BGB-Erbrecht. Lutz Michalski
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Innerhalb der ersten drei Ordnungen hat sich der Gesetzgeber für ein reines Parentelsystem (Stammes- und Liniensystem) entschieden, d.h. die Erben werden durch das System der Erbfolge nach Stämmen und Linien ausgewählt. Dadurch soll gewährleistet werden, dass das Vermögen des Erblassers möglichst an die jüngere Generation weitergeleitet wird.[5]
So schließt ein Enkel des Erblassers (Erbe 1. Ordnung) die Eltern des Erblassers (Erben 2. Ordnung) von der Erbschaft aus (§ 1930), obwohl der Verwandtschaftsgrad des Enkels (2. Grad) entfernter ist als der der Eltern (1. Grad).
Ab der vierten Ordnung wird der Erbe hingegen nach dem sog. Gradualsystem bestimmt, d.h. es erbt der nächste Verwandte. Dadurch soll eine zu starke Zersplitterung des Nachlasses verhindert werden.[6]
Teil II Die gesetzliche Erbfolge › § 2 Das gesetzliche Erbrecht der Verwandten › III. Gesetzliche Erben der ersten Ordnung
III. Gesetzliche Erben der ersten Ordnung
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Ist ein einziger Erbe der ersten Ordnung vorhanden, so schließt dieser alle Verwandten entfernterer Ordnungen von der Erbschaft aus. Untereinander werden die Erben und die Quote ihres Erbteils nach Stämmen ermittelt (Erbfolge nach Stämmen, § 1924 Abs. 3). Einen Stamm bilden jeweils diejenigen Abkömmlinge des Erblassers, die durch ein und denselben Abkömmling (Stammelternteil) mit dem Erblasser verwandt sind. Mit anderen Worten: Jedes Kind des Erblassers bildet mit seinen Abkömmlingen einen eigenen Stamm. Alle beim Tode des Erblassers noch existierenden Stämme erben zu gleichen Teilen, da alle Kinder des Erblassers zu gleichen Teilen als Erben berufen sind (§ 1924 Abs. 4). Ein Stamm hört erst dann auf zu existieren, wenn kein einziger Abkömmling des Stammes mehr lebt.
In bestimmten Konstellationen, etwa im Falle einer (erlaubten) Ehe unter Verwandten oder der Adoption eines Verwandten, ist es denkbar, dass ein Erbe gleichzeitig mehreren Stämmen angehört. Er erhält dann gem. § 1927 in jedem der Stämme den ihm zufallenden Erbteil jeweils als besonderen Erbteil, d.h. dass die Erbteile nicht einen einheitlichen Erbteil bilden, sondern rechtlich eigenständig sind.
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Innerhalb eines Stammes gelten dabei das Repräsentationsprinzip (§ 1924 Abs. 2) und das Eintrittsprinzip (§ 1924 Abs. 3). Nach dem Repräsentationsprinzip schließt ein noch lebender Abkömmling des Erblassers seine eigenen Abkömmlinge von der Erbfolge aus (§ 1924 Abs. 2) – er repräsentiert insoweit seinen Stamm. Ist aber ein Abkömmling des Erblassers vor diesem verstorben, so treten die Kinder des vorverstorbenen Abkömmlings an seine Stelle (Eintrittsrecht, § 1924 Abs. 3). Ebenso verhält es sich, wenn der Abkömmling zwar nicht vorverstorben, aber erbrechtlich nicht mehr vorhanden ist, etwa bei Ausschlagung (§ 1953), Erbunwürdigkeit (§ 2344), Enterbung (§ 1938) oder bei Erbverzicht (§§ 2346, 2349).[7] Im Verhältnis der Kinder zu ihren Abkömmlingen gilt dabei wiederum das Repräsentationsprinzip. Hieraus folgt, dass die Erbschaft nach der Zahl der Stämme – und eben nicht nach der Zahl der Köpfe – verteilt wird. Innerhalb eines Stammes wird dann wieder nach der Zahl der Unterstämme verteilt.
Hinweis:
In einer Klausur sollten Sie immer zunächst eine Skizze erstellen, um einen Überblick über die Verwandtschaftsbeziehungen zu erhalten!
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Beispiel 1: Gesetzliche Erben der ersten Ordnung I
Hinterlässt der Erblasser (EL) einen Sohn (S2) sowie vier Enkel (E1, E2, E3, E4) und zwei Urenkel (UE1, UE2), dann erben diese Abkömmlinge des Erblassers keinesfalls zu gleichen Teilen. Vielmehr bildet jedes Kind des Erblassers (S1, S2, T) zusammen mit seinen jeweiligen Abkömmlingen einen Stamm (Erbfolge nach Stämmen). Einen Stamm bildet also der vorverstorbene S1 mit E1, E2 und UE1, einen weiteren Stamm bildet S2 mit E3, einen dritten Stamm bildet die vorverstorbene T mit E4 und UE2. Jeder Stamm erbt gem. § 1924 Abs. 4 zu gleichen Teilen. Wären S1 und T nicht vor dem Erblasser verstorben, wären S1, S2 und T jeweils Erben zu 1/3. Da S1 und T aber vor dem Erblasser verstorben sind, sinkt ihr Erbteil quasi in ihrem Stamm nach unten. Ihre jeweiligen Abkömmlinge treten an ihre Stelle (Eintrittsrecht, § 1924 Abs. 3). An die Stelle von T tritt E4, der den Erbteil von T erhält (1/3); an die Stelle von S1 treten E1 und E2. Der Erbteil von S1 (1/3) wird zwischen E1 und E2 geteilt, sodass beide einen Erbteil von 1/6 erhalten. E3, UE1 und UE2 gehen leer aus. E3 wird durch S2 von der Erbfolge ausgeschlossen, UE1 durch E2, UE2 durch E4, da S2, E2 und E4 insoweit ihren Stamm repräsentieren (Repräsentationsprinzip, § 1924 Abs. 2). Im Ergebnis erben also S2 und E4 zu jeweils 1/3 und E1 und E2 zu jeweils 1/6.
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Beispiel 2: Gesetzliche Erben der ersten Ordnung II
EL hinterlässt drei Stämme, auf die jeweils der gleiche Erbteil entfällt (§ 1924 Abs. 4). Die Stämme K1 und K2 werden von den noch lebenden Kindern K1 und K2 repräsentiert, d.h. E1, E2, E3 und UE1 gehen leer aus (§ 1924 Abs. 2). An die Stelle des verstorbenen Kindes K3 treten dessen Abkömmlinge E4, E5 und E6 zu gleichen Teilen (§ 1924 Abs. 3 und 4), wobei E5 seinen Abkömmling UE2 von der gesetzlichen Erbfolge ausschließt (§ 1924 Abs. 2). Ergebnis: K1, K2 = je 1/3; E4, E5, E6 = je 1/9.
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Beispiel 3: Gesetzliche Erben der ersten Ordnung III