Rechtliche Grenzen vertraglicher Haftungsausschlüsse und -begrenzungen in B2B-Exportverträgen. Alexander Grieger
Deutschland den Rang als Exportnation Nummer 1 abgelaufen hat, hat die deutsche Wirtschaft im Jahre 2019 noch immer einen beachtlichen Anteil seiner Güter und Dienstleistungen im Wert von mehr als 1.300 Milliarden Euro an das Ausland verkauft1. Rund die Hälfte dieser Exporte machen technisch anspruchsvolle Zwischen- und Endprodukte aus den Bereichen Maschinen- und Anlagenbau, Autoindustrie, Chemie, Elektroindustrie sowie Datenverarbeitung2 aus, welche in komplexe Produktionsabläufe eingegliedert werden, bei deren Störungen es zu erheblichen Betriebsunterbrechungen und damit zusammenhängenden Haftungsrisiken für den Lieferanten kommen kann3. Dabei exportieren nicht nur Großkonzerne, sondern insbesondere auch der Mittelstand4, als Stütze der deutschen Wirtschaft. Die deutsche Wirtschaft hat somit ein nachvollziehbares Interesse daran, auch im internationalen unternehmerischen Geschäftsverkehr Haftungsrisiken in ihren Exportverträgen zu limitieren. Die Wahl des dem Vertrag zu Grunde liegenden Rechts stellt hier die grundlegenden Weichen für das spätere Haftungsregime und etwaige vertragliche Haftungsbegrenzungsmöglichkeiten.
Trotz einer langsam aber stetig anwachsenden Gegenströmung5 haben die weitaus überwiegende Anzahl deutscher Justiziare und Unternehmensverbände sowie ein überwiegender Anteil in der juristischen Literatur einen „Abgesang“ auf die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Rechts im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen eingeleitet6. Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat einen eigenen Gesetzesvorschlag entwickelt und in die Diskussion eingesteuert7. Kritisiert werden – was im Laufe dieser Arbeit näher zu beleuchten ist – die fehlende Vorhersehbarkeit sowie mangelnde Praxistauglichkeit der deutschen AGB-Kontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr, insbesondere im Bereich von nur vermeintlich individuell und somit unwirksam vereinbarten Haftungsfreizeichnungsklauseln. Das deutsche Recht, das auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland ein entscheidender Standortfaktor ist8, sei international nicht mehr wettbewerbsfähig. Aus dem Blickwinkel des Risikomanagements heraus9 wird folglich die Anwendbarkeit bzw. freie Wahl des deutschen Rechts im Lichte der AGB-Kontrolle offen als Risikofaktor dargestellt, verbunden mit der scheinbaren Glorifizierung ausländischer Rechtsordnungen, insbesondere des Schweizerischen Rechts. Deutsche Exporteure werden zunehmend in fremde, vermeintlich verkäuferfreundlichere Rechtsordnungen gedrängt – ohne zu wissen, ob die vertraglichen Vereinbarungen zur Risikobegrenzung nicht auch dort nationalen rechtlichen Hürden unterliegen. Es darf vermutet werden, dass auch fremde Rechtsordnungen, welche den „Grundsatz der unbeschränkten Haftung“ kennen, Mechanismen entwickelt haben, um privatautonomen Fehlentwicklungen entgegenzusteuern. Diese Beschränkungen können wie in Deutschland explizit in Gesetzen zur AGB-Kontrolle („offene Inhaltskontrolle“) verankert sein, müssen aber nicht10. Denkbar ist neben allgemeinen gesetzlichen Prüfungsmaßstäben auch, dass z.B. auch die Rechtsprechung ihr Übriges tut („verdeckte Inhaltskontrolle“).
Ziel der Arbeit ist es, den Stand der Debatte um die deutsche AGB-Kontrolle kritisch zu hinterfragen, den Stand der Rechtsprechung als Überprüfungsmaßstab heranzuziehen, einen rechtsvergleichenden Blick in andere Rechtsordnungen zu werfen und die gewonnenen Erkenntnisse mit einem bislang kaum diskutierten Lösungsvorschlag abschließend zusammen zu führen.
