Rechtliche Grenzen vertraglicher Haftungsausschlüsse und -begrenzungen in B2B-Exportverträgen. Alexander Grieger
Im später folgendem rechtsvergleichenden Teil soll versucht werden, die vertraglichen Grenzen von Haftungsausschlüssen und -begrenzungen beispielhaft in verschiedenen fremden Rechtsordnungen zu beleuchten. Wenn die deutsche AGB-Kontrolle im Bereich der Haftungsfreizeichnung im unternehmerischen Geschäftsverkehr tatsächlich dermaßen unzulänglich und unpraktikabel sein sollte, stellt sich die Frage, wie in ausgewählten anderen Ländern mit der zu Grunde liegenden Problemstellung umgegangen wird, welche beispielhaften Ansätze hier verfolgt werden, und vor allem, ob diese Ansätze gegenüber dem deutschen Recht denn tatsächlich vorzugswürdig sind. Von erheblicher Bedeutung ist hier nicht nur, ob und wo solche Grenzen bestehen, sondern insbesondere auch, warum und wie sich diese Grenzen von den deutschen Beschränkungen der Privatautonomie unterscheiden. Auch hierbei soll, der im Raum stehenden Frage der praktischen Unzulänglichkeit der Rechtsanwendung folgend, ein besonderer Fokus auf die Vorstellung konkreter Urteile gelegt werden. Hierzu werden beispielhaft folgende Rechtsordnungen abgehandelt:
1. Schweizer Recht: Sollten wie von den Kritikern der deutschen AGB-Kontrolle propagiert trotz der vom Schweizerischen Bundesgericht entwickelten Überprüfungsmaßstäbe (z.B. Ungewöhnlichkeits- und Unklarheitenregel11 für AGBs) keine praktisch relevanten Beschränkungen der Privatautonomie existieren, stellt sich die Frage, wie das Schweizer Recht dies begründet und welche Schlüsse sich für die den beiden Rechtsordnungen zu Grunde liegende Problemstellung ergeben.
2. US-Amerikanisches Recht: Zudem wird noch eine Rechtsordnung aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis herangezogen. Aus diesem Rechtskreis, dessen grundsätzlich weite Vertragsfreiheit – auch des Modellgesetzes UCC12 – allgemein bekannt ist, wird ein dem deutschen Verständnis eher fremdes vertragliches Haftungskonzept (sog. „knockfor-knock indemnification“13) dargestellt, welches – dem allgemeinen Rechtsverständnis des case law widersprechend – durch den texanischen Gesetzgeber in gewisse Grenzen verwiesen wurde14. Zu klären wird sein, wie dieser uns fremde Ansatz funktioniert und welche Problemstellungen durch welche gesetzlichen Vorgaben gelöst werden sollen.
Das rechtsvergleichende Fazit soll neben einer abschließenden Bewertung der verschiedenen Ansätze und gewonnenen Erkenntnisse auch neue Aspekte in die Debatte um die Fortentwicklung der AGB-Kontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr einbringen.
Die Arbeit schließt mit der Vorstellung eines auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse abgeleiteten Modells sowie einer konkreten Empfehlung, die den rechtlichen wie praktischen Bedürfnissen gleichermaßen gerecht werden soll und die Debatte lösungsorientiert versachlichen möchte.
11 Berger, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 959. 12 Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 83ff.. 13 Dieses im Bereich der Ölförderung häufig vertraglich vereinbarte Haftungskonzept stellt nicht auf ein Verursacher- oder Verschuldensprinzip ab, sondern teilt Verantwortlichkeiten rein z.B. nach Unternehmenszugehörigkeiten der klagenden Person ein. Wird solch ein Konzept zwischen Vertragspartnern vereinbart, kann dies zur vollständigen Haftungsfreistellung für den Schädiger führen. Siehe hierzu später im rechtsvergleichenden Teil unter § 6 B II.3 (4). 14 Civil Practice & Remedies Code, Chapter 127, Indemnity Provisions in certain Mineral Agreements.
A. Zusammenfassung zum Stand der Debatte
Mittlerweile werden die angeblichen Unzulänglichkeiten der deutschen AGB-Kontrolle im Vergleich zur Vertragsfreiheit in fremden Rechtsordnungen nicht mehr nur von einzelnen Branchenverbänden kritisiert, sondern auch in weiten Fachkreisen aus Wirtschaft, Anwaltschaft15 und zunehmend auch Forschung16 rege diskutiert17. Hier hat sich insbesondere die Abgrenzung von AGB-Klauseln, welche der strengen Kontrolle der §§ 307ff. BGB unterliegen, und individuell ausgehandelten Klauseln, welche gem. § 305b BGB nicht angreifbar sind bzw. eigentlich sein sollten, als größter Kritikpunkt herauskristallisiert18.
