Das Biest in Dir. Felix Hänisch

Das Biest in Dir - Felix Hänisch


Скачать книгу
wie für Skal war es für die meisten hier sicher die letzte Übernachtungsmöglichkeit vor der noch einen halben Tagesritt entfernten Hafenstadt Lerm. Von dort aus würde er dann mit der Fähre nach Baknakaï, dem Hauptsitz seines Ordens, übersetzen.

      Flüchtig und dennoch mit unverhohlener Neugier ließ der Iatas seinen Blick weiter durch den Raum schweifen. Neben einem Kaufmann – man erkannte ihn an der für seine Zunft üblichen grünen Mütze, die ihn als neutralen Händler kennzeichnete und auch in Kriegszeiten freies Geleit versprach – saßen zwei Zwerge, sowie ein vornehm gekleideter Herr mit seinem Reisegefolge in der Stube. Wahrscheinlich hatte der Adlige nicht ohne Grund die am weitesten von den Nordmännern entfernten Tische in Beschlag genommen. Mit gerümpfter Nase saß er demonstrativ mit dem Rücken zu ihnen auf seinem Stuhl und starrte übertrieben konzentriert auf seinen Teller.

      »Hier ist noch ein freier Platz, mein Herr«, sprach der Wirt dienstbeflissen und führte Skal zu einem Stuhl direkt am Tresen. Einen Moment später stellte ihm die Kellnerin die Reste von dem, was wohl mal ein Kaninchen gewesen war, in einem halbrunden Napf auf die zerkratze Holzvertäfelung.

      »Darf ich mir die Frage erlauben, was ein hoher Iatas wie Ihr in meiner kleinen Schänke will?«, fragte der Wirt vorsichtig, während er einen schmutzigen Becher mit einem noch schmutzigeren Lappen zu säubern versuchte. »Nicht, dass es mich stören würde, aber die meisten Leute nutzen die Hauptstraße südlich von hier, um nach Lerm zu gelangen.«

      »Ich ... hatte es nicht so eilig«, entgegnete Skal ausweichend und stocherte unzufrieden in seiner Mahlzeit, wobei er es tunlichst vermied, dem Mann in die trüben Augen zu sehen. Cedryks Tod machte ihm immer noch schwer zu schaffen, und es brannte ihm auf der Zunge, darüber zu reden, obwohl er wusste, dass es gefährlich für ihn war. Doch wem sollte der alte Wirt es denn schon weitererzählen? Skal musste sich einfach jemandem mitteilen, viel zu lange hatte er schon geschwiegen und den Kummer in sich hineingefressen.

      »Weißt du, bis vor Kurzem erstrahlte die Welt für mich noch in einem wunderbaren Glanz, und man hat großes Vertrauen in meine Fähigkeiten gesteckt. Aber das Leben holt einen schlussendlich doch immer wieder ein.« Skal atmete schwer. »Ich habe versagt. Mein Schüler, Cedryk war sein Name, ist tot.

      Wäre er doch bloß nicht so sturköpfig gewesen.« Die letzten Worte murmelte der alte Krieger unverständlich und an sich selbst gewandt in seinen ungepflegten Bart. »Nun hat man mich in den Hauptsitz meines Ordens berufen. Einen neuen Schüler werden sie mir wohl kaum noch einmal anvertrauen – würde ich an ihrer Stelle auch nicht. Außerdem bin ich dafür ohnehin schon viel zu alt. Gleichzeitig bin ich für den Stand eines Großmeisters im Hohen Rat aber noch zu jung. Vielleicht werde ich hingerichtet. Mir ist es ehrlich gesagt egal.«

      Der Wirt staunte nicht schlecht und hielt betroffen mit dem Reinigen seines Bechers inne. »Das tut mir sehr leid. Darf ich fragen, wie Euer werter Schüler verstorben ist, mein Herr?«

      »NEIN, verdammt! Das darfst du nicht. Und hör endlich auf, mich Mein Herr zu nennen, das bin ich nicht!«, schrie Skal, dem augenblicklich die Zornesröte ins Gesicht stieg. Sogleich drehten sich alle Köpfe im Raum nach ihm um.

      »Das bin ich nicht«, flüsterte er jetzt nur noch, wobei ihm eine einzelne Träne über die Wange rollte.

      

       Die Großen Brüder

      »Los, Darius, beeil dich!«, tönte es leise, aber durchdringend aus dem dunklen Raum, hinter der sperrangelweit offen stehenden Eingangstür.

      »Moment noch, ich komme gleich«, erwiderte eine andere Stimme zischend und deutlich aggressiver.

      »Der Plan war: Rein und raus. Wir wollen hier nicht einziehen«, erhob Ryu, ein junger Mann, dem die Schweißperlen der Nervosität deutlich im Gesicht standen, wieder das Wort.

      »Gut, ich hab alles. Lass uns verschwinden«, antwortete ihm sein Komplize. Ein großer, breitgebauter und ebenfalls noch sehr junger Krimineller, der einen halb vollen Sack mit Diebesgut in seinen Händen hielt.

      Mit schnellen Schritten, jedoch nicht rennend, verließen die beiden das vornehme Herrenhaus, wobei sie sich von jeder Lichtquelle fernhielten und versuchten so gut wie möglich mit der Nacht zu verschmelzen. Obwohl sie inzwischen Routine darin hatten, die Häuser reicher Leute auszurauben, begleitete sie dennoch jedes Mal panisches Herzklopfen auf ihrer Flucht und die ständige Angst, dieses Mal erwischt zu werden. Beide hatten die Ohren gespitzt, um ja kein Geräusch in der sternenklaren Nacht zu überhören. Während sie liefen, ohne dass sie wagten, sich umzudrehen, erwarteten sie beinahe schon das Rufen der Stadtwachen und das Bellen der Jagdhunde. Aber beides blieb aus.

      Nachdem die zwielichtigen Gestalten einen kurzen Fußmarsch hinter sich gebracht hatten, der sie teilweise über das Gebiet eines ausgedienten Steinbruchs führte, erreichten sie endlich den sicheren Waldrand und gönnten sich eine Rast, um ihre Habe zu betrachten.

      »Hab schon mal eine bessere Ausbeute gesehen«, beschwerte sich Ryu grummelnd, als er in den Sack sah. Er war der ältere von beiden und versuchte durch seine Nörgelei zu überspielen, dass er eigentlich ziemlich zufrieden war.

      »Wenn du mir ein bisschen mehr Zeit gegeben hättest, dann wär bestimmt auch noch mehr rein gewandert«, knurrte Darius ihn mit verengten Augen an.

      »Bei dem Lärm, den du gemacht hast, wundert es mich, dass die Leute in der Bude nicht aufgewacht sind«, konterte Ryu ernst und ließ seinen geschulten Blick über die Beute schweifen, um den Wert zu bestimmen.

      »Und wenn schon, mit denen wären wir zwei doch fertig geworden«, erwiderte Darius, nun wieder etwas versöhnlicher.

      »Fang nicht an zu spinnen, die hätten rumgeplärrt wie am Spieß und die ganze Nachbarschaft aufgeweckt«, schimpfte Ryu, während er geistesabwesend einen Finger nach dem anderen ausstreckte, um besser zählen zu können. »Bei unserem Glück wäre die Stadtwache auch gleich zur Stelle gewesen und mit denen werden nicht einmal wir fertig. Nein, es war schon gut so, wie wir’s gemacht haben. Immerhin, gut dreihundert Basren müsste das ganze Zeug wert sein, das wird uns alle für ein paar Wochen satt machen. Hoffentlich«, fügte er etwas leiser hinzu, sodass sein Bruder ihn nicht hören konnte. Denn in letzter Zeit war das leider nicht mehr allzu selbstverständlich.

      »Du hast ja recht, Ryu«, stimmte ihm Darius nickend zu. »Aber wer weiß, wie lange das noch gut geht. Manchmal wünsche ich mir eine richtige Arbeit. Du nicht auch?« Gedankenverloren starrte der Jüngling in die silbrig glimmenden Sterne. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Stell dir das doch mal vor, wir müssten nicht mehr Angst haben, dass uns eines Tages die Wachen schnappen und wenn wir irgendwo hinkommen, sagen die Leute nicht mehr: Dieb oder Gammler. Das wär doch was, oder?«

      »Du hast dir deine Frage gerade eben selbst beantwortet, kleiner Bruder«, entgegnete Ryu weise. »Überall, wo wir hinkommen, haben die Leute bereits eine schlechte Meinung von uns, darum kommen wir aus diesem Dämonenkreis nicht mehr heraus. Einmal ein Dieb, immer ein Dieb. Und außerdem wäre das nichts für dich, du bist nicht der Typ, der morgens aufsteht, sein Feld bestellt und sich abends wieder schlafen legt. Der Schlag Menschen, zu dem wir gehören, braucht diesen Nervenkitzel und das Besondere.«

      »Ist schon klar«, meinte Darius schulterzuckend. »Ich würde aber auch was Besseres machen, als ein blöder Viehbauer zu werden.«

      »Ach ja?« Ryu schnaubte sarkastisch.

      »Ja!«, zischte Darius zynisch. »Kopfgeldjäger zum Beispiel. Ein guter Fang und wir hätten auf einen Schlag ausgesorgt. Dann müsste keiner im Dorf mehr Hunger leiden.«

      Ryu lächelte, entgegnete jedoch nichts und ließ seinen, noch etwas naiven, kleinen Bruder in seinem Glauben. »Leg dich jetzt besser schlafen, in ein paar Stunden wird es hell, dann wird man nach uns suchen und unser Vorsprung ist nicht sehr groß. Wir müssen ausgeruht sein, wenn wir noch eine falsche Fährte legen und zum Mittag wieder zuhause sein wollen. Miree macht falschen Hasen.«

      »Der schmeckt mir fast noch besser als echter«, lachte Darius und legte sich hin.


Скачать книгу