1 Deutsches Statistisches Bundesamt, Zusammenfassende Übersichten für den Außenhandel – Vorläufige Jahresergebnisse, Fachserie 7 Reihe 1 – 2019, S. 26/Abbildung 1.1, abgerufen am 05.04.2020 unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Aussenhandel/_inhalt.html. 2 Deutsches Statistisches Bundesamt, Zusammenfassende Übersichten für den Außenhandel – Vorläufige Jahresergebnisse, Fachserie 7 Reihe 1 – 2019, S. 66/Ziffer 1.11.1, abgerufen am 05.04.2020 unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Aussenhandel/_inhalt.html. 3 Zur zunehmenden Technologiedynamik und den damit einhergehenden zunehmenden Risiken: Gassmann/Kobe, Management von Innovation und Risiko, S. 6ff.. Podehl, DB 2005, S. 2453ff. (2453); Kaufhold, BB 2012, S. 1235ff. (1235); Dauner-Lieb/Axer, ZIP 2010, S. 309ff. (309/310). Zur allgemeinen Üblichkeit von Haftungsbeschränkungsklauseln im Unternehmensalltag siehe Del Popolo, Grenzen des AGB-Rechs im unternehmerischen Alltag und das damit zusammenhängende Risikomanagement an Hand von praxisrelevanten Beispielen, S. 113. Die Bedeutung von AGBs betonend, welche die gesetzlichen Rahmenbedingungen bei Lieferung komplexer Produkte ins Ausland abändern: Niebling, Allgemeine Geschäftsbedingungen – Besonderer Teil/Praxiswissen, S. 44. 4 Ostendorf/Neumann/Ventsch, IHR 2006, S. 21ff. (21). 5 Vgl. „Initiative pro AGB-Recht“, gemeinsame Erklärung zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zwischen Unternehmern vom April 2012, zuletzt aktualisiert im Februar 2019, bestehend aus mittlerweile mehr als 30 Verbänden, u.a. dem Zentralverbands des deutschen Handwerks e.V., Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V., Markenverband e.V., Gesamtverband der deutschen Mode- und Textilindustrie e.V., Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e.V., Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie e.V., Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie e.V., Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V., Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V., abgerufen am 02.09.2019 unter http://www.pro-agb-recht.de/. 6 Kritisch hierzu ULMER/BRANDNER/HENSEN-Ulmer/Habersack, Einl. Rn. 50. 7 DAV, Stellungnahme 23/2012, abgedruckt im AnwBl 5/2012, S. 402ff. (402). 8 Kondring, RIW 2010, S. 184ff. (184). 9 Lischek/Mahnken, ZIP 2007, S. 158ff. (158); Lotz, ZfBR 2003, S. 424ff. (424); Del Popolo, Grenzen des AGB-Rechs im unternehmerischen Alltag und das damit zusammenhängende Risikomanagement an Hand von praxisrelevanten Beispielen, S. 37; zur ex ante-Berücksichtigung und Einpreisung von Haftungsrisiken vgl. Roth, ZGR 3/86, S. 371ff. (374). 10 Zum Begriff der „Inhaltskontrolle“ bzw. „Rechtskontrolle“ vgl. ULMER/BRANDNER/HENSEN-Fuchs, Vorb. v. 307 Rn. 1ff..
B. Gang der Darstellung
Zu Anfang werden kurz das von Wirtschaft, Branchenverbänden und dem überwiegenden Anteil der juristischen Literatur kolportierte Meinungsbild als zu beweisende (oder zu widerlegende) Behauptung zusammengefasst und die Auswirkungen auf die Wirtschaftspraxis beleuchtet.
Anschließend werden in einem Sachteil die Grundzüge des deutschen Haftungsrechts dargestellt, um die aufgeworfenen Fragen im Kontext richtig einordnen zu können. Es folgt eine Darstellung und Analyse zulässiger Haftungsbeschränkungen auf gesetzlicher sowie vertraglicher Basis. Zur Meinungsbildung betrifft dies auch bewusst sachfremde Rechtsgebiete, um den Blick für etwaige Lösungsansätze zu weiten.
Anschließend werden die Entstehungsgeschichte der AGB-Kontrolle, die Intention des Gesetzgebers, die Behandlung durch die Rechtsprechung und ausgewählte dogmatische Ansätze samt eigenem Ansatzpunkt dargestellt.
Hieran schließt eine ausführliche, auf Gesetz und Rechtsprechung basierende Darstellung zulässiger Haftungsausschlüsse und -beschränkungen an.
Dieser Gang der Darstellung folgt einem bestimmten Zweck: Zuallererst ist zu ermitteln, welche Problemstellungen der deutsche Gesetzgeber bzw. die Rechtsprechung mit der AGB-Kontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr zu lösen versucht, und wie diese Ziele mit unterschiedlichen Instrumentarien erreicht werden sollen. Der Schwerpunkt liegt anschließend auf der Fragestellung, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber bzw. die Rechtsprechung im unternehmerischen Geschäftsverkehr die Privatautonomie im Bereich von Haftungsbeschränkungen zulässt oder gegebenenfalls beschränkt. Herauszuarbeiten ist, ob die deutsche AGB-Kontrolle (auch unter Berücksichtigung des eventuell anwendbaren CISG) tatsächlich dermaßen unsichere Rahmenbedingungen in internationalen Exportverträgen bietet, dass eine gezielte Wahl ausländischen Rechts Sinn machen kann. Hierbei soll auch ein kurzer Abstecher in nicht unmittelbar rechtstypische Gebiete gewagt werden, um zu beleuchten, ob etwaige Problemstellungen nicht durch praktische Ansätze (wie Verhandlungsstrategien (z.B. Harvard-Verhandlungsstrategie))