Umsatzsteuerrecht. Christian Möller
Beispiel: Organgesellschaft
im Rahmen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft kann nach § 2 Abs. 2 Nr 2 UStG nur eine „juristische Person“ sein. Das Unionsrecht sieht diese Einschränkung, wie der EuGH festgestellt hat, nicht vor. Der BFH hat daher jüngst seine Rechtsprechung geändert und hält auch eine Personengesellschaft grundsätzlich für geeignet, Organgesellschaft zu sein. Viele Einzelheiten sind aber (auch bei weiteren Voraussetzungen der Organschaft) noch unklar, s. im Einzelnen Rn 171.
§ 1 Einleitung › D. Einfluss des Gemeinschaftsrechts › III. Unmittelbare Anwendung von Richtlinienrecht
III. Unmittelbare Anwendung von Richtlinienrecht
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Nach der Rechtsprechung des EuGH kann sich der Steuerpflichtige unmittelbar auf eine Richtlinienbestimmung berufen, wenn der jeweilige Mitgliedstaat die Frist für die Umsetzung einer Richtlinie versäumt hat, und wenn die Richtlinie hinreichend bestimmt gefasst und inhaltlich unbedingt ist. Für die sehr detaillierten Vorgaben der MwStSystRL ist das Erfordernis einer hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit fast immer zu bejahen.[37] Unter den genannten Voraussetzungen ergibt sich ein Anwendungsvorrang einer Richtlinienbestimmung gegenüber einer davon abweichenden nationalen Regelung.
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Ein Anwendungsvorrang kommt stets nur in Betracht, wenn die Richtlinie für den Steuerpflichtigen günstiger ist als das nationale Recht. Eine steuerverschärfende unmittelbare Anwendung von Richtlinien durch die Finanzverwaltung scheidet aus.[38]
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Ob die Finanzgerichte und der BFH unter Berufung auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts dazu berufen sind, Vorschriften des deutschen Rechts aufgrund eigener Entscheidung unangewendet zu lassen, ist umstritten. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten (Gewaltenteilung) wird eine solche Entscheidung teilweise nur dann für zulässig gehalten, wenn zuvor der EuGH ausdrücklich zur Vorabentscheidung angerufen worden ist (Art. 267 AEUV).[39]
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Beispiel:
Art. 132 MwStSystRL sieht die Steuerbefreiung diverser dem Gemeinwohl dienender Umsätze vor. Die Mitgliedstaaten befreien danach u. a. eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen von der Steuer (Art. 132 Abs. 1 lit. h MwStSystRL). Der deutsche Gesetzgeber hat die Befreiung in § 4 Nr. 25 UStG zunächst nur unzureichend umgesetzt. Der BFH hat daher wiederholt entschieden, dass sich Unternehmer (u. a. der Betreiber eines Kinderheimes und ein Erziehungsbeistand) direkt auf das für sie günstige Richtlinienrecht berufen können.[40] Für die seit 2008 geltende Fassung des § 4 Nr. 25 UStG hat der BFH festgestellt, dass die Regelung bei entsprechender Auslegung (die das Finanzamt im entschiedenen Fall abgelehnt hatte) der Richtlinie entspricht. Für die unmittelbare Berufung auf Unionsrecht ist insoweit kein Raum mehr.[41]
§ 1 Einleitung › E. Zuständigkeiten und Rechtsquellen
E. Zuständigkeiten und Rechtsquellen
§ 1 Einleitung › E. Zuständigkeiten und Rechtsquellen › I. Gesetzgebungskompetenz
I. Gesetzgebungskompetenz
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Die Gesetzgebungskompetenz für die Umsatzsteuer liegt nach Art. 105 Abs. 2 GG beim Bund, weil diesem das Aufkommen der Steuer zum Teil zusteht (s. dazu Rn 51 f). Von der Gesetzgebungskompetenz hat der Bund durch Erlass des UStG Gebrauch gemacht.
§ 1 Einleitung › E. Zuständigkeiten und Rechtsquellen › II. Verwaltungshoheit
II. Verwaltungshoheit
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Die Umsatzsteuer als Gemeinschaftsteuer (dazu sogleich Rn 51) wird von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwaltet (Auftragsverwaltung, Art. 108 Abs. 3, Art. 85 GG). Das bedeutet, dass die Landesfinanzbehörden den Weisungen des Bundesministers der Finanzen unterstehen (Art. 85 Abs. 3 S. 1, Art. 108 Abs. 3 S. 2 GG). Zwar greift der Bund in aller Regel nicht in die Bearbeitung einzelner Steuerfälle ein. Er beeinflusst die Arbeit der Landesfinanzbehörden aber durch Weisungen. Entsprechende Instrumente sind vor allem BMF-Schreiben und der USt-Anwendungserlass (UStAE), s. dazu noch Rn 55.
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Als Ausnahme davon wird die Einfuhrumsatzsteuer (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr 4 UStG) durch Bundesfinanzbehörden – die Bundeszollverwaltung mit den Hauptzollämtern als örtlichen Behörden – verwaltet (s. noch Rn 963).
§ 1 Einleitung › E. Zuständigkeiten und Rechtsquellen › III. Ertragshoheit
III. Ertragshoheit
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Das Aufkommen der Umsatzsteuer steht dem Bund und den Ländern nach Art. 106 Abs. 3 S. 1 GG gemeinsam zu (Gemeinschaftsteuer). Nach Art. 106 Abs. 5a GG erhalten auch die Gemeinden einen Anteil. Die Einzelheiten sind durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln. Für die Aufteilung zwischen Bund und Ländern sind dabei die Vorgaben in Art. 106 Abs. 3 S. 3, 4 GG zu beachten.
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Die Verteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ergibt sich im Einzelnen aus §§ 1, 2 Finanzausgleichsgesetz (FAG).[42] Nach der dort vorgeschriebenen Berechnung ergaben sich für das Jahr 2014 die folgenden effektiven Anteile am Gesamtaufkommen der Umsatzsteuer:[43]
• | Bund 53,21 %; |
• | Länder 44,56 %; |
• | Kommunen 2,23 %. |
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Nach der am 14. Oktober 2016 beschlossenen Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ab 2020 wird der horizontale Finanzausgleich zwischen den Ländern abgeschafft. Stattdessen erfolgt ein Ausgleich der Finanzkraft zukünftig im Wesentlichen bereits im Rahmen der Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer. Der Länderanteil wird dabei zulasten des Bundes steigen.[44]
§ 1 Einleitung › E. Zuständigkeiten und Rechtsquellen › IV. Rechtsquellen
IV. Rechtsquellen
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Rechtsquellen des deutschen Umsatzsteuerrechts sind zunächst das Umsatzsteuergesetz (UStG) sowie die Umsatzsteuerdurchführungsverordnung (UStDV). Die UStDV ist auf der Grundlage von im UStG enthaltenen Ermächtigungen ergangen. Zu den Rechtsquellen und der Bedeutung des Europarechts s. bereits