Strafrecht Allgemeiner Teil. Klaus Hoffmann-Holland
unter Hinweis auf eine hohe Hemmschwelle verneint werden. Insoweit wird, ohne dass dies als Abkehr von der Hemmschwellentheorie zu verstehen wäre,[180] bei offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise „eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen“ gefordert.[181]
5. Dolus cumulativus und dolus alternativus
a) Dolus cumulativus
168Ein sogenannter dolus cumulativus bzw. kumulativer Vorsatz liegt vor, wenn der Täter bei Vornahme der Tathandlung vorsätzlich hinsichtlich der Verwirklichung mehrerer Tatbestände handelt. Er begegnet häufig in der Form, dass der Täter es für möglich hält, dass neben der primär angestrebten Verwirklichung eines bestimmten Tatbestandes noch ein weiterer Erfolg eintritt. So ist ein kumulativer Vorsatz anzunehmen, wenn A eine Falle stellt, um den |59|Nachtwanderer O ums Leben zu bringen, und es hierbei für möglich hält, dass O gemeinsam mit seinem Hund in die Falle gerät und auch Letzterer in dieser verendet. Nach einheitlicher Auffassung ist der Täter im Fall des kumulativen Vorsatzes wegen sämtlicher vom Vorsatz umfasster Taten zu bestrafen.[182] Geraten O und sein Hund tatsächlich in die Falle und verstirbt O, während sein Hund verendet, hätte sich A somit sowohl nach § 212 Abs. 1 StGB als auch nach § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, wobei zwischen den verwirklichten Taten Tateinheit (§ 52 StGB) besteht.
b) Dolus alternativus
169Umstritten ist die Behandlung des sogenannten dolus alternativus bzw. Alternativvorsatzes. Bei diesem handelt der Täter vorsätzlich hinsichtlich zwei sich gegenseitig ausschließender Tatbestände, geht also davon aus, von zwei möglichen Tatbeständen entweder den einen oder den anderen zu verwirklichen. Ein Alternativvorsatz liegt bspw. dann vor, wenn A auf den berittenen Polizisten O schießt und hierbei davon ausgeht, dass er entweder nur das Pferd oder den O tödlich verletzen wird. Hier wird A nach seiner Vorstellung entweder nur eine Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) oder aber einen Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB) verwirklichen. Gleichwohl behandelt die mehrheitliche Auffassung den Alternativvorsatz weitgehend nach den gleichen Gesichtspunkten wie den kumulativen Vorsatz, indem sie die Problematik auf der Konkurrenzebene verortet und Tateinheit zwischen sämtlichen Delikten annimmt, hinsichtlich deren Verwirklichung der Täter vorsätzlich gehandelt hat.[183] Soweit A im Beispielsfall sowohl O als auch das Pferd verfehlt, wäre er nach dieser Sicht der Dinge wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit versuchter Sachbeschädigung zu bestrafen. Verletzt er demgegenüber O oder das Pferd tödlich, so stünde das jeweils vollendete Delikt in Tateinheit mit dem jeweils versuchten Delikt.
170Die soeben skizzierte herrschende Auffassung, welche zu einem weitgehenden Gleichlauf von kumulativem und alternativem Vorsatz führt, wird zunehmend skeptisch beurteilt, da es nicht überzeugen kann, einen Täter, der davon ausgeht, durch sein Verhalten höchstens einen Straftatbestand zu verwirklichen, genauso zu bestrafen, wie einen Täter, der es für möglich hält, durch sein Verhalten mehrere tatbestandliche Erfolge herbeizuführen. Teilweise wird daher vorgeschlagen, den Täter immer nur wegen dem verwirklichten Tatbestand und bei Ausbleiben aller für möglich gehaltenen Erfolge wegen des Schwersten zu bestrafen.[184] Andere Autoren wollen den Täter immer nur wegen dem schwersten vom Vorsatz umfassten Delikt bestrafen, unabhängig davon, ob und welche Tat vollendet wurde.[185] Auch diese Lösungswege sehen sich jedoch beachtlichen Bedenken ausgesetzt. Die Bestrafung aus dem schwersten Delikt kann immer dann nicht überzeugen, wenn ein anderes (weniger schwer wiegendes) Delikt |60|verwirklicht wurde. Tötet A im Beispielsfall das Pferd, würde diese Auffassung ihn gleichwohl nur wegen versuchten Totschlags bestrafen und hierdurch die Kongruenz zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand auflösen. Demgegenüber vermag die Bestrafung nur aus dem vollendeten Delikt dann nicht zu überzeugen, wenn der ausgebliebene Erfolg deutlich schwerer wiegendes Unrecht darstellt. Trifft A im Beispielsfall das Pferd, müsste diese Auffassung ihn allein wegen einer Sachbeschädigung bestrafen und würde hierdurch unberücksichtigt lassen, dass A vorsätzlich hinsichtlich der Tötung eines Menschen gehandelt hat.
