Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung. Markus Berndt

Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung - Markus Berndt


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der Konstruktion steht die Überlegung, dass man einen volldeliktisch handelnden Vordermann nicht allein durch Täuschung und Zwang, sondern auch durch Einbindung in einen Machtapparat steuern kann, weil dessen Struktur und Mitglieder die Begehung einer angeordneten Straftat mit großer Sicherheit gewährleisten. Ein Hintermann kann sich Organisationsstrukturen und Rahmenbedingungen zunutze machen, die dann in die Tatbegehung einmünden.[14] Allerdings besteht wegen der besonderen Suggestivkraft der Konstruktion die Gefahr, dass sie über Gebühr ausgedehnt und damit konturenlos wird.

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      Roxin hat folgende Voraussetzungen für die Annahme von Organisationsherrschaft benannt:[15] Erstens kommt es auf die Anordnungsgewalt des Befehlsgebers in einem hierarchisch strukturierten Apparat an; zweitens muss sich der Apparat in der Weise vom Recht gelöst haben, dass er eine Gegenwelt zur sonstigen Rechtsgesellschaft bildet und das im Apparat angesiedelte Individuum davon ausgehen kann, es habe bei Begehung einer Straftat keine strafrechtlichen Konsequenzen zu befürchten; drittens bedarf es einer Fungibilität des unmittelbar Ausführenden, von der auszugehen ist, wenn er beliebig austauschbar und die Ausführung der Anordnung unabhängig von der Individualität des Ausführenden gesichert ist; viertens muss durch die Zugehörigkeit zu der Organisation eine erhöhte Tatbereitschaft des Ausführenden gegeben sein.[16]

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      Die Rechtsprechung hält diese Rechtsfigur nicht nur für staatliches Unrecht oder organisierte Kriminalität, sondern auch für Wirtschaftsunternehmen anwendbar, indem sie allein auf die Anordnungsgewalt des Befehlsgebers in einem hierarchisch strukturierten Machtapparat sowie die besondere organisationsspezifische Tatbereitschaft abhebt. Maßgeblich sei vor allem die Ausnutzung regelhafter Abläufe in einer hierarchisch gegliederten Organisation mit dem Ziel, auf diese Weise die erstrebte Tatbestandsverwirklichung zu erreichen:

       [BGHSt 40, 218, 232 ff]

      „Es gibt aber Fallgruppen, bei denen trotz eines uneingeschränkt verantwortlich handelnden Tatmittlers der Beitrag des Hintermannes nahezu automatisch zu der von diesem Hintermann erstrebten Tatbestandsverwirklichung führt. Solches kann vorliegen, wenn der Hintermann durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst. Derartige Rahmenbedingungen mit regelhaften Abläufen kommen insbesondere bei staatlichen, unternehmerischen oder geschäftsähnlichen Organisationsstrukturen und bei Befehlshierarchien in Betracht. Handelt in einem solchen Fall der Hintermann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er insbesondere auch die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden, den Tatbestand zu erfüllen aus, und will der Hintermann den Erfolg als Ergebnis seines eigenen Handelns, ist er Täter in der Form mittelbarer Täterschaft. Er besitzt die Tatherrschaft. Er beherrscht das Geschehen tatsächlich weit mehr, als dies bei anderen Fallgruppen erforderlich ist, bei denen mittelbare Täterschaft ohne Bedenken angenommen wird, etwa bei Einsatz eines uneingeschränkt verantwortlichen Werkzeugs, das lediglich mangels einer besonderen persönlichen Pflichtenstellung oder mangels einer besonderen, vom Tatbestand verlangten Absicht nicht Täter sein kann. Auch bei Einsatz irrender oder schuldunfähiger Werkzeuge sind Fallgestaltungen häufig, bei denen der mittelbare Täter den Erfolgseintritt weit weniger in der Hand hat als bei Fällen der beschriebenen Art. Der Hintermann hat in Fällen der hier zu entscheidenden Art auch den umfassenden Willen zur Tatherrschaft, wenn er weiß, dass die vom Tatmittler noch zu treffende, aber durch die Rahmenbedingungen vorgegebene Entscheidung gegen das Recht kein Hindernis bei der Verwirklichung des von ihm gewollten Erfolgs darstellt. Den Hintermann in solchen Fällen nicht als Täter zu behandeln, würde dem objektiven Gewicht seines Tatbeitrags nicht gerecht, zumal häufig die Verantwortlichkeit mit größerem Abstand zum Tatort nicht ab-, sondern zunimmt. Eine so verstandene mittelbare Täterschaft wird nicht nur beim Missbrauch staatlicher Machtbefugnisse, sondern auch in Fällen mafiaähnlich organisierten Verbrechens in Betracht kommen, bei denen der räumliche, zeitliche und hierarchische Abstand zwischen der die Befehle verantwortenden Organisationsspitze und den unmittelbar Handelnden gegen arbeitsteilige Mittäterschaft spricht. Auch das Problem der Verantwortlichkeit beim Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen lässt sich so lösen“.[17]

