Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung. Markus Berndt

Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung - Markus Berndt


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bildet abermals nicht die eigentliche Rechtsgutsverletzung, sondern das Unterlassen diesbezüglicher Vorkehrungen den Anlass für die Sanktion, womit es zu jener denkwürdigen Umformung des Tatvorwurfs kommt (siehe auch Rn. 74 ff. bzw. Rn. 115 ff.).

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      Die praktische Relevanz von § 130 OWiG ergibt sich auch im Compliance-Zusammenhang zu einem guten Teil daraus, dass der Nachweis einer vorsätzlichen Aktivbeteiligung der Unternehmensleitung an Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten nur schwer gelingt (siehe Rn. 101 ff.). Demgegenüber verlangt der Bußgeldtatbestand allein die Verletzung einer Aufsichtspflicht, die ihren Ausdruck in fehlender oder unzureichender Compliance findet.[230]

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      Compliance spielt im Rahmen des § 130 OWiG nicht nur auf Ebene der Rechtsfolgen, sondern auch bereits auf Ebene der tatbestandlichen Voraussetzungen eine Rolle, was Ansatzpunkte für Verteidigungsstrategien bieten kann. Im Mittelpunkt stehen die Verletzung der Aufsichtspflicht, die subjektive Beziehung des Täters zur Tat und schließlich die objektive Bedingung der Ahndung.

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      Die sichtbare Compliance-Relevanz der Vorschrift lässt sich daran erkennen, dass die Sanktion an das Unterlassen beispielhaft, aber nicht abschließend (vgl. § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG: „auch“) benannter Aufsichtsmaßnahmen anknüpft, die sich auf die Verhinderung von Zuwiderhandlungen gegen inhaberbezogene Pflichten richten.[231] Da jenseits weniger Ausnahmeregeln keine generelle Compliance-Pflicht existiert (siehe Rn. 116 ff.),[232] sind Aufsicht und Compliance keine synonymen Begriffe.[233] Fehlt es gänzlich an entsprechenden Maßnahmen oder sind sie unzureichend, kann hierin nur dann eine Verletzung der allgemeinen Aufsichtspflicht gesehen werden, soweit Compliance das im Einzelfall gebotene Instrument zur Erfüllung dieser Pflicht ist. Dies ist keineswegs selbstverständlich, so dass aus Verteidigungssicht die Betonung der Unterschiede von Aufsicht und Compliance notwendig sein kann. Da § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG ein Dauerdelikt darstellt, liegt im Übrigen nur eine einzige Aufsichtspflichtverletzung vor, wenn es als Folge fehlender oder unzureichender Compliance zu mehreren Zuwiderhandlungen kommt.[234]

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      Selbst wenn Compliance das gebotene Instrument zur Erfüllung der Aufsichtspflicht ist, bestehen Grenzen, da § 130 OWiG dem Inhaber keine Totalkontrolle, sondern lediglich erforderliche und zumutbare (vgl. § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG „gehörige“) Aufsichtsmaßnahmen abverlangt.[235] Aus dem Merkmal der Erforderlichkeit ist abzuleiten, dass von mehreren gleich wirksamen Compliance-Maßnahmen diejenige gewählt werden kann, die Unternehmen und Mitarbeiter am wenigsten belastet.[236] Insoweit wird man unter Verteidigungsaspekten insbesondere auf die erheblichen Kosten von Compliance-Tätigkeiten hinweisen dürfen, die keineswegs von allen Unternehmen aufgebracht werden können. Darüber hinaus begrenzt die Voraussetzung der Zumutbarkeit den Kreis erforderlicher Aufsichtsmaßnahmen, weshalb insbesondere Reaktionen wie die Belohnung von Denunziantentum ausscheiden; die Grenzen zum Whistle-Blowing sind jedoch fließend.[237] Ein strukturelles Problem besteht darin, dass die Sanktionsinstanz im Wissen um das Vorliegen einer Zuwiderhandlung ex post über die im Vorfeld einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu treffenden Compliance-Maßnahmen entscheidet: Zwar hat sie die zu ergreifenden Maßnahmen konkret darzulegen,[238] im Nachhinein lassen sich jedoch leicht „erforderliche“ und „zumutbare“ Aufsichtsmaßnahmen benennen, durch die eine Zuwiderhandlung vermieden oder wesentlich erschwert worden wäre.[239] Vor diesem Hintergrund ist aus Verteidigungssicht stets zu hinterfragen, ob aus einer ex ante-Sicht wirklich Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten nach Art und Intensität nahe lagen, die einen Anlass für die später postulierten Aufsichtsmaßnahmen darstellten.[240]

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      Subjektiv setzt die Haftung Vorsatz oder Fahrlässigkeit im Hinblick auf das Unterlassen erforderlicher Aufsichtsmaßnahmen und wegen der Klassifikation als konkretes Gefährdungsdelikt die Erfassung einer konkreten (betriebstypischen) Zuwiderhandlungsgefahr voraus (siehe Rn. 109). Eines Erkennens oder Erkennen-Könnens der später als Folge der Aufsichtspflichtverletzung konkret begangenen Zuwiderhandlung bedarf es nicht, da es sich insoweit um eine objektive Bedingung der Ahndung handelt.[241] Wurden seitens der Unternehmensleitung angemessene Compliance-Maßnahmen ergriffen, dürfte es vielfach an dem auf die Verletzung der Aufsichtspflicht bezogenen Vorsatz oder einer darauf bezogenen Fahrlässigkeit fehlen. Insofern können installierte Maßnahmen der Compliance für die Unternehmensleitung nicht nur im Hinblick auf eine mögliche Verletzung der Aufsichtspflicht, sondern auch im Hinblick auf Vorsatz und Fahrlässigkeit entlastend wirken.

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      Als objektive Bedingung der Ahndung verlangt § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG eine Zuwiderhandlung, die bei gehöriger Aufsicht verhindert oder erschwert worden wäre (siehe Rn. 110 ff.).[242] Hierfür genügt nicht jede beliebige Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sondern diese muss mit Blick auf den Schutzzweck der Vorschrift Ausdruck der Verletzung inhaberbezogener Aufsichtspflichten sein.[243] Compliance-Maßnahmen können für den hier relevanten Zurechnungszusammenhang bedeutsam werden und einer Zurechnung der von Mitarbeitern begangenen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten auf die Unternehmensleitung entgegenstehen: Sofern sachgerechte Compliance-Maßnahmen ergriffen wurden, wird man eine Zuwiderhandlung tendenziell schwerer als Ausdruck unzureichender Aufsicht ansehen können