnismäßig selten vor.21
3. Adressatenregelung
Adressat der Durchsuchungsmaßnahme ist der bzw. sind die berechtigten Wohnungsinhaber, unabhängig davon, ob es sich um Eigentümer oder um Mieter handelt.22 Eine Ausnahme bildet nach zutreffender Auffassung § 41 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW. Da eine gegenwärtige Gefahr abgewehrt werden soll, ist auf die §§ 4–6 PolG zurückzugreifen; der betroffene Wohnungsinhaber muss entweder Verhaltens- oder Zustandsstörer sein.23
4. Rechtsfolge der konkret herangezogenen Ermächtigungsgrundlage
Rechtsfolge ist das Betreten und Durchsuchen der Wohnung. Hier wird zunächst nur aufgefordert, die Wohnungstür zu öffnen. Da das notwendige Voraussetzung ist, um die Räume zu betreten und zu durchsuchen, handelt es sich um eine Begleitmaßnahme, die schon unter die Rechtsfolge des § 41 PolG NRW gefasst werden kann.24 Die Befugnis zum Betreten einer Wohnung umfasst das Recht, sich Zugang zu einer Wohnung zu verschaffen, dort auch von Personen, Sachen und Zuständen Kenntnis zu nehmen und in der Wohnung zu verweilen, solange die Voraussetzungen des Betretens vorliegen.25 Ein Betreten liegt auch vor, wenn in der Wohnung Feststellungen durch einfache Nach- bzw. Umschau getroffen werden. Beim Betreten werden keine Behältnisse geöffnet oder Veränderungen in der Wohnung vorgenommen.26 Entscheidendes Begriffsmerkmal der Durchsuchung ist mithin das ziel- und zweckgerichtete Suchen nach Personen oder Sachen oder die Ermittlung eines Sachverhalts (Gefahrenquelle) in einer Wohnung27. Es soll etwas aufgespürt werden, was der Inhaber des Raumes von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will. Die Durchsuchung ist letztlich durch zwei Handlungselemente gekennzeichnet: (1) Das Betreten der Wohnung und (2) die Vornahme von Suchhandlungen in der Wohnung. Die Durchsuchung erfolgt in der Regel, um eine Person aufzufinden und zu ergreifen, zum Auffinden und zur Sicherstellung einer Sache oder zur Verfolgung von Spuren.28 Geht man davon aus, dass die Beamten in Erwägung zogen, die Musikanlage sicherzustellen, so liegt hier eine Durchsuchung vor, da nach dieser Anlage zielgerichtet Ausschau gehalten werden muss. Während der Nachtzeit (§ 104 Abs. 3 StPO29) ist das Betreten und Durchsuchen einer Wohnung nur in den Fällen des § 41 Abs. 1 Nr. 3 („Immissionen“) und 4 („gegenwärtige Gefahr für hochwertige Rechtsgüter“) PolG NRW zulässig.30
5. Übermaßverbot (§ 2 PolG NRW)
Das Betreten der Wohnung entspricht insbesondere dem Übermaßverbot. Es war geeignet, um weitere Maßnahmen treffen zu können. Mildere Maßnahmen führten nicht zum Erfolg. Die Maßnahme war auch angemessen angesichts der erheblichen Ordnungsstörungen, die von A (und seinen Gästen) ausgingen.
Parallelnormen zu § 41 PolG NRW (Betreten, Durchsuchen von Wohnungen): § 45 BPolG; § 61 BKAG; § 31 BWPolG; Art. 23 BayPAG; § 36 ASOG Bln; § 23 BbgPolG; § 21 BremPolG; § 16 HambSOG; § 38 HSOG; § 59 MVSOG; § 24 NdsSOG; § 20 RhPfPOG; § 19 SPolG; § 25 SächsPolG; § 43 LSASOG; § 208 SchlHVwG
C. Öffnen der Wohnungstür mit Schlüsseldienst
I. Ermächtigungsgrundlage
Durch das Öffnen der Tür mit Schlüsseldienst könnte der A in seinen Grundrechten auf Eigentum (Art. 14 GG) und auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) „verletzt“ worden sein. Eine formell-gesetzliche Ermächtigung ist erforderlich. Ob polizeiliches Handeln (auch) Zwang ist, lässt sich mithin bei Standardmaßnahmen letztlich relativ einfach sagen, da durch die Rechtsfolgenbeschreibung vorgegeben ist, welche Rechtsfolgen durch die Maßnahme erfasst werden, also noch keinen Zwang darstellen. § 41 PolG NRW berechtigt zum Betreten und Durchsuchen einer Wohnung. Das Öffnen der Tür mit Schlüsseldienst wird von § 41 PolG NRW nicht mit umfasst.31 Es liegt Zwang vor.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
Die Maßnahme dient der Durchsetzung der Grundverfügung, mithin der Gefahrenabwehr. Eine Anhörung kann unterbleiben (§ 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW).
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Zulässigkeit des Zwanges (§ 50 Abs. 1 PolG NRW)
Gem. § 50 Abs. 1 PolG NRW kann ein Verwaltungsakt, der auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat (gestrecktes Verfahren).