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      Indes ist einer solchen, die Tatherrschaft einer in der Leitungsebene angesiedelten Person allein auf ihre Anordnungsgewalt und das Ausnutzen regelhafter Abläufe stützenden Rechtsprechung, entgegenzutreten, da sie den Anwendungsbereich der Rechtsfigur überdehnt. Es wirkt bereits verstörend, Machtapparate eines rechtsgelösten Staates oder einer rechtsgelösten Organisation mit einem Unternehmen gleichzusetzen, da die Reduktion dieser dogmatischen Konstruktion auf die Aspekte der Anordnungsgewalt und des Ausnutzens regelhafter Abläufe dazu führt, dass jede gebotene Differenzierung zwischen unterschiedlichen Entitäten ausbleibt. Dabei wird der Begriff der Tatherrschaft bei organisatorischen Machtapparaten nur über die Gesamtheit der von Roxin herausgearbeiteten vier Voraussetzungen operationalisierbar, die dann die empirischen Gegebenheiten von Tatherrschaft kennzeichnen. Zwar ist zuzugestehen, dass die Merkmale der Anordnungsgewalt und einer regelhafte Abläufe auslösenden Organisationsstruktur alles andere als irrelevant sind, da anderenfalls Tatherrschaft von vornherein nicht denkbar ist. Die Entfaltung unternehmerischer Tätigkeit setzt stets ein Mindestmaß an Anordnungsgewalt und, jedenfalls ab einer gewissen Größe des Unternehmens, auch die Installation regelhafter Abläufe voraus. Indes ist mit diesen beiden Aspekten kein abschließendes Urteil über die Tatherrschaft gesprochen, da sie zwar notwendige, aber keine hinreichende Bedingungen darstellen. Tatherrschaft im Sinne des vom Vorsatz umfassten In-den-Händen-Haltens des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs setzt demnach mehr voraus, womit die beiden weiteren Kriterien der Rechtslosgelöstheit des Apparates sowie Fungibilität des Vordermannes in das Blickfeld geraten.

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      Das Kriterium der Rechtsgelöstheit findet seinen tieferen Sinn darin, dass angesichts der durch den organisatorischen Machtapparat vollzogenen Lösung von jeglicher Rechtsbindung auf den Vordermann keinerlei die Ausführung der rechtswidrigen Tat zuwider laufende Motive einwirken. Vielmehr ist er allein der auf die Verwirklichung der Straftat gerichteten Anweisung ausgesetzt und kann ihr nicht zuwiderhandeln, weshalb die Durchbrechung des Verantwortungsprinzips und die Annahme von Tatherrschaft des Hintermannes angezeigt ist. Anders als bei staatlichen Machtapparaten oder mafiösen Strukturen ist dies bei Unternehmen nicht anzunehmen, da insoweit immer auch auf strafrechtsgemäßes Verhalten zielende Gegenmotivationen bestehen. Denn Unternehmen können trotz etwaiger Normverstöße nur operieren, wenn sie jedenfalls im Grundsatz die Bindung an die Rechtsordnung akzeptieren; anderenfalls würde man mit ihnen etwa keine Verträge schließen. Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass die Unternehmenswirklichkeit zunehmend durch heterarchische anstelle hierarchischer Organisationsformen geprägt ist und schon deswegen stets alternative – konkret: auf Legalität abzielende – Gegenmotivationen existieren.[18] Überdies wird die Unternehmenswirklichkeit ubiquitär und intensiv durch Compliance bestimmt, durch die sich Unternehmen zur Beachtung der Verbote und Gebote des (Straf-)Rechts verpflichten. Insofern tritt neben die Existenz der (straf-)rechtlichen Verbote und Gebote die Existenz von darauf bezogenen Compliance-Vorgaben, womit deutliche Gegenmotive vorhanden sind, welcher einer Tatherrschaft des Hintermannes entgegenstehen und durchgreifende Zweifel begründen, ob die Leitungsebene Straftaten nach ihrem Willen beliebig ablaufen lassen oder hemmen kann.

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      Fehlt es damit an der Rechtsgelöstheit als einer zentralen Voraussetzung für die Annahme von Tatherrschaft, folgt daraus zugleich die fehlende Fungibilität der Mitarbeiter, die trotz Einbindung in die Unternehmensorganisation nicht darauf reduziert sind, ein gleichsam mechanisches „Rädchen im Getriebe des Machtapparates“ zu sein.[19] Der tiefere Grund für das von Roxin propagierte Kriterium der Fungibilität liegt darin, dass erst die Austauschbarkeit des unmittelbar Handelnden die Tatherrschaft des Hintermannes begründet und die Durchbrechung des Verantwortungsprinzips legitimiert. Im Hinblick auf die Tatherrschaft kommt es erneut darauf an, ob die Unternehmensleitung durch Anweisungen beliebig Straftaten ablaufen lassen oder hemmen kann. Dies ist gerade nicht der Fall, sondern von den Mitarbeitern kann und muss eine sich an die Vorgaben des (Straf-)Rechts haltende Vorgehensweise erwartet werden;


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