Strafrecht Besonderer Teil III. Sabine Tofahrn
315c Abs. 1 Nr. 2 in Betracht. Zu bedenken ist aber, dass nur § 315b über Abs. 3 die Möglichkeit der (Erfolgs-) Qualifikation eröffnet ist, weswegen beide Normen in Tateinheit gem. § 52 stehen können und in der Klausur zu prüfen sind.
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Bei Eingriffen des Beifahrers in den Verkehrsvorgang ist streitig, ob diese von § 315b I Nr. 3 erfasst sein sollen.
Beispiel
Das Abziehen des Zündschlüssels durch den Beifahrer während der Fahrt, so dass die Lenkradsperre ausgelöst wird[30] oder aber das Ziehen der Handbremse bei 140 km/h, um den Fahrer zu einem langsameren Fahren zu veranlassen.
In Rechtsprechung und Teilen der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die Handlungen des Beifahrers nur dann erfasst sein sollen, wenn dieser das Fahrzeug pervertiert.[31] Insofern gelten für den Beifahrer die gleichen Anforderungen wie für den Fahrer. Der Beifahrer wird damit als normaler Verkehrsteilnehmer angesehen. Liegt eine Pervertierung nicht vor, handelt es sich um einen aus dem Straßenverkehr stammenden Eingriff, der nicht von § 315b erfasst sein soll. Da § 315c in derartigen Fällen nicht verwirklicht sein kann, ist das Verhalten jedenfalls nicht nach den Straßenverkehrsdelikten strafbar.
Eine starke Gegenmeinung[32] widerspricht einer dadurch eintretenden Privilegierung des Beifahrers und stuft Eingriffe des Beifahrers als verkehrsfremde Eingriffe von außen in den Straßenverkehr ein, die regelmäßig von § 315b erfasst werden. Damit ist jedenfalls eine Bestrafung nach den Straßenverkehrsdelikten möglich.
2. Beeinträchtigung der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs
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Wie bereits ausgeführt, müssen die Tathandlungen der Nr. 1–3 zunächst einmal eine abstrakte verkehrsspezifische Gefahr für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs schaffen, was regelmäßig der Fall sein dürfte.
Die abstrakte Gefahr kann bejaht werden, wenn der Eingriff störend auf Verkehrsvorgänge wirkt und so zu einer Steigerung der allgemeinen Betriebsgefahr führt.[33]
JURIQ-Klausurtipp
In der Fallbearbeitung ist daher normalerweise keine ausführliche Erörterung dieses Tatbestandsmerkmals erforderlich. Es reicht aus, dass Sie feststellend erwähnen, dass die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs durch die Vornahme der Tathandlung beeinträchtigt ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen können nur dann in der Klausur interessant werden, wenn der Eingriff außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs stattgefunden hat oder aber zum Zeitpunkt des Eingriffs Straßenverkehr z.B. wegen der nächtlichen Uhrzeit, nicht stattfand.
Auch wenn im Tatbestand des § 315b Abs. 1 nicht von „öffentlichem“ Straßenverkehr gesprochen wird, so ergibt sich die Öffentlichkeit doch aus dem Schutzzweck der Norm.
Zum öffentlichen Straßenverkehr gehören neben den allgemeinen, dem Straßenverkehr gewidmeten Straßen, Wegen und Plätzen auch solche Verkehrsflächen, die jedermann oder nach allgemeinen Merkmalen bestimmte größere Gruppen von Verkehrsteilnehmern dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen.[34]
Beispiel
Hierzu zählen u.a. Tankstellen, Parkplätze und Parkhäuser sowie das Firmengelände. Kein öffentlicher Verkehrsraum sind jedoch Parkhäuser außerhalb der normalen Betriebszeit sowie Kasernengelände, sofern nicht der Zugang vorübergehend für jedermann freigegeben ist.[35]
3. Konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert
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Als Taterfolg muss durch die Tathandlung gem. § 315b Abs. 1 Nr. 1–3 Leib oder Leben eines anderen Menschen oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert gefährdet worden sein. Im Gegensatz zu der abstrakten Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs handelt es sich bei dieser Gefahr um eine konkrete Gefahr. Eine konkrete Gefahr kann regelmäßig bejaht werden, wenn es sogar zu einer Verletzung der genannten Rechtsgüter gekommen ist. Ansonsten gilt folgende Definition:
Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn die Sicherheit des Rechtsguts derart beeinträchtigt ist, dass sich das Ausbleiben eines Schadens nach objektiv nachträglicher Prognose als Zufall darstellt.[36]
Beispiel
Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn jemand einen schweren Betonstein von einer Brücke auf eine dicht befahrene Autobahn wirft, da es hier lediglich vom Zufall abhängt, ob der Täter damit einen schweren Unfall mit Personen- und Sachschaden herbeiführt oder nicht.
Nimmt hingegen jemand eine Manipulation an den Bremsen eines Fahrzeuges vor, die zu einer verminderten Bremsleistung führt, so kann eine konkrete Gefahr nur dann angenommen werden, wenn es infolge dieser verminderten Bremsleistung zu einem „Beinahe-Unfall“ gekommen ist. Konnte hingegen der Fahrer des Fahrzeuges mit einem beherzten Durchtreten der Bremsen das Fahrzeug noch vor einer Ampel zum Stehen bringen, muss eine konkrete Gefahr abgelehnt werden.[37]
Beachten Sie, dass es sich bei der konkreten Gefahr und eine verkehrsspezifische Gefahr handeln muss. Eine solche liegt dann vor, wenn sie auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist, also das Fahrverhalten oder die Fahrsicherheit beeinträchtigt.[38]
Beispiel
A wirft von einer Brücke große Steine auf fahrende Fahrzeuge, was zu Schäden an der Motorhaube führt. Hier hat der BGH[39] die verkehrsspezifische Gefahr bejaht, da der Schaden mit den Bewegungskräften zusammenhänge. Anders: A gibt auf ein fahrendes Fahrzeug einen Schuss ab, der aber nur zur Beschädigung des Kotflügels führt und vom Fahrer nicht bemerkt wird. Hier macht es keinen Unterschied, ob A auf ein fahrendes oder ein parkendes Fahrzeug schießt. Der Schaden steht nicht mit den Bewegungskräften in Zusammenhang.[40]
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Diese Gefahr kann zunächst für Leib und Leben eines anderen Menschen bestehen. Fraglich und umstritten ist, ob Tatbeteiligte als „andere Menschen“ angesehen werden können. Die herrschende Meinung verneint die Einbeziehung eines Teilnehmers in den Schutzbereich des § 315b. § 315b enthalte einen gemeingefährlichen Straftatbestand, der die Interessen der Allgemeinheit schütze. Es könne mithin nicht Zweck dieser Norm sein, Personen zu schützen, welche zugleich wegen derselben Handlung aus dieser Norm zu bestrafen seien.[41] Eine in der Literatur vertretene Gegenauffassung verweist jedoch darauf, dass es durch das Erfordernis einer konkreten Gefährdung einer anderen Person zu einer Individualisierung des geschützten Objekts durch das Gesetz gekommen sei. Da § 315b insoweit auch den Schutz des Einzelnen verfolge, müssten auch Teilnehmer in den Schutzbereich einbezogen werden.[42]
JURIQ-Klausurtipp
In diesen Fällen wird die Strafbarkeit des Täters häufig aufgrund einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Teilnehmers zu verneinen sein, so dass eine Streitentscheidung in der