Vom Stromkartell zur Energiewende. Peter Becker

Vom Stromkartell zur Energiewende - Peter Becker


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(auch dieses ein Nachdruck aus der ZNER), enthält die Eckpunkte; komplex und wegen der internationalen Bezüge hochinteressant.

      Das folgende Kapitel „Wer hilft beim Handling der Energiewende?“ wird mir vielleicht Ärger machen, weil es die Anwaltskanzleien darstellt, die auf der Seite der Erneuerbaren Energien kämpfen, darunter die von meinem Freund Wolf Büttner und mir gegründete Kanzlei Becker Büttner Held (BBH – Devise: „Klappern gehört zum Handwerk“). Dann kommen Visionen, deren erste von Dieter Attig geschrieben wurde, langjähriger Aktivist schon im Stromstreit und dann viele Jahre Leiter der Aachener Stadtwerke STAWAG, ein Kraft-Wärme-Kopplungs-Freak, der auch die technischen Aspekte der Energiewende (wir Juristen haben ja immer die regulatorischen Aspekte im Auge) darstellt: sehr interessant.

      Und das Schlusskapitel „Die Energiewende wird von der Gesellschaft für die Gesellschaft gemacht: Alles könnte gut werden“. Das ist meine Überzeugung: Es entwickelt sich alles in die richtige Richtung, weil es sich in die richtige Richtung entwickeln muss, vorangetrieben von der Klimakatastrophe. Man sieht das an den Buschbränden in Australien: Der verknöcherte Ministerpräsident Morrison, der während der schlimmsten Brände Urlaub in Hawaii machte, musste schließlich einsehen, dass er und sein Staat die falsche Politik machen. Ihm half eine List der Geschichte, die tagelangen Regenfälle, denen Überschwemmungen folgten. Sie machten einigen Bränden den Garaus – und klärten Morrison über weitere Zusammenhänge auf!

      Der Schluss liegt mir am Herzen: die Anhänge. Es gibt wichtige Dokumente, die die Verläufe prägen. Für den Abschnitt zu den Kartellen im Entwicklungsprozess ist es der berühmte Schriftsatz des Bundeskartellamts im Fusionskontrollverfahren E.ON/Eschwege vom 30.11.2006, der nur durch eine Indiskretion bekannt wurde: Er beschreibt, wie eben die Stromkonzerne vorgegangen sind. Dazu gehört auch ein visionäres Papier der Agora Energiewende, die als Vordenker immer wieder aufweist, wo die Reise hingeht: Alles wird gut (trotz Trump).

Oktober 2020Peter Becker

      1 „Der Stromstaat“ erschien in 1. und 2. Auflage 1984 als STERN-Buch, vorher erschienen bei STERN-Buch die Titel „Der Megawatt-Clan“ (1981) und „Der Sechste Sinn der Tiere“ (1982).

1. Buch Der Stromstaat entsteht

      1. Kapitel

      Zwei geniale Unternehmer: Emil Rathenau und Werner Siemens

      Weltausstellung der Elektrizität 1881 in Paris: Emil Rathenau ist begeistert. Der Industriepalast an den Champs-Elysées wird von über 100 elektrischen Bogenlampen hell erleuchtet. Man spricht vom „Lichtwunder von Paris“. Aber Rathenau begeistert etwas Anderes, die Ausstellung des Erfinders Thomas Alva Edison. Er hatte seine Räume mit Glühlampen beleuchtet, die so genannt wurden, weil der Strom in ihnen einen Kohlefaden zum Glühen brachte. Auf einem kleinen Tisch stand eine Lampe, die man mit einem Schalter „anzünden“ und ausmachen konnte. Edison hatte also nicht nur die Glühlampe erfunden, sondern auch den Schalter und überhaupt alles, was für den Umgang mit Starkstrom gebraucht wurde: Steckdosen, Fassungen, Klemmen, Schalter, Sicherungen, Anschlussdosen, Stromzähler und den „Jumbo“, den größten Generator seiner Zeit, eine Dampfmaschine von 120 PS, die einen 50-Kilowatt-Dynamo antrieb (dieses Prinzip gilt noch heute: Kohle wird verstromt, indem Dampf erzeugt wird, der Dynamos antreibt; auch Atomkraftwerke sind nichts anderes als gigantische Tauchsieder, die Wasserdampf für die Generatoren erzeugen).

      Rathenau hatte Geld in der Hand, weil er seit dem Verkauf einer von ihm gegründeten Maschinenfabrik Goldmark-Millionär war. Neun Jahre hatte er nach einer neuen Lebensaufgabe gesucht. Jetzt lag sie vor ihm. Er sprach Edison an, um sich die deutschen Rechte des Edison’schen Glühlampensystems zu sichern und auf dieser Grundlage eine neuartige Großindustrie aufzubauen. Die von Edison für Europa gegründete Patentverwertungsgesellschaft, die Compagnie Continentale Edison in Paris, räumte Rathenau eine kostenlose Option bis Ende 1882 ein. Die Ausübung der Option war davon abhängig, dass er ein Aktienkapital von 5 Mio. Mark innerhalb eines Jahres nachweisen musste, was damals eine hohe Summe für ein Industrieunternehmen war. Rathenau beschloss, die Elektrizität in Berlin einzuführen. Dafür waren die Verhältnisse günstig: Berlin wuchs in jenen Jahren sehr schnell. Mit dem Bau der Kanalisation für 1,2 Mio. Menschen war erst vor wenigen Jahren begonnen worden. Selbst im Palais des Kaisers gab es keine Badewanne. In dieser Riesenbaustelle konnte Rathenau damit rechnen, dass sein Stromnetz beim Bau der auf 4 Mio. Einwohner geplanten Metropole mitwachsen würde. Der Baulöwe Carstenn gründete eine „Kurfürstendamm AG“; Berlin hörte 1882 am Zoo auf. Nachts war es dunkel. Nur ein Viertel der Berliner hatte Gaslicht, die anderen nur Petroleumlampen. Nach Einbruch der Dunkelheit ging man zu Bett. Berlin war folglich ein ungeheurer Markt für Glühlampen. Die Berliner mussten sie nur kennenlernen.

