Vom Stromkartell zur Energiewende. Peter Becker

Vom Stromkartell zur Energiewende - Peter Becker


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war. Der Verkauf verlief „mit großem Erfolg und einer Gewinnspanne von 50 %“.

      Die Aufnahme der Verhandlungen zwischen den beiden Männern wurde durch den Umstand erleichtert, dass sie sich seit Jahren kannten. Rathenau war als Maschinenfabrikant Mitglied im Verein der Berliner Metallindustrie gewesen; einer Arbeitgeberorganisation, die Siemens gegründet hatte, um gegen die organisierten, streiklustigen Arbeiter eine geschlossene Aussperrungsfront aufbauen zu können. Das war aber eher in den jüngeren Jahren. Als älterer Unternehmer nahm er den Sozialdemokraten den Wind aus den Segeln, indem er die Sonntagsarbeit abschaffte und werktags nur noch von 7 Uhr früh bis 6 Uhr abends arbeiten ließ, bei drei Pausen und einem Spitzenlohn von 25 Mark die Woche. Zusätzlich wurde eine Alters- und Invalidenpensionskasse für die Siemens-Belegschaft gegründet. Die Beiträge zahlte die Firma. Auch das imponierte Rathenau, weil damit fähige Arbeiter an die Firma gebunden und gleichzeitig der „Betriebsfrieden“ gesichert werden konnte.

      Beide Kontrahenten konnten bei dieser Verhandlungslage nur gewinnen: Siemens brauchte Rathenau und die Edison-Patente, Rathenau brauchte Siemens, weil nur Siemens genügend Erfahrung hatte, um die Massenproduktion elektrischer Aggregate aufzunehmen. Der Kompromiss: Siemens und Rathenau teilten das große Edison-Monopol in zwei kleinere Monopole auf: Rathenau sollte den Bau von Kraftwerken und den Stromverkauf übernehmen. Dafür verpflichtete er sich, alle Dynamos, Motoren, Kabel etc. bei Siemens zu kaufen. Beide Partner durften eigene Glühlampenfabriken bauen, sahen aber bereits die Gründung eines Glühlampenkartells mit strikter Preisbindung vor. Als der auf zehn Jahre befristete Kooperationsvertrag unterschrieben war, hatten Siemens und Rathenau den Elektrizitätsmarkt in Deutschland schon aufgeteilt, bevor es ihn überhaupt gab.

      Nachdem Rathenau und seine Bankiers im April 1883 die Deutsche Edison-Gesellschaft mit einem Aktienkapital von 5 Mio. Mark gegründet hatten, ging er zielstrebig an den Ausbau der Elektrizität in Berlin. Dafür holte er sich einen begeisterungsfähigen jungen Mann, Oskar von Miller, der bei ihm Technischer Direktor wurde. Von Miller hatte es bis dahin nur zum königlich-bayerischen Staatsbau-Praktikanten und einem Monatsgehalt von 120 Mark gebracht. Aber er hatte aus eigener Initiative die große Elektrizitätsausstellung in München organisiert. Rathenau bot ihm daraufhin ein sensationelles Jahressalär von 20.000 Goldmark plus Gewinnbeteiligung. Mit seinem kleinen Stab, der auch einen Patentanwalt umfasste, überzog Rathenau Berlin mit einem System von „Blockstationen“, die Häuserblocks mit Strom versorgen sollten. Die erste Blockstation entstand an einer der belebtesten Kreuzungen der Reichshauptstadt, Friedrichstraße/Ecke unter den Linden. Sie konnte mit ihren sieben Dynamos 1.800 Glühlampen in den Gaststätten und Geschäften mit Strom speisen. Aber Rathenau dachte damals schon anstelle der kleinen Dynamos in den Kellern an „Riesenhallen mit vieltausendpferdigen Maschinen, die automatisch und geräuschlos ganze Millionenstädte mit Licht und Kraft beliefern“. Aber klar war, dass Rathenau solche Pläne nicht ohne und schon gar nicht gegen den Willen der Stadt verwirklichen konnte, in der sich das alles abspielte: Berlin.

      2. Kapitel

      Der erste Konzessionsvertrag zwischen der Stadt Berlin und der „Actiengesellschaft Städtische Elektricitätswerke“

      Erster Schritt war die Gründung einer „Actiengesellschaft Städtische Elektricitätswerke“ als Tochtergesellschaft von Rathenaus Deutscher Edison, wiederum mit seinen Bankiers im Rücken. Sie sollte nach ihrer Satzung „der gewerbsmäßigen Ausnutzung des elektrischen Stroms im jetzigen und künftigen Weichbild der Stadt“ dienen. Damit war sie von der Konzeption her das erste öffentliche deutsche Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU).

      Die Verhandlungen mit der Stadt erwiesen sich als äußerst schwierig, obwohl der Magistrat unter seinem linksliberalen Oberbürgermeister Rathenaus Plänen ausgesprochen positiv gegenüberstand. Aber viele Abgeordnete im Stadtparlament und ihre Fraktionen diskutierten Monate über die Frage, ob man die Stromversorgung überhaupt einem privaten Unternehmen überlassen oder besser in die eigenen Hände nehmen sollte, so wie bei Gas und Wasser. Der Magistrat setzte sich durch mit dem Argument, dass Privatunternehmen für den Ausbau der Stromwirtschaft besser geeignet seien, weil sie über das erforderliche Wissen verfügten, aber auch das technische und wirtschaftliche Risiko tragen mussten.

