Umsatzsteuerrecht. Christian Möller
in richtlinienkonformer Auslegung des § 3 Abs. 4 UStG maßgeblich, worin nach einer Gesamtbetrachtung aus der Sicht des Durchschnittsbetrachters „das Wesen des Umsatzes“ liegt.[32] Sofern nach diesen Grundsätzen über die Abgrenzung nicht zweifelsfrei entschieden werden kann, geht die Finanzverwaltung bei einer Reparaturleistung von einer Werklieferung aus, wenn der auf das Material entfallende Entgeltanteil mehr als 50 % des Gesamtentgelts beträgt (Vereinfachungsregelung).[33] Folgende Beispiele sollen die Abgrenzung zwischen Werklieferung und Werkleistung verdeutlichen:
• | Verwendet ein Bauunternehmer beim Bau einer Immobilie (wie im Regelfall) selbst beschafftes Baumaterial, handelt es sich dabei um Hauptstoffe. Es liegt eine Werklieferung vor.[34] |
• | Die orthopädische Zurichtung von Konfektionsschuhen ist eine sonstige Leistung, auch wenn der Unternehmer selbst beschafftes Material wie etwa Sohlenstücke in die Schuhe einbringt.[35] |
§ 5 Lieferung und sonstige Leistung › C. Grenzfälle zwischen Lieferung und sonstiger Leistung › II. Software
II. Software
269
Bei der Überlassung von Software ist nach der Finanzverwaltung zu unterscheiden:
• | Der Verkauf von Standard-Software auf Datenträgern soll eine Lieferung sein.[36] |
• | Eine sonstige Leistung liegt dagegen vor, wenn nicht standardisierte Software speziell nach den Anforderungen des Anwenders erstellt wird oder wenn vorhandene Software an die individuellen Bedürfnisse des Kunden angepasst wird (Individual-Software).[37] |
• | Der Verkauf von Software (auch Standard-Software) auf elektronischem Weg (z. B. Download im Internet) ist immer eine sonstige Leistung.[38] |
§ 5 Lieferung und sonstige Leistung › C. Grenzfälle zwischen Lieferung und sonstiger Leistung › III. Leasing
III. Leasing
270
Das Leasing ist eine der Miete ähnliche Gebrauchsüberlassung, bei der (jedenfalls zunächst) der Leasingnehmer kein Eigentum am Leasinggegenstand erwirbt. Dennoch kann – abhängig von der Ausgestaltung des Leasingvertrages – im Einzelfall umsatzsteuerrechtlich eine Lieferung zu bejahen sein. Ist dies nicht der Fall, liegt eine sonstige Leistung vor.
271
Eine Lieferung ist zu bejahen, wenn der Leasingnehmer nach den Bestimmungen des Leasingvertrages und deren tatsächlicher Durchführung berechtigt ist, wie ein Eigentümer über den Leasinggegenstand zu verfügen. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn der Leasinggegenstand einkommensteuerrechtlich nach § 39 Abs. 2 AO (wirtschaftliches Eigentum) dem Leasingnehmer zuzurechnen ist.[39]
272
Beispiel:
Sind bei einem Leasingvertrag über ein Kopiergerät die Grundmietzeit und die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer annähernd gleich lang, ist das Gerät ertragsteuerrechtlich dem Leasingnehmer zuzurechnen. Umsatzsteuerrechtlich ist dann von einer Lieferung des Gerätes an den Leasingnehmer, nicht von einer sonstigen Leistung auszugehen.[40] Dafür kommt es nicht darauf an, ob der Leasingnehmer das Gerät nach Ende der Grundmietzeit vom Leasinggeber erwirbt, oder ob er es zurückgibt (sodass zivilrechtlich ein Eigentumsübergang nie stattgefunden hat).
273
Ein Sale-and-Lease-Back-Geschäft kann im Einzelfall als – nach § 4 Nr 8 lit. a) UStG steuerfreie – Kreditgewährung des Käufers/Leasinggebers and den Verkäufer/Leasingnehmer zu qualifizieren sein (s. bereits Rn 242 m. w. N.).
§ 5 Lieferung und sonstige Leistung › C. Grenzfälle zwischen Lieferung und sonstiger Leistung › IV. Restaurationsumsätze
IV. Restaurationsumsätze
274
Ob die Abgabe von Lebensmitteln als Lieferung oder als sonstige Leistung (Dienstleistung) zu beurteilen ist, entscheidet vor allem über den anzuwendenden Steuersatz: Der ermäßigte Steuersatz von 7 % (§ 12 Abs. 2 Nr 1 UStG i. V. m. Anl. 2 Nr 2 ff UStG) gilt nur für Lieferungen bestimmter Lebensmittel, dagegen nicht für sonstige Leistungen.
275
Werden in Anl. 2 Nr 2 ff UStG genannte nicht verzehrfertige Lebensmittel verkauft, liegt eine ermäßigt besteuerte Lieferung vor. Bei verzehrfertig zubereiteten Speisen kommt es dagegen darauf an, ob „unterstützende Dienstleistungen“ (Art. 6 Abs. 1 MwStVO[41]) in einem solchen Umfang angeboten werden, dass der Dienstleistungsanteil qualitativ überwiegt.[42] In diesem Fall liegt eine (mit 19 % besteuerte) Restaurationsleistung vor.
• | Der Dienstleistungsanteil überwiegt bei Restaurantbesuchen (insoweit also 19 % USt). Dies gilt auch für Fast Food-Restaurants (z. B. McDonaldʼs), wenn der Kunde seine Mahlzeit vor Ort zu sich nimmt. Nimmt der Kunde seinen Einkauf dagegen mit (Takeaway), liegt eine Lieferung vor, die mit 7 % besteuert wird. Die Restaurantbetreiber berechnen in beiden Fällen denselben Bruttopreis, führen aber bei Takeaway-Bestellungen weniger USt ab. Wie der Kunde auf die Frage, wo er essen möchte, antwortet, hat also unmittelbaren Einfluss auf die Marge des Betreibers. |
• | Die Abgabe von Lebensmitteln an einem Imbissstand ist regelmäßig eine ermäßigt besteuerte Lieferung. Übliche Nebenleistungen (z. B. Verpacken, Beigabe von Einweggeschirr oder -besteck, Papierservietten) führen nicht zu einer Restaurationsleistung, auch nicht das Bereitstellen von Abfalleimern, Ablagebrettern und „einfachster“ Infrastruktur wie etwa Stehtischen.[43] Bei einem Mehr an „Infrastruktur“ – wie etwa Tischen mit Stühlen oder Bierzeltgarnituren – ist eine Restaurationsleistung dagegen zu bejahen.[44] Wird dem Imbisskunden in einem solchen Fall die Wahl zwischen „Mitnehmen“ und „Hier essen“ gelassen, hängt die Besteuerung wiederum davon ab, wie sich der Kunde entscheidet.[45] |
• | Die Umsätze von Catering– oder Partyservice-Unternehmen, die ausschließlich Lebensmittel liefern, werden ermäßigt besteuert. Wenn zum Catering-Paket dagegen auch die Gestellung von Bedienungs-, Koch- oder Reinigungspersonal oder die Überlassung von Geschirr und Besteck oder Mobiliar gehört, liegt ein Restaurationsumsatz (19 %) vor.[46] |
• | Dass Kinobesucher Popcorn und Softdrinks in einem Kinosessel genießen dürfen, an dem Getränkehalter und Ablagebretter angebracht sind, führt nicht zu Restaurationsumsätzen.[47] |