Strafrecht Allgemeiner Teil. Klaus Hoffmann-Holland
Voraussetzungen sind im Allgemeinen Teil des StGB „vor die Klammer gezogen“. Dieser gilt für alle Straftaten des Besonderen Teils sowie für diejenigen des Nebenstrafrechts und trifft Regelungen über Strafbarkeitsvoraussetzungen (§§ 1–37 StGB), Rechtsfolgen der Tat (§§ 38–76a StGB) und Strafverfolgungsvoraussetzungen (§§ 77–79b StGB).
7Für die Beantwortung der Frage nach der Strafbarkeit einer Person und somit für die juristische Fallbearbeitung ist innerhalb des Allgemeinen Teils des StGB vor allem der zweite Abschnitt „Die Tat“ (§§ 13–37 StGB) von Bedeutung. Darüber hinaus sind aber auch die Regelungen über den Geltungsbereich des Strafgesetzes (§§ 1–10 StGB), den Sprachgebrauch (§§ 11f. StGB) und die Konkurrenzvorschriften (§§ 52f. StGB) zu berücksichtigen.
4. Überblick: Einordnung des StGBAT
8Nach den vorstehenden Erörterungen kann die systematische Einordnung des StGBAT wie folgt grafisch dargestellt werden:
9Abb. 1: Einordnung des StGBAT
|4|II. Sinn und Zweck des Strafrechts
1. Rechtsgüterschutz
10Strafrecht ist Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols und wird als „schärfstes Schwert“ der Rechtsordnung bezeichnet.[5] Warum solch ein scharfes Mittel im Rechtsstaat? Weitgehende Einigkeit herrscht darüber, dass das Strafrecht ein Schutzrecht ist, dass seine Aufgabe also darin besteht, Rechtsgüter zu schützen.[6] Rechtsgüter sind sozial anerkannte Güter wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Eigentum.[7] Sie erfahren rechtlichen Schutz – und werden so zu Rechtsgütern –, weil ihnen für das geordnete Zusammenleben in der Gesellschaft eine nicht unerhebliche Bedeutung zukommt. Man unterscheidet Individualrechtsgüter, die dem Einzelnen zustehen, und Kollektivrechtsgüter, die sich auf die Gesamtheit einer Gesellschaft beziehen. Innerhalb der Individualrechtsgüter kann insbesondere zwischen höchstpersönlichen Rechtsgütern, z.B. dem Leben (vgl. §§ 211ff. StGB), und Vermögenswerten, z.B. dem Eigentum (vgl. §§ 242ff. StGB), unterschieden werden. Kollektivrechtsgüter sind bspw. die Rechtspflege, die Umwelt oder die Sicherheit des Straßenverkehrs.
11Der Rechtsgüterschutz durch das Strafrecht ist subsidiär und fragmentarisch: Das Strafrecht ist ultima ratio, d.h. letztes Mittel, das erst zur Anwendung kommen soll, wenn andere Konfliktlösungsmöglichkeiten, insbesondere diejenigen aus dem Verwaltungs- und Zivilrecht, keinen ausreichenden Rechtsgüterschutz bieten (subsidiärer Rechtsgüterschutz).[8] Nur besonders schadensträchtige oder gefährliche Verhaltensweisen sollen vom Strafgesetz erfasst werden. So werden bewusst Schutzlücken in Kauf genommen (fragmentarischer Charakter des Strafrechts).[9]
2. Sinn der Strafe
12Unterschiedlich wird die Frage beantwortet, auf welche Weise Rechtsgüterschutz gerade durch die Verhängung von Strafen zu erreichen ist. Bei der Bestimmung des Sinns bzw. des Ziels der Strafe werden in der strafrechtswissenschaftlichen Diskussion sog. absolute und relative Straftheorien sowie Vereinigungstheorien unterschieden.[10]
13|5|Abb. 2: Straftheorien
a) Absolute Straftheorie
14Die absolute Straftheorie (vertreten z.B. von Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel) sieht den Sinn der Strafe in der gerechten Vergeltung und Sühne zum Ausgleich von Unrecht und Schuld.[11] Damit wird die Strafe als rein repressives (Straf-)Übel zur Reaktion auf ein bereits begangenes Übel (die Straftat) begründet. Daraus erklärt sich auch die Bezeichnung als absolute Theorie: Die Strafe soll sich allein (absolut) deshalb legitimieren, weil die in der Vergangenheit liegende Rechtsverletzung die Strafe zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit nach sich ziehen müsse.[12] Von gesellschaftlichen Wirkungen ist die Strafe „losgelöst“ (lat. absolutus). Der Versuch einer Rechtfertigung der Strafverhängung durch andere Zwecksetzungen, bspw. der Erreichung einer präventiven Wirkung, würde in den Augen der Vertreter der absoluten Straftheorie demgegenüber eine unzulässige Instrumentalisierung der Strafe darstellen.