      Damit verlief die Entwicklung in Berlin anders als in Hamburg, wo der Senat mehrere Anträge auf Wegerechte ablehnte, weil die Hansestadt monatlich fast 200.000 Mark Gaseinnahmen hatte. Der Aufbau der Stromversorgung hätte also in direkter Konkurrenz zur kommunalen Gasversorgung gestanden. Daran war der Senat nicht interessiert. Rathenau machte die Berliner Stadtväter demgegenüber darauf aufmerksam, dass sie ihre Gaseinnahmen erheblich steigern könnten, wenn sie das Stadtgas nicht zur Beleuchtung, sondern für die Gasheizung propagieren würde: „Sind Gasöfen, die in wenigen Augenblicken funktionieren und das Einbringen unsauberer Brennmaterialien in unsere Wohnungen beseitigen, nicht unvergleichlich angenehmer als Kohlenfeuerungen?“ Und er versicherte: „Gas gewinnt mit der Heizung ein konkurrenzloses Feld“: Eine äußerst weitsichtige Argumentation.

      Am 24.1.1884 billigte die Stadtverordnetenversammlung mit großer Mehrheit den Abschluss eines Konzessionsvertrages mit der Actiengesellschaft Städtische Elektricitätswerke. Übertragen wurde die Stromversorgung des Stadtbezirks rings um den Werderschen Markt (heute Sitz des Auswärtigen Amtes); nur wenige hundert Meter von der Prachtstraße Unter den Linden entfernt. Im Vertrag zwischen Stadt und EVU wurden jene Grundregeln festgelegt, die Konzessionsverträge bis zum Jahre 1998 aufwiesen, dem Jahr der Liberalisierung der Energiemärkte. Die Gesellschaft erhielt das exklusive Wegerecht für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen; niemand außer der Gesellschaft konnte Stromleitungen verlegen. Das war ein Transportmonopol. Außerdem erhielt sie auch das Monopol für den Stromverkauf, weil sonst der hohe Investitionsaufwand für die Leitungen nicht zu finanzieren war. Als Gegenleistung zahlte Rathenau 6 % vom Umsatz als Konzessionsabgabe an die Stadt. Außerdem verpflichtete er sich, jeden Bürger im Konzessionsgebiet an das Netz anzuschließen – die „Anschluss- und Versorgungspflicht“. Der Stadt war auch schon klar, dass im Monopol die Preise kontrolliert werden mussten. Der Magistrat behielt sich also eine Preis- und Missbrauchsaufsicht für die Tarife vor.

      Das gelungene Berliner Experiment war ein Signal für andere deutsche und europäische Städte. Das Berliner Beispiel wurde vielfach kopiert. Daraus ergaben sich für Rathenaus Firmen kräftige Wachstumsimpulse. Während die Deutsche Edison im Jahr 1886 nur rund 90.000 Glühlampen verkauft hatte – was damals ein gewaltiger Erfolg war –, wurden drei Jahre später schon mehr als 1 Million Glühlampen verkauft.

      Strom wurde allerdings praktisch nur für Glühlampen gebraucht. Rathenau propagierte deswegen die Umrüstung der Industrie von Dampfkraft auf Elektrizität. In Berlin liefen um 1888 tagsüber nur etwa zwölf Elektromotoren. Rathenau stieg daher in Straßenbahnen ein: Er baute städtische Pferdebahnen in Rekordzeit zu einer elektrischen Straßenbahn um. Beispiel Halle: Das städtische Kraftwerk gewann tagsüber einen Großkunden, die „Elektrische“, die hohe Gewinne abwarf. Außerdem bezog sie das gesamte elektrische Material von Rathenau. Es kam zu einem „Straßenbahnfieber“: Breslau, Chemnitz, Dortmund, Essen, Fürth, Gladbach, Königsberg, Kiew und Oslo.

      Rathenau gelang es auch, die gesamte Stromversorgung von Genua in einer einzigen Gesellschaft zusammenzufassen, der als Großverbraucher auch die Straßen- und Zahnradbahn in der Hafenstadt gehörten. Danach fielen auch Mailand, Venedig und Neapel an die AEG. In der Schweiz beteiligte sich Rathenau an einem Konsortium, das das Recht besaß, den Rheinfall von Schaffhausen für die Stromgewinnung zu nutzen. Er baute die Anlagen. Finanziert wurden die Aktionen aus der Schweiz, von einer Spezialbank in Zürich, bei deren Gründung Rathenau sich mit der Schweizerischen Kreditanstalt zusammengetan hatte: „Bank für elektrische Unternehmungen“, Elektrobank. Rathenau entdeckte schließlich Südamerika. Er gewann die Konzessionen für Kraftwerksbau und Stromversorgung von Buenos Aires (Argentinien), Santiago de Chile und Montevideo (Uruguay).

      Der Konzessionsvertrag garantierte mit seinen langen Laufzeiten dem Stromversorger Investitionssicherheit und ein Versorgungsmonopol, der Kommune die Erfüllung der Gemeinwohlaufgabe Elektrizitätsversorgung. Erst 1990 wurde mit einer Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) die Laufzeit auf zwanzig Jahre beschränkt. Und erst 1998 erzwang die EU mit dem „third


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