Haftungsrisiken des automatisierten und autonomen Fahrens. Jonathan Hinze
Furcht vor unbekannter Technologie ist immer schon ein fester Bestandteil in der Geschichte technischer Innovationen gewesen. So wurde beispielsweise die erste Eisenbahn, die „Puffing Billy“, als „Teufelsding“ bezeichnet und auch das erste Automobil war in seiner Anfangszeit nicht gerne auf den Straßen gesehen.89 Trotzdem hat sich die Eisenbahn und später auch das Auto auf ganzer Linie durchgesetzt. Die Erklärung dafür ist dabei immer die gleiche: Die Technik bringt in Relation zu ihrem Risiko enorme Vorteile mit sich, die das Leben der breiten Öffentlichkeit erheblich erleichtert und Möglichkeiten eröffnet, die bis dato nicht vorstellbar waren. Das Potential, das sich aus der Automatisierung des Straßenverkehrs ergibt, ist vielschichtig und könnte deshalb ein wichtiger Bestandteil zur Lösung von vielen gesellschaftlichen Problemen sein, die sich teilweise schon heute, aber vor allem in naher Zukunft stellen werden.
I. Chancen
1. Verkehrssicherheit
Zentraler Aspekt und deshalb das wohl am häufigsten genannte Argument für einen autonomen Verkehr ist die Reduzierung der Unfallzahlen und damit die Minimierung der im Straßenverkehr verletzten oder getöteten Personen.90 Auch die von der Bundesregierung eingesetzte Ethik-Kommission stellt klar, dass „der Schutz der Menschen Vorrang vor allen anderen Nützlichkeitserwägungen hat.“91 Aktuell sind etwa 90 Prozent der Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen, nur ein Prozent dagegen haben ihre Ursache in einem technischen Defekt.92 Natürlich wird sich der Anteil maschinell bedingter Unfälle mit zunehmender Automatisierung verhältnismäßig erhöhen, weil auch autonome Fahrzeuge nicht völlig unfallfrei fahren werden und die „Vision Zero“, also die Reduzierung der Unfallopfer auf 0, wohl eine Vision bleiben wird. Die Technik macht aber berechtigterweise Hoffnung auf eine signifikante Verringerung der absoluten Opferzahlen, auch wenn dies aus heutiger Sicht nur sehr vage prognostiziert werden kann.93 Das Meinungsbild der Öffentlichkeit zu diesem Thema ist zwiespältig: So ergaben internationale Studien, dass ca. 40 Prozent der Autofahrer glauben, dass autonome Fahrzeuge in Zukunft sicherer fahren werden als menschlich gesteuerte.94 Es gibt allerdings große Differenzen bei Herkunft, Alter und Geschlecht der Befragten. Männer sind optimistischer als Frauen, junge Menschen optimistischer als ältere.95 Die technische Umsetzung steht dabei vor der Herausforderung eines Spagates zwischen einer möglichst sicheren, also defensiven und vorausschauenden Fahrweise,96 und einer dennoch praktikablen Lösung. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welchen Einfluss die Insassen autonomer Fahrzeuge auf Parameter wie Geschwindigkeit oder Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug haben sollten.
Ebenfalls diskutiert wird eine Verpflichtung zur Nutzung automatisierter und autonomer Systeme im Straßenverkehr.97 Technologische Voraussetzung dieser Debatte ist sicherlich, dass sich die Technik tatsächlich als wesentlich sicherer erweist und der Schutz der Verkehrsteilnehmer deshalb durch einen flächendeckenden Einsatz autonomer Systeme wesentlich besser gewährleistet werden kann. Es kommt dann zu einer Divergenz zwischen staatlichem Schutzauftrag und der Privatautonomie des Einzelnen (in diesem Fall also das Recht, kein autonomes Fahrzeug zu nutzen). Verfassungsrechtlich lässt sich strikt mit der allgemeinen Handlungsfreiheit argumentieren.98 Problematisch ist allerdings, inwieweit nicht ein Eingriff in Art. 2 I GG verfassungsmäßig gerechtfertigt sein kann. Stender-Vorwachs und Steege führen hier die Vergleichbarkeit dieser Frage mit den Gurt- bzw. Helmpflicht-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts an,99 in denen den Belangen der Allgemeinheit der Vorrang gegenüber den Individualinteressen der Gurt- oder Helmgegner gewährt wurde.100 Wenn der Schutz der Allgemeinheit sogar Vorrang gegenüber dem Bedürfnis hat, ohne Helm oder Gurt zu fahren, dann hat er erst Recht Vorrang gegenüber dem Bedürfnis, ein Fahrzeug mit manueller Steuerung zu führen; schließlich würde ein solches Verhalten die Allgemeinheit weitaus mehr gefährden als der Verzicht auf einen Helm oder Gurt.
Gesetzt den Fall, dass die Technik tatsächlich signifikant sicherer ist als der menschliche Fahrer, wäre die zulassungsrechtliche Beschränkung auf autonome Fahrzeuge in (ferner) Zukunft also durchaus ein zulässiges Mittel.
2. Verkehrseffizienz
Viele Menschen, viele Staus, wenig Platz: Die Verstopfung der Städte hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. In Deutschland kommen auf 1.000 Einwohner 692 Fahrzeuge, über 57 Millionen insgesamt.101 Bauliche Maßnahmen wie die Erweiterung von Straßen und Parkflächen sind aus Platzgründen beschränkt und geraten in Konflikt mit Umweltbelangen und dem ebenfalls stetig wachsenden Bedürfnis nach städtischem Wohnraum. Vor allem unsere Großstädte tragen die Last eines Stadt- und Mobilitätskonzeptes, das längst nicht mehr im angemessenen Verhältnis zum Wachstum der Städte steht. Wir brauchen die „Mobilitätseffizienz-Revolution“.102 Weniger Fahrzeuge durch attraktive öffentliche Verkehrsmittel und ein intelligentes Car-Sharing Angebot, lautet hier der erste Ansatz. Gestaltet man etwa das Verkehrsaufkommen nachfrageorientiert, wären die Autos dort, wo sie gebraucht werden. Keine Wartezeiten, kein stundenlanges „Herumstehen“ der Fahrzeuge mehr. Die Autonomisierung des Straßenverkehrs nimmt bei dieser Idee eine Schlüsselrolle ein. „Robo-Taxis“ würden dabei ständig in Bewegung bleiben und wären nicht mehr an eine bestimmte Person oder Personengruppe gebunden, sondern dienten nur dem Zweck einer effektiven, punktgenauen Beförderung.103
Das Bild eines vollautonomen, rein zweckgebundenen Straßenverkehrs mag zwar als praktisch nicht umsetzbar erscheinen, der Grundgedanke lässt sich aber durchaus auf das Mobilitätskonzept von morgen übertragen. Autonome Fahrzeuge kennen die effektivste Route, können so Staus und anderen Verkehrsbehinderungen ausweichen, was zur Reduzierung ebendieser führt. Durch eine vernetzte Infrastruktur kommt es zu weniger Lücken zwischen den Fahrzeugen, wodurch der Straßenverkehr harmonisiert wird und so etwa mehr Fahrzeuge über eine grüne Ampel fahren können.104 Durch die effizientere Nutzung von Verkehrsräumen ist es ebenfalls denkbar, dass autonome Fahrzeuge weitaus weniger Fläche benötigen und so sogar ein Rückbau der Straßenflächen möglich wäre.105
3. Zeiteffizienz
Ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt ist der durch den Wegfall der Fahraufgabe entstehende erhebliche Zeitgewinn für den Fahrer, nämlich einerseits die Zeit, die er zur Bewältigung der Fahraufgabe aufwendet, in der er also aktiv Gas gibt, bremst und lenkt, um an sein Ziel zu gelangen. Hinzukommt andererseits diejenige Zeit, in der der Fahrer diesen Aufgaben nicht nachkommt, die er aber trotzdem in seinem Auto verbringen muss, weil er etwa an der Ampel oder im Stau steht. Hierzulande verbringt ein Autofahrer durchschnittlich 36 Stunden pro Jahr im Stau.106 Aber auch die Zeit, die wir nicht im Stau verbringen, wird nicht unbedingt effektiv zur Fortbewegung von A nach B genutzt: 41 Stunden im Jahr sind wir auf der Suche nach einem freien Parkplatz.107 Dementsprechend viel Potential bietet das autonome Fahren auch in Hinblick auf ein effektiveres Zeitmanagement.
Natürlich sind die Möglichkeiten, die gewonnene Zeit anderweitig zu nutzen, limitiert. Trotzdem erscheint der neue Freiraum durchaus attraktiv: So könnte das autonome Fahrzeug als „mobile Office“ oder als Erholungs- und Schlafmöglichkeit dienen. Die neuen Nutzungsmöglichkeiten könnten zudem auch einen positiven Effekt auf die räumliche Stadtentwicklung haben. So wäre es zum Beispiel nicht mehr zwingend erforderlich, in der näheren Umgebung des Arbeitsplatzes zu wohnen, wenn die Fahrtzeit bereits zur Erledigung der Arbeit genutzt werden könnte. Die Folge wäre eine Verbesserung der Wohnraumsituation in den Innenstädten und eine gleichzeitige Aufwertung ländlicher Regionen.108
4. Mobilität für alle
Durch niedrige Geburtenraten und steigende Lebenserwartungen wird die Anzahl älterer Menschen in den nächsten Jahrzehnten stark anwachsen. Schon bis 2030 soll sich der Anteil der über 65-Jährigen um ein Drittel erhöhen und dann 28 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.109 Viele dieser Menschen sind physisch nicht mehr in der Lage, ein Kraftfahrzeug zu führen. Eine schlechte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gerade in den ländlichen Regionen reduziert zusätzlich die Mobilität und die Teilhabe am öffentlichen Leben insgesamt. Ein