15Kant sieht in seiner Schrift „Metaphysik der Sitten“ das Strafgesetz als kategorischen Imperativ. Es müsse gegen jeden Straftäter eine Strafe verhängt werden, die seiner Tat entspricht. Damit hat die absolute Straftheorie eine befriedende Begrenzungswirkung: Der Staat übernimmt das Strafen, entlegitimiert also Selbstjustiz des Bürgers, und die Strafe ist nicht unbegrenzt, sondern muss der Schuld entsprechen, darf also nicht darüber hinausgehen. Schwierigkeiten begegnen jedoch, wenn man in der Praxis die Entsprechung von Schuld und Strafe allein anhand der verwirklichten Straftat bestimmen möchte. So widerspräche es rechtsstaatlicher Verhältnismäßigkeit, wie sie in |6|der Abschaffung der Todesstrafe gem. Art. 102GG ihren Ausdruck gefunden hat, einen Totschlag mit dem Tode zu bestrafen.[13] Vor allem aber spricht gegen eine absolute Strafbegründungstheorie, dass sie Vergeltung auch dort fordert, wo diese zum Rechtsgüterschutz nicht erforderlich ist. Dann aber würde Strafe um ihrer selbst willen zu einem Übel (dem Strafübel) führen, ohne dass dies jemandem nützt. Zuletzt setzt Sühne immer eine freiwillige Auseinandersetzung mit der Tat voraus, die bei einer vom Staat zwangsweise festgesetzten Strafe jedoch nur schwer zu erwarten ist.
b) Relative Straftheorien
16Die relativen Straftheorien haben gemeinsam, dass nach ihnen die Strafe einem über die bloße Vergeltung hinausgehenden Zweck dienen soll, nämlich der Prävention in Form der Verhinderung zukünftiger Straftaten. Unterschieden wird herkömmlich zwischen Spezial- und Generalprävention einerseits und negativen und positiven Präventionswirkungen andererseits.[14]
17Unter Spezialprävention versteht man die Einwirkung auf einen Einzelnen zur Verhütung von Straftaten. Zum einen kann das Ziel der Spezialprävention durch den Schutz der Allgemeinheit vor dem einzelnen Straftäter erreicht werden, indem dieser im Freiheitsstrafenvollzug oder in der Sicherungsverwahrung von der außerhalb der Haftanstalt existierenden Sozialgemeinschaft ferngehalten wird. Ausdruck dieser sog. negativen Spezialprävention ist insbesondere § 2 S. 2 StVollzG, wonach der Vollzug der Freiheitsstrafe (auch) dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dient.[15] Zum anderen kann Spezialprävention auch dadurch bewirkt werden, dass das Verhalten des (potenziellen) Straftäters positiv beeinflusst wird (positive Spezialprävention), indem er gebessert oder abgeschreckt wird.[16] Während Besserung durch erzieherische Gestaltung der Strafe, insbesondere des Strafvollzugs (zur sog. Resozialisierung vgl. auch § 2 S. 1 StVollzG), möglich ist, erfolgt Abschreckung durch die Warnfunktion von Strafen. Als bedeutsamster Vertreter einer spezialpräventiven Strafzwecklehre wird gemeinhin Franz v. Listz angesehen.[17] Der Begründer einer soziologisch und empirisch geprägten Strafrechtslehre in Deutschland lehnte in seinem „Marburger Programm“ von 1882 die Vergeltung als Strafzweck ab und ersetzte sie durch die Zweckorientierung an Sicherung, Besserung und Abschreckung von Straftätern.
18Auch nach dem Strafzweck der Generalprävention soll die Verhängung von Strafen eine Reduzierung der in der Zukunft begangenen Straftaten bewirken. In Abweichung zur Lehre der Spezialprävention soll sich diese präventive Wirkung jedoch auf die Mitglieder der Gesellschaft insgesamt und nicht auf |7|den einzelnen Straftäter beziehen.[18] Nach der insbesondere mit Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach in Verbindung gebrachten negativen Generalprävention soll die kriminalitätsmindernde Wirkung durch die Abschreckung der Allgemeinheit, insbesondere durch die Androhung von Strafe im Gesetz, erzielt werden.[19] Demgegenüber soll eine positive Generalprävention dadurch erreicht werden, dass die Normtreue in der Gesellschaft und das Vertrauen der Allgemeinheit in die staatliche Rechtspflege bestärkt wird, indem normwidriges Verhalten bestraft und so die Geltung der Normen innerhalb