Compliance-Handbuch Kartellrecht. Jörg-Martin Schultze

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Informationsaustausch ist dann ohne kartellrechtliche Relevanz, wenn aus den Informationen keine Rückschlüsse mehr auf das aktuelle oder künftige Verhalten eines Unternehmens gezogen werden können, etwa weil die Daten zu alt oder generisch bzw. aggregiert sind, oder wenn es sich um echte öffentliche Informationen handelt.158 Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen.

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      Da der unzulässige Informationsaustausch für nahezu jedes Unternehmen von besonderer praktischer Relevanz ist, sind Verhaltensrichtlinien in diesem Bereich besonders wichtig, um Mitarbeitern konkrete Anweisungen an die Hand zu geben, wie sie auf kritische Situationen richtig reagieren bzw. eine unzulässige Diskussion strategischer Informationen oder ihre bloße „Entgegennahme“ von vornherein vermeiden können. Aus diesen Verhaltensrichtlinien muss deutlich werden, dass:

       – das bloße passive Zuhören die Risiken aus einem rechtswidrigen Informationsaustausch nicht ausschließt;

       – der Mitarbeiter strategische Informationen von einem Wettbewerber stets explizit zurückweisen muss;

       – Vorfälle solcher Art unverzüglich an die Rechts-/Compliance-Abteilung oder eine andere geeignete Stelle im Unternehmen gemeldet werden müssen, damit eine Risikoanalyse stattfinden und geprüft werden kann, ob weitere Reaktionen oder Konsequenzen erforderlich sind.

       3. Gefahrenbereich Verbandstätigkeit

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      Aus Unternehmenssicht muss für eine wirkungsvolle Compliance-Arbeit zunächst geklärt werden, welche Mitarbeiter an welchen Verbandsaktivitäten teilnehmen. Je nach Ergebnis dieser Bestandsaufnahme bietet es sich in diesem Zusammenhang an, kritisch zu hinterfragen, ob die Teilnahme der jeweiligen Mitarbeiter sachlich gerechtfertigt ist. Eine sehr effektive Maßnahme ist es, Unternehmensmitarbeiter mit hoher operativer und strategischer Bedeutung (z.B. den Leiter Vertrieb oder Einkauf) aus der Verbandsarbeit auszuklammern und von vorneherein nur Personen zu schicken, die aufgrund ihrer Funktion keine unmittelbare Gefahr eines unzulässigen Informationsaustausches auslösen. Für die Zukunft sollte sichergestellt sein, dass jede Verbandsmitarbeit erfasst und zuvor freigegeben ist, bevor der jeweilige Unternehmensmitarbeiter seine Tätigkeit aufnimmt. Bestehen Zweifel, muss die Teilnahme ausgesetzt werden, bis die Zulässigkeit geklärt ist.

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      Auf diese Weise lässt sich sicherstellen, dass Unternehmensmitarbeiter, die an Verbandsaktivitäten teilnehmen

       – vorrangig kartellrechtlich geschult werden und

       – klare Verhaltensregeln an die Hand bekommen, wie sie sich in konkreten Situationen richtig verhalten.

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      Im Verbandskontext ist es dabei besonders wichtig, dass die entsprechend geschulten Mitarbeiter schon die Tagesordnung auf kartellrechtlich kritische Punkte hin durchsehen, um Zweifel über Diskussionen einzelner Tagesordnungspunkte bereits im Vorfeld abzuklären und ausräumen zu lassen. Zudem müssen in die Verbandsarbeit eingebundene Unternehmensmitglieder verinnerlicht haben, dass sie kartellrechtlich problematische Diskussionen unter deutlichem Hinweis abbrechen und ggf. die Sitzung verlassen und dies im Protokoll vermerken lassen müssen, um kartellrechtliche Risiken für das Unternehmen (d.h. ein eigenes Bußgeld oder eine Ausfallhaftung für einen zahlungsunfähigen Verband, siehe Rn. B 144) auszuschließen.

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      Der Fallbericht zur Wirtschaftsvereinigung Stahl166 zeigt, dass nicht selten eine umfassende Reorganisation von Verbandsabläufen nach Feststellung von Kartellverstößen erforderlich ist, um die Überlebensfähigkeit eines Verbandes zu sichern. Rein praktisch ist die Kündigung der Verbandsmitgliedschaft für viele Unternehmen


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