      Seine erste Edison-Anlage installierte Rathenau beim „Berliner Börsencourier“ – und das neue helle Licht, das man schon an der Tür einschalten konnte, wurde eine Sensation. Die zweite Lichtanlage wurde im „Böhmischen Brauhaus“ platziert. Die Brauer waren nämlich mit Gaslicht unzufrieden, weil es die Luft in den Gärkellern zu stark erhitzte und die Qualität des Bieres beeinträchtigte. Und das Brauhaus – und bald die ganze Branche – war hochzufrieden. Rathenau begeisterte auch die angesehensten Clubs der Hauptstadt für das elektrische Licht – den „Unionclub“ des Adels und die „Ressource“ der Banker. Rathenau war Gast bei einem Bankett der Ressource und konnte zuhören, wie der Bankier Pringsheim das neue Licht und seinen Propheten Rathenau pries. Aber Rathenau musste kurz darauf in den Keller verschwinden: Das Licht hatte angefangen zu flackern und er ahnte eine Katastrophe. Die Lager des Dynamos waren heiß gelaufen und Rathenau musste sie mit dem Eis kühlen, das eigentlich für die Sektkübel bestimmt war. Am nächsten Tag feierte Berlin das „fabelhaft-zuverlässige Edison-Licht“.

      Der Durchbruch kam am 16.9.1882 auf der Internationalen Elektrizitätsausstellung in München. Es war überhaupt die erste Ausstellung, die nach Einbruch der Dunkelheit eröffnet werden konnte, weil die Hallen und Zufahrtsstraßen von zahlreichen Edison-Lampen beleuchtet wurden. Die Fachleute erkannten, dass Rathenau der Bogenlicht-Partei die Schau gestohlen hatte. Von nun an kam nur noch die Glühbirne in Frage. Die eigentliche Sensation war die Bühne im Theatersaal des Glaspalastes. Während der Auftritte des Königlich-Bayerischen Balletts konnte ein Techniker nach Wunsch die Lichtstärke verändern und erstaunliche Effekte erzeugen. „Diese Theaterbeleuchtung ist ein durchschlagender Erfolg des elektrischen Lichts!“, meldete die Elektrotechnische Zeitschrift. Die Münchner Zeitungen feierten Rathenau. Berliner Bankiers fragten bei den Kollegen an der Isar ungläubig nach. Die telegrafierten zurück: „Zeitungsdepeschen sind nicht übertrieben.“ Die Privatbankiers waren gewonnen und erklärten sich bereit, die Gründung der Deutschen Edison-Gesellschaft mit 5 Mio. Mark zu finanzieren. Voraussetzung war allerdings, dass sich Rathenau vorher mit der Firma Siemens & Halske und ihrem Chef arrangierte.

      Auch Werner Siemens (der Adelstitel wurde ihm erst 1888 vom „Hundert-Tage-Kaiser Friedrich“ verliehen), damals schon 66 Jahre alt, im Unterschied zu dem gerade 45 Jahre alt gewordenen Rathenau, war auf der Pariser Elektrizitätsausstellung gewesen; allerdings als Anhänger der Bogenlampen. Er war zu der Zeit schon weltberühmt, denn er hatte im Jahr 1866 den Dynamo erfunden. Aus einer kleinen Werkstatt mit 10 Arbeitern hatte er – Partner Halske war längst ausgeschieden – in 35 Jahren einen der ersten multinationalen Weltkonzerne mit Tochtergesellschaften in Großbritannien, Russland, Österreich-Ungarn, Frankreich und den USA gemacht. Das war allerdings die Karriere eines Schwachstromers: Siemens war nämlich der Pionier der Telegrafenleitungen, die bis nach Indien, New York und Afrika reichten. Von seiner „genialen technischen Begabung“ (Firmengeschichte) zeugten zahlreiche Erfindungen und Entdeckungen. Die Akademie der Wissenschaften ernannte ihn zum Mitglied, obwohl er nicht einmal Akademiker war und den Unterricht in seinen Lieblingsfächern Mathematik und Naturwissenschaft in der Ausbildung zum Berufsoffizier erhalten hatte. Anders als andere Erfinder war Siemens im Laufe der Jahre zum mehrfachen Millionär geworden. Denn er war ein außerordentlich geschickter – und oft auch gerissener – Geschäftsmann, dessen „meisterhafte Ausnutzung aller nationalen und internationalen Kaufmannschancen“ die Zeitgenossen bewunderten; ein Bild, das Siemens allerdings nicht sehr


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