171Richtigerweise ist der Problematik des dolus alternativus somit durch eine differenzierende Lösung zu begegnen.[186] Grundsätzlich ist der Täter nur wegen des vollendeten Deliktes zu bestrafen, Tateinheit zwischen vollendetem und versuchtem Delikt ist jedoch dann anzunehmen, wenn der Unrechtsgehalt der nicht verwirklichten Tat deutlich schwerer wiegt. Tötet A im Beispielsfall den O, ist er somit strafbar nach § 212 Abs. 1 StGB. Tötet er demgegenüber das Pferd, ist er aufgrund des größeren Unrechtsgehalts der ebenfalls in seinen Vorsatz aufgenommenen Tötung eines Menschen sowohl nach § 303 Abs. 1 StGB als auch nach §§ 212 Abs. 1 StGB, 22, 23 Abs. 1 StGB zu bestrafen, wobei zwischen den Taten Tateinheit besteht. Bleiben sämtliche Erfolge aus, ist der Täter allein wegen des schwereren Deliktes zu bestrafen. Verfehlt A im Beispielsfall sowohl O als auch das Pferd, ist er daher lediglich strafbar nach §§ 212 Abs. 1 StGB, 22, 23 Abs. 1 StGB, nicht auch gemäß §§ 303 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB.
6. Leitentscheidungen
172BGHSt 7, 363, 368ff.; Anforderungen an den dolus eventualis (hierzu bereits Rn. 164): Der Täter würgt das Opfer mit einem Lederriemen, um dieses kampfunfähig zu machen und mehrere Gegenstände aus seiner Wohnung wegnehmen zu können. Dabei hofft er zwar, das Opfer würde das Würgen überleben, erkennt aber die Möglichkeit, dass es verstirbt, findet sich hiermit jedoch ab, um ungestört nach den Tatobjekten suchen zu können. Das Opfer verstirbt. – Der BGH stellte klar, dass bedingter Vorsatz auch dann vorliegen kann, wenn dem Täter der Eintritt des Erfolges unerwünscht ist. Ein Billigen im Rechtssinne läge immer schon dann vor, wenn sich der Täter damit abfindet, dass seine Handlung den (wenn auch unerwünschten) Erfolg herbeiführen kann.
173BGHNStZ 1983, 452; Unbeachtlichkeit eines nachfolgenden Vorsatzes: Um einer körperlichen Misshandlung durch ihren Mann zu entgehen, flüchtet die Ehefrau in den Wohnungsflur. Dort stolpert sie und schlägt mit dem Gesicht so hart auf den Fußboden auf, dass sie regungslos liegen bleibt. Der Mann entschließt sich nunmehr, seine Frau zu töten und tritt mehrfach auf sie ein. Diese verstirbt nach mehreren Stunden, wobei einzige Todesursache die beim Sturz zugezogenen Verletzungen sind. – Der Mann hat sich nicht wegen |61|vorsätzlich begangenen, vollendeten Totschlags durch aktives Tun strafbar gemacht. Der Vorsatz muss im Zeitpunkt der zum Erfolgseintritt führenden Tathandlung vorliegen, ein hieran nachfolgender Vorsatz (dolus subsequens) ist unbeachtlich. Zum Tod hat vorliegend der Sturz der Ehefrau geführt. Dass ihr Mann anschließend den Entschluss fasste, sie zu töten, reicht nicht aus, um die erforderliche Kongruenz zwischen objektivem Geschehen und subjektiver Vorstellung herzustellen. In Betracht kommt jedoch eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen (soweit der Mann im Anschluss an den Sturz seiner Ehefrau den Todeseintritt noch hätte verhindern können), bzw. eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags.
174BGHSt 36, 1, 9ff.; Anforderungen an den dolus eventualis: Der mit dem HI-Virus infizierte Täter übt in Kenntnis seiner Infizierung wiederholt und mit unterschiedlichen Partnern Geschlechtsverkehr aus, wobei er immer nur unmittelbar vor dem Samenerguss ein Kondom verwendet. Vorher hatte ihn ein Arzt mehrfach auf die Gefahren von ungeschütztem Geschlechtsverkehr hingewiesen. – Der BGH bejahte den bedingten Verletzungsvorsatz des Täters. Zumindest im Anschluss an die Aufklärung durch den Arzt hatte er hinreichende Kenntnis von der Möglichkeit der Ansteckung. Zwar sei zu vermuten, dass der Täter gehofft hat, dass eine Übertragung des Virus nicht stattfinden würde, jedoch stehe dies der Annahme einer Billigung des tatbestandlichen Erfolges nicht entgegen, zumal aus dem Wissensstand des Täters bzgl. der Ansteckungsgefahr Rückschlüsse auf sein Wollen möglich seien.
175BGHSt 36, 221, 222f.; Anforderungen an vorsätzliches Handeln: Der Täter möchte ein Bürogebäude in Brand setzen, indem er Papier auf eine eingeschaltete Herdplatte legt. Hierdurch soll das Papier entflammen und das Feuer auf wesentliche Gebäudeteile übergreifen. Nachdem er die Herdplatte um 16 Uhr angeschaltet hat, verlässt er das Gebäude und ist hierbei davon überzeugt, dass die einzig noch anwesende Mitarbeiterin das Büro noch vor Ausbruch des Brandes verlassen wird, da die Bürozeit um 16.30 Uhr endet. Die Mitarbeiterin wird um 16.25 Uhr auf den beginnenden Brand aufmerksam und verständigt die Feuerwehr, welche den Brand löscht, bevor das Feuer