Nach Angabe diverser Unternehmensverbände, insbes. auch des VDMA, mangele es den Unternehmen auf Grund der unklaren Überprüfungskriterien an Vorhersehbarkeit, Verlässlichkeit und somit Rechtssicherheit im Umgang mit allgemein gebräuchlichen Vertragsmustern und -klauseln. Die Vorgaben von Gesetzgeber und Rechtsprechung, die ursprünglich dem Verbraucherschutz dienen sollten, würden im unternehmerischen Geschäftsverkehr, dem sog. B2B-Bereich19, als Beschneidung der Privatautonomie verstanden, die dem Leitbild eines selbstbestimmten und verantwortlich handelnden Unternehmertums zuwiderlaufe20. Insbesondere eine fehlende Haftungsbeschränkungsmöglichkeit im Bereich der einfachen Fahrlässigkeit führe dazu, dass unternehmerische Risiken weder kalkulierbar noch versicherbar seien21. Teile des Schrifttums sprechen gar von einer „uneinsichtigen und doktrinären“ Rechtsprechung, welche in der praktischen Anwendung im Widerspruch zur geltenden Gesetzeslage stehe22. Die „zahllosen Fallstricke zu vermeiden“23 sei auch einem vernünftigen Rechtsanwender angesichts der Rechtsprechung kaum möglich24.
Besonders deutlich bringt dies die von BDI, DIHK, VDMA, ZVEI, IHK Frankfurt am Main, diversen Rechtsanwälten und Syndizi aus Unternehmen getragene Initiative zur Fortentwicklung des deutschen AGB-Rechts im unternehmerischen Geschäftsverkehr25 zum Ausdruck. Diese rät, solange die angestrebten Änderungen in Gesetz und/oder Rechtsprechung oder Entschärfung dieser Problematik nicht eintreten, mehr oder weniger offen zur „Flucht aus dem deutschen Recht“26, wofür sich mittlerweile auch konkrete Fortbildungsreihen von Seminar-Dienstleistern entwickelt haben27. Die Unternehmen werden aus eigener Erfahrung heraus bereits seit längerem mit solchen Seminar-Angeboten nahezu überschwemmt. Insbes. größere Unternehmen sollen seit schon geraume Zeit das Schweizer Recht dem deutschen Recht vorziehen28. Zuletzt stellt die Initiative verstärkt auch auf die Herausforderungen der Digitalisierung ab und sieht eine Neuordnung als wesentlich für die digitale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands29.
Auch internationale Branchenverbände haben Ihren Beitrag zu einer internationalen Diskussion geleistet: So sehen z.B. selbst die ORGALIME Bedingungen30 speziell für den Fall einer Wahl des deutschen Rechts einen separaten Annex31 vor, welcher die – branchenüblichen, aber gem. AGB-Rechtsprechung unzulässigen – Haftungsausschlüsse für Folgeschäden („loss of production, loss of profit and other indirect loss“32) abwandelt bzw. vollständig aufhebt33. Auch die FIDIC Bedingungen, immerhin internationaler Standard für Ingenieursdienstleistungen, haben sich den Herausforderungen der deutschen AGB-Kontrolle zu stellen34.
Auf der Ebene von Politik und Justiz hat der „Wettbewerb der Rechtsordnungen“35 schon vor einiger Zeit Aufmerksamkeit erregt und das Bundesministerium der Justiz Ende 2008 veranlasst, mit dem Deutschen Richterbund, dem Deutschen Anwaltverein, der Bundesrechtsanwaltskammer, dem Deutschen Notarverein und dem Deutschen Juristinnenbund ein „Bündnis für das deutsche Recht“ auszurufen36. Die Thematik der AGB-Kontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr wurde anscheinend jedoch nicht aufgegriffen37. Die zugehörige Werbebroschüre („Law – Made in Germany – global, effektiv, kostengünstig“38) preist nur die große Rechtssicherheit an, welche „den Bedürfnissen des internationalen Handelsverkehrs verlässlich Rechnung“39 trage. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz und Justiz hat die Verbandsinitiative zur Fortentwicklung des deutschen AGB-Rechts zur Kenntnis genommen und Anfang 2012 ein Anhörungstermin durchgeführt, bei dem durch Experten und Verbände konkrete Änderungsvorschläge vorgelegt werden sollten. Der Koalitionsvertrag 2018 beinhaltet gar explizit eine Überprüfung der Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr:
„Wir werden das AGB-Recht für Verträge zwischen Unternehmen auf den Prüfstand stellen mit dem Ziel, die Rechtssicherheit für innovative Geschäftsmodelle zu verbessern. Kleine und mittelständische Unternehmen, die Vertragsbedingungen ihres Vertragspartners aufgrund der wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse