Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
I. Geschützte Vermögenspositionen
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Das StGB schützt verschiedene Facetten des Vermögens durch unterschiedliche Tatbestände. Während einige Strafnormen das Vermögen als Ganzes erfassen (etwa §§ 253, 263, 266 StGB), sanktionieren andere nur Eingriffe in bestimmte Bestandteile und Positionen, wie das Eigentum (§§ 242, 303 StGB) oder Nutzungs- und Aneignungsrechte (§§ 248b, 292 StGB). Obwohl die Einteilung in Straftaten gegen das Eigentum und gegen das Vermögen insgesamt zu den grundlegenden Kategorien des Vermögensstrafrechts gehört,[18] wird sie in der Systematik des StGB nicht abgebildet. Eine strikte Trennung zwischen Straftaten gegen das Sacheigentum und gegen das Vermögen findet sich nicht; so werden etwa Raub (Sacheigentum) und Erpressung (Vermögen) in ein und demselben Abschnitt behandelt.[19]
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Zum Vermögen gehören grundsätzlich alle Güter, die einen wirtschaftlichen Wert haben. Dazu zählen werthaltige Rechte wie Eigentum, unmittelbarer und mittelbarer Besitz, Aneignungsrechte, schuldrechtliche und dingliche Forderungen, Nutzungs-, Pfand- und Sicherungsrechte, Anwartschaften, bestimmte Exspektanzen[20] sowie die üblicherweise gegen Entgelt erbrachte Arbeitsleistung.[21] Auch der Verfügungsbefugnis über Daten kann ein Vermögenswert zukommen; § 303a StGB schützt daher nach richtiger Ansicht (auch) das Vermögen desjenigen, dessen Daten beeinträchtigt werden.[22] Zwei Positionen sind für das Verständnis des strafrechtlichen Vermögensschutzes von besonderem Interesse: das Eigentum und der Besitz.
1. Das Eigentum
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Als Eigentumsdelikte werden gemeinhin die folgenden Tatbestände verstanden: Diebstahl, Unterschlagung, Raub, räuberischer Diebstahl sowie Sachbeschädigung.[23] Diese Einordnung bedarf jedoch der Präzisierung: Die Zueignungsdelikte setzen das Eigentum einer anderen Person an dem entzogenen Gegenstand voraus, schützen jedoch nicht das Eigentum in seinem rechtlichen Bestand.[24] Schließlich verliert der Betroffene durch die Entziehung der Sache sein Eigentum in aller Regel nicht (§ 935 BGB), sondern bleibt weiterhin als Eigentümer herausgabeberechtigt.[25] Der Angriff richtet sich in den §§ 242, 246, 249, 252, 303 StGB also gegen die uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit des Eigentümers (§ 903 BGB) und nicht gegen seine sachenrechtliche Position.[26] Auch die Sachbeschädigung (§ 303 StGB) verletzt nicht die rechtliche Eigentümerstellung,[27] sondern das Interesse des Eigentümers an Erhalt und Nutzung des Gegenstandes. Eine Ausnahme bildet § 297 StGB (Gefährdung von Schiffen, Kraft- und Luftfahrzeugen durch Bannware): Hier riskiert der Täter durch die Beförderung der Bannware tatsächlich den Verlust fremden Eigentums durch die staatliche Einziehung des Transportfahrzeugs.[28]
2. Der Besitz
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Zivilrechtlich wird der – mittelbare und unmittelbare – Besitz an einer Sache durch §§ 823, 1007 BGB sowie die Vorschriften über Besitzstörung in §§ 859 ff. BGB gewährleistet. Der strafrechtliche Besitzschutz ist hingegen fragmentarisch und uneinheitlich. Die Eigentumsdelikte des StGB schützen den Besitz als solchen nicht. Wenngleich der Gewahrsam vereinzelt als geschütztes Rechtsgut des § 242 StGB angesehen wird,[29] so bleibt sein Schutz doch unvollkommen. Die bloße Sachentziehung genügt für eine Strafbarkeit des Täters wegen Diebstahls nicht; die Wegnahme muss vielmehr mit dem Vorsatz erfolgen, den Berechtigten dauerhaft zu „enteignen“, ihm den Besitz an der Sache also nicht nur vorübergehend zu entziehen.[30] Eine Ausnahme bildet § 248b StGB, der die Gebrauchsanmaßung bei Kraftfahrzeugen und Fahrrädern unter Strafe stellt. Außerhalb dieser eng umgrenzten Spezialregelung ist der temporäre Besitzentzug, das „furtum usus“, jedoch nicht strafbar.[31] Mit der sogenannten „Sachwerttheorie“ wird der Versuch unternommen, Strafbarkeitslücken in Fällen der vorübergehenden Besitzanmaßung zu schließen. Hiernach soll eine Zueignungsabsicht im Sinne von § 242 StGB auch dann vorliegen, wenn der Täter dem Berechtigten den spezifischen Wert der Sache, das „lucrum ex re“, entziehen möchte.[32] Ein weiteres Korrektiv[33] soll der Umfang der Nutzung der weggenommenen Sache darstellen: Ist der Sachwert um mehr als 50 % vermindert oder wird eine Teilfunktion der Sache vollständig entzogen (etwa die Eigenschaft eines Buchs als neuwertig)[34], so erhalte der Eigentümer letztlich eine andere als die ursprüngliche Sache zurück und sei daher „enteignet“.[35] Beide Ansätze heben die Unterscheidung zwischen strafloser Besitzanmaßung und strafbarer Zueignung nicht auf, sondern verschieben lediglich ihre Trennlinie. So bleibt es bei einem nur fragmentarischen Schutz des Besitzentzugs – es wird weiterhin nicht bestraft, wer etwa einem Geiger unmittelbar vor dessen Konzert die Violine entzieht, um sie ihm am nächsten Morgen zurückzugeben –, während gleichzeitig neue Abgrenzungsschwierigkeiten (wann liegt eine hinreichende Wertminderung vor?) und Widersprüche (der vorübergehende Entzug eines neuwertigen Buches soll § 242 StGB erfüllen, der eines gebrauchten hingegen nicht) entstehen. Darüber hinaus überdehnen beide Korrektive den Begriff der Zueignung und lassen sich mit dem Wesen des Eigentumsschutzes nicht sinnvoll in Einklang bringen. Die Gleichsetzung einer Sache mit dem in ihr verkörperten Wert ist weder mit der zivilrechtlichen Eigentumsdogmatik zu vereinbaren noch wird sie den Wertungen des § 242 StGB gerecht. Da die Strafnorm die uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit des Eigentümers über eine Sache unabhängig von ihrem wirtschaftlichen Wert schützt, kann die tatbestandlich vorausgesetzte Zueignung nicht ohne Systembruch auf eben diesen wirtschaftlichen Sachwert bezogen werden.[36] Ähnlichen Bedenken begegnet die Annahme von Zueignungsabsicht in Fällen der Sachwertminderung. Hier wird das Unrecht der Sachbeschädigung zu einem Diebstahlsunrecht hochgestuft. Wer die Sache des Eigentümers durch intensive Nutzung in ihrem Wert mindert, der fügt ihm einen Schaden zu, „enteignet“ ihn aber nicht.
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Anders gestaltet sich der Schutz des Besitzes in Straftatbeständen, die das Vermögen als Ganzes erfassen. Wird dem Berechtigten der Besitz nicht durch Wegnahme, sondern durch Täuschung oder Drohung entzogen, so hängt die Strafbarkeit davon ab, ob durch das Handeln des Täters ein Vermögensschaden eingetreten ist. Grundsätzlich gehört jedenfalls der berechtigte mittelbare oder unmittelbare Besitz zum Vermögen und wird damit von §§ 263, 253 StGB geschützt.[37] Während der dauerhafte Besitzverlust einer werthaltigen Sache ohne weiteres einen Schaden darstellt, ist dies bei nur zeitweiliger Entziehung der Sache zweifelhaft. Ein Schaden liegt trotz späterer Rückgabe der Sache dann vor, wenn sie durch die vorübergehende Nutzung in ihrem Wert gemindert, verbraucht oder beschädigt wurde.[38] Ebenso ist von einem Vermögensschaden auszugehen, wenn die Überlassung des Besitzes an dem Gegenstand üblicherweise nur gegen Entgelt erfolgt. Wird der Besitzer etwa um die Mietzahlung gebracht, so ist er durch die nicht kompensierte Hingabe der Sache geschädigt.[39] Damit ergibt sich folgendes Bild: Hat die Sache einen kommerzialisierbaren Nutzungswert, so ist der temporäre Besitzentzug durch Täuschung oder Drohung strafbar, durch Wegnahme (außerhalb von § 248b StGB) hingegen straflos. Diese wenig schlüssige Differenzierung im Schutz des Besitzes offenbart Mängel in Konsistenz und Systematik des Vermögensstrafrechts:[40] Die unterschiedliche (und bislang nicht harmonisierte) Konzeption von Eigentumsdelikten und Vermögensdelikten im engeren Sinne führt dazu, dass der gleiche Vermögenswert vor einer Angriffsform (Täuschung) geschützt wird, vor einer anderen (Wegnahme) hingegen nicht. Trotz dieses Befundes wird über die Einführung eines allgemeinen Straftatbestandes des unerlaubten Besitzentzuges bislang nicht ernsthaft diskutiert.
II. Der Streit um den strafrechtlichen Vermögensbegriff
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Bei der Definition des Vermögensbegriffs handelt es sich um eines der wohl umstrittensten Probleme des Strafrechts; im Schrifttum existiert eine fast unüberschaubare Meinungsvielfalt und auch die Rechtsprechung ist bislang