Das Biest in Dir. Felix Hänisch

Das Biest in Dir - Felix Hänisch


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übertrieben gewesen, von einem ganzen Volk zu sprechen. Keiner wusste genau wie viele es von ihnen über ganz Epsor verstreut noch gab. Aber war es eindeutig, dass sie bei Weitem nicht mehr so zahlreich waren, wie in den ruhmreichen Zeiten. Das sollte sich jedoch bald ändern. Gemeinsam hatten er und sein Bruder in den langen Jahren, seit dem Ende des Großen Krieges, ihr Dasein zum größten Teil damit verbracht, ihn zu suchen.

      Gemeinsam hatten sie von den steilsten Gebirgshängen im Südwesten, bis hin zur weitflächigen Tundra, die den Großteil des Nordens beherrschte, alles erforscht. Waren von den Sümpfen der Orks, quer durch das Land, bis zur anderen Küste am Rande des Naoséwaldes gereist, nur um ihn zu finden. Alles ohne Erfolg. Doch heute sollte es anders sein.

      »In den zweihundertneunundfünfzig Jahren, die ich nun schon auf dieser Welt verweile, habe ich so etwas noch nicht tun müssen«, hörte er seinen älteren Bruder voll Abscheu neben sich sagen.

      »Ich auch nicht«, stimmte er geistesabwesend zu. »Aber besondere Zeiten erfordern nun einmal besondere Maßnahmen. Hätte mir jemand vor einigen Jahren gesagt, dass wir einmal die Hilfe eines Menschen annehmen würden, ich hätte ihm wohl ohne nachzudenken den Kopf abgeschlagen. Und heute sind es gleich zwei.«

      Es vergingen einige Atemzüge des angespannten Schweigens. Aus den Augenblicken wurden Stunden, in denen der eisige Wind weiterhin erbarmungslos an ihnen zerrte. Ihre Hände, die sie inzwischen so gut wie gar nicht mehr spüren konnten, waren bereits blau angelaufen und der Kälteschmerz in ihren Füßen war, trotz der gut gefütterten Stiefel, unerträglich.

      Da die beiden kein Zelt mitgenommen hatten und auch nirgendwo eine Höhle oder auch nur ein großer Stein zu sehen war, hinter dem sie Schutz suchen konnten, waren sie der erbarmungslosen Witterung auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Das Einzige, was sie bei sich trugen und das sie ein wenig gegen den aufkommenden Schneesturm zu schützen vermocht hätte, war eine mit lederner Menschenhaut bespannte Trage. Doch wagten sie es nicht, sich damit gegen die Eiseskälte zu schützen. Nein, dieses Utensil war für einen höheren Zweck bestimmt und durfte nicht durch sterbliche Bedürfnisse, wie dem Wunsch nach Wärme, entweiht werden.

      Die Sonne, hinter den dichten Wolken und tanzenden Schneeflocken nur zu erahnen, musste bereits weit über ihren Zenit geschritten sein, als die langen, spitzen Ohren des Jüngeren auf einmal merklich zuckten.

      »Hörst du etwas?«, wollte sein Bruder neugierig wissen. Doch die Frage konnte er sich sparen, denn schon im nächsten Moment tauchte eine Gestalt am anderen Ende des Berggipfels auf. Der Sturm hatte inzwischen so stark zugenommen, dass eine Verständigung über diese Entfernung unmöglich war. Zudem schien mit jedem Augenblick mehr Schnee vom Himmel zu kommen. Geradeso als würde das Wetter um ihr Vorhaben wissen und alles daran setzen, es zu verhindern.

      »Wir haben nicht Tod und Verfolgung überlebt, um uns jetzt von ein bisschen Schnee und Wind aufhalten zu lassen«, sprach sein Bruder ihm finster aus der Seele und ging der Gestalt unbeirrt entgegen, auf dass sie sich in der Mitte des großflächigen Gipfels treffen mochten. Erst jetzt wurde den beiden bewusst, dass es tatsächlich nur ein Wesen war, das sich schemenhaft gegen das allumfassende Weiß abhob.

      Waren sie bisher davon ausgegangen, wie verabredet, zwei Menschen anzutreffen, so mussten sie allerspätestens jetzt, da sie dem Mann unmittelbar gegenüberstanden, feststellen, dass er allein gekommen war. Auch sah er bei Weitem schlechter aus, als bei ihrer letzten Begegnung. Ein blaues Auge, sowie mehrere tiefe Kratzer verunstalteten sein Gesicht und ein Arm war notdürftig mit einer Schwertscheide geschient. Wie er in diesem Zustand den Berg hinaufgekommen war, blieb ihnen ein Rätsel. Nicht, dass es wichtig gewesen wäre, er war da und nur das zählte.

      Wenn er das, weswegen wir uns hier treffen, nicht dabei hätte, wäre er gar nicht erst gekommen, dachte der ältere der beiden Brüder, um sich selbst zu beruhigen. Wo der andere blieb, konnte ihnen indessen auch egal sein. Denn ein Mensch in ihrer Nähe war schlimm und Schande genug. Auch wenn er nur zu gern gewusst hätte, was da passiert war. Die Menschen kämpften ja ohnehin ständig miteinander, zumindest wenn man den Geschichten glauben konnte. Ihr eigenes Volk tat zwar auch nichts lieber als das, doch im Gegensatz zu diesen Barbaren beschränkte sich ihre Gewalt nur auf jene, die anders waren als sie selbst. Nicht jedoch auf die eigenen Leute.

      Vergnügt dachte er daran, dass es unter ihnen womöglich Streit wegen der Belohnung gegeben hatte, vielleicht ging es aber auch um eine Frau oder irgendeine andere Nichtigkeit. Die Menschen pflegten schnell mal die Beherrschung zu verlieren und sich wegen Kleinigkeiten die Köpfe einzuschlagen. Doch bei genauerem Hinsehen schienen die Verletzungen des Mannes nicht nur körperlicher, sondern auch seelischer Natur zu sein. Seine Schultern hingen schlaff herab und die Augen waren glanzlos. Er wirkte schwach und alt. Letzteres konnte aber auch nur daran liegen, dass diese Wesen tatsächlich viel schneller alterten als sie selbst. Wie lange lebte so ein Mensch eigentlich?

      »Hast du es dabei?« Die Frage seines Bruders riss ihn unvermittelt zurück ins Hier und Jetzt.

      »Ja«, antwortete der Mensch einsilbig und griff mit seiner gesunden Hand in die Manteltasche. Was er nach kurzem Herumstöbern darin fand, ließ die Herzen der Brüder höher schlagen. Ein schwarzer, hühnereigroßer Diamant strahlte ihnen entgegen. Er war von solch erhabener Schönheit und Einzigartigkeit, dass es den beiden für einen Moment die Sprache verschlug.

      »Was auch immer du tun und wen auch immer du umbringen musstest, um daran zu kommen, es hat sich gelohnt.«

      Das Gesicht des Menschen zeigte keine Regung. Er hielt den Stein lediglich in der ausgestreckten Hand und sprach: »Ich bringe euch diesen Diamanten nicht, weil ich euch so gut leiden kann, das wisst ihr. Ich bin hier, um die Welt zu verbessern.«

      »Das hast du hiermit getan«, stimmte ihm der jüngere der Brüder mit vor Aufregung heiserer Stimme zu und wollte gierig seine feingliederige Hand nach dem Edelstein ausstrecken. Doch der Mensch zog die seine rasch zurück.

      »Wie vereinbart, zehntausend Basren für meine Mühen. Und vor allem aber will ich, dass ...« Aber weiter kam er nicht. Entkräftet wie er körperlich und seelisch ohnehin schon war, sah er den Angriff zwar noch kommen, doch blieb ihm keine Zeit mehr, sein Schwert zu ziehen. Blitzartig grub sich das Messer der Kreatur in seinen dicken Wintermantel. Mit einem letzten Stöhnen auf den Lippen sank der Mann, steif wie ein Brett, die Waffe noch immer im Körper, zu Boden und stand nicht mehr auf.

      Unglauben lag in seinen weit aufgerissenen Augen, deren Lider sich nun langsam, aber endgültig, zu schließen begannen.

      »Du bekommst gar nichts!«, spie das Wesen, während sein älterer Bruder den Stein aufhob und ihn gen Himmel reckte. Ohne sich abzusprechen oder auch nur mit einem Blick zu verständigen, begannen sie, wie aus einem Munde, eine Beschwörungsformel in einer alten, längst vergessenen Sprache aufzusagen. Als sie geendet hatten, geschah einige Momente lang gar nichts. Schon fürchteten sie, einen Fehler begangen zu haben.

      »Hättest du den Menschen nur nicht gleich umgebracht. Vielleicht ist der Stein eine Fälschung und nun erfahren wir nie, wo der echte ist«, begann der eine dem anderen bereits Vorwürfe zu machen und schaute erbost zu ihm hinüber. Doch keinen Wimpernschlag später begann der Boden verheißungsvoll zu erbeben. Urplötzlich und mit einem durchdringenden Krachen, das einem Peitschenhieb gleich die klirrende Luft um sie herum erfüllte, tat sich die Erde vor ihnen auf.

      Der Schnee auf dem Berggipfel, der auch im Sommer niemals taute, verdampfte beinahe augenblicklich. Heiße, nach faulen Eiern stinkende Dämpfe drangen aus dem Erdinneren, und wo die Schneedecke bis eben noch blütenweiß geleuchtet hatte, schimmerte es nun rötlich-gelb zwischen den Dunstschwaden hervor. Ein tiefes Grollen, wie von einem urzeitlichen Dämon, der über die Jahrtausende hinweg unter dem Berg vergraben gewesen war, setzte ein und der Boden wankte nun so stark, dass sich die zwei kaum mehr auf den Beinen zu halten vermochten. Jedes andere Lebewesen hätte instinktiv die Flucht ergriffen. Nicht aber die beiden Brüder. Sie standen kaum zehn Armlängen von der Schlucht entfernt, die sich so plötzlich aufgetan hatte, dass nur Zauberei oder höhere Mächte am Werk sein konnten.

      Auch als die Erde immer stärker bebte, wichen sie keinen Schritt zurück. Im Gegenteil. Als sich ein kleines, dunkles Bündel, das durch


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