Handbuch Ius Publicum Europaeum. Adam Tomkins
der Welsh Church Act 1914, der 1949 Act selbst), sondern eher um Gesetze von geringerer verfassungsrechtlicher Bedeutung durchzusetzen (der War Crimes Act 1991, der European Parliamentary Elections Act 1999, der Sexual Offences [Amendment] Act 2000 und nun der Hunting Act 2004).[84] Lord Steyn führte aus, dass der 1949 Act potentielle Fragen wie die Abschaffung des House of Lords oder die Prinzipien im Judicial Review-Verfahren aufwerfen könnte. Diese Fragen seien seiner Ansicht nach „rein theoretischer Natur“, da die britische Verfassung nicht unbeschränkt verändert werden dürfe. Er betonte, dass es verfassungsrechtliche Prinzipien gäbe, die selbst ein souveränes Parlament nicht abschaffen könne.[85]
Erster Teil Offene Staatlichkeit › § 17 Offene Staatlichkeit: Großbritannien › III. Verfassungsrecht und die Europäische Konvention für Menschenrechte
1. Das Common Law als Grundlage des nationalen Grundrechtsschutzes
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Historisch gesehen spielten die Menschenrechte im Vereinigten Königreich keine große Rolle. Dafür gibt es mehrere Gründe: Abgesehen von der irischen Frage herrschte in Großbritannien bemerkenswerte politische Stabilität, und Exzesse der Exekutive gab es wenig. Auch wurden Menschenrechte im nationalen Recht nicht näher rechtlich präzisiert oder definiert, obwohl britische Juristen beim Entwurf der EMRK mitgewirkt haben. Drittens gab und gibt es den verfassungsrechtlichen Ausgleich zwischen Krone und Parlament aus dem 17. Jahrhundert, der zur Folge hat, dass das Parlament die überlieferten Freiheiten der Bürger beschützte. Freilich wurden die Schwächen dieser etwas selbstgefälligen Haltung bald deutlich.[86] Das lässt sich auch daran ablesen, dass die Gerichte schon vor der Inkorporierung der EMRK in nationales Recht durch den Human Rights Act 1998 deren Terminologie benutzten und annahmen, dass das Common Law längst im Einklang mit der Konvention stand. Die Gerichte begannen, so weit dies möglich war, Gesetze im Sinne der Menschenrechte auszulegen und entwickelten eine rechtliche Vermutung dahingehend, dass das Parlament keinen Bruch mit internationalem Recht beabsichtigen würde.[87] Mehrdeutige Vorschriften sollten im Einklang mit der Konvention gelesen werden. Darüber hinaus wurden Menschenrechte zur Auslegung herangezogen, wenn das Common Law unterentwickelt war oder Rechtsunsicherheit bestand.[88] Dies kann als eine Einbruchstelle für den europäischen Menschenrechtsschutz in das nationale Recht angesehen werden.[89]
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Obwohl das Common Law oft als unzureichend angesehen wurde, wenn es um den Schutz von Menschenrechten ging, da es auf dem Schutz von Eigentum und eigentumsähnlichen Rechten basierte, lässt sich jedenfalls aus der jüngeren Rechtsprechung ersehen, dass der Schutz von Menschenrechten unter dem Common Law mit dem Schutz unter der Konvention durchaus kompatibel ist. Der Fall Attorney General v. Guardian[90] illustriert, dass das Recht auf Pressefreiheit schon lange vor dem Inkrafttreten des Human Rights Act 1998 ein Recht mit Verfassungsrang war.[91] Die Richter haben insoweit stolz verlautbart, dass die Rechte der EMRK nur die Rechte widerspiegeln, die bereits in der Magna Carta enthalten sind.[92]
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Sir Stephen Sedley hat dies in seinem Urteil in McQuillan eindrucksvoll auf den Punkt gebracht, als er ausführte: „Once it is accepted that the standards articulated in the Convention are standards which both march with those of the common law and inform the jurisprudence of the European Union, it becomes unreal and potentially unjust to continue to develop English public law without reference to them. Accordingly, and without in any way departing from the ratio of Brind, the legal standards by which the decisions of public bodies are supervised can and should differentiate between those rights which are recognised as fundamental and those which, though known to the law, do not enjoy such a pre-eminent status. Once this point is reached the standard of justification of infringements of rights and freedoms by executive action must vary in proportion to the significance of the right which is in issue.“[93]
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Es kann also festgehalten werden, dass Sir Stephen Sedley von „fundamentalen Rechten“ spricht, die er von anderen Rechten unterscheidet, und auch Sir John Laws hat von constitutional statutes gesprochen, die er von einfachen Gesetzen unterschied. Das Argument ist ähnlich und läuft auf dasselbe hinaus: Das Common Law hat eine Verfassung höheren Ranges entwickelt.
2. Die „Inkorporation“ der EMRK in das britische Verfassungsrecht
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Das Vereinigte Königreich war die erste Nation, welche die Europäische Menschenrechtskonvention ratifizierte.[94] Es hat sie jedoch nicht in nationales Recht transformiert. Aus britischer Perspektive war die EMRK zwar völkerrechtlich verbindlich, nicht aber innerhalb der nationalen Rechtsordnung. Dabei hatte ein britischer Jurist maßgeblichen Einfluss auf den Entwurf der Europäischen Konvention für Menschenrechte.[95] Sir Oscar Dowson, ehemaliger Rechtsberater im Home Office, trug einen der Hauptentwürfe in seiner Funktion als Mitglied im Expertenkomitee vor. Die Konferenz der Experten bestand aus hohen Beamten, die von ihren Regierungen im März 1950 instruiert waren, „die Grundlage für die politischen Entscheidungen des Ministerkomitees vorzubereiten“[96]. Der aus 25 Artikeln bestehende Entwurf des Vereinigten Königreiches wurde an das Ministerkomitee weitergeleitet.[97] Schon vor dem Inkrafttreten des Human Rights Act haben die Gerichte die EMRK jedoch zur Interpretation unklarer Gesetze herangezogen und sie für die Fortentwicklung des Common Law fruchtbar gemacht.
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Die Labour Regierung war 1997 mit der Absicht angetreten, große verfassungsrechtliche Veränderungen im Vereinigten Königreich herbeizuführen. Im Oktober 1997 veröffentlichte der Innenminister in diesem Zusammenhang auch Pläne zur Inkorporierung der EMRK.[98] Ein Gesetzesentwurf – die Human Rights Bill (heute der Human Rights Act 1998) – wurde zusammen mit dem White Paper „Rights Brought Home“ bekannt gemacht. Alle Richter wurden vor dem Inkrafttreten des Human Rights Act in Menschenrechten unterwiesen, was zu einer Verzögerung des Inkrafttretens des Gesetzes um zwei Jahre führte. Das White Paper führte aus, dass kein Minister die Verantwortung für den Human Rights Act haben würde. Dennoch ressortiert der Human Rights Act heute im Verantwortungsbereich des Department for Constitutional Affairs,[99] welchem der Lordkanzler Lord Falconer vorsteht.[100] Der Gesetzesentwurf sah ferner Derogationen und Vorbehalte von der Konvention und ihren Zusatzprotokollen vor.
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Das White Paper „Rights Brought Home“ hatte schließlich eine Menschenrechtskommission vorgeschlagen, dies allerdings nur im Sinne eines zukünftigen Vorhabens, nicht als eine Verpflichtung. Aus einem Gesetzesentwurf von März 2005 geht nun die Planung einer Equality and Human Rights Commission hervor.[101] Die Anmerkungen zur Vereinbarkeit mit dem Human Rights Act werden von dem Department for Constitutional Affairs dahingehend überarbeitet, dass sie den Abteilungen bei der Anfertigung von Verordnungen und Gesetzesentwürfen bei der Interpretation von im Zusammenhang mit der Konvention stehenden Fragen eine Hilfestellung bieten können.
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Der Human Rights Act 1998 „inkorporiert“ aber nicht die ganze Konvention, sondern nur die Rechte, die sich in Anhang 1 des Human Rights Act 1998 befinden. Das betrifft die Art. 2–12, 14–18 des 1. ZP-EMRK sowie die Art. 1 und 2 des 6. ZP-EMRK. Es ist daher streitig, ob der Ausdruck „inkorporieren“ überhaupt korrekt ist. Gemäß Abschnitt 6 des Human Rights Act 1998 darf eine Behörde (public authority) nicht auf eine Weise handeln, die gegen die im Human Rights Act 1998 aufgeführten Rechte der Konvention verstößt. Das nationale Gericht muss zudem die Rechtsprechung des EGMR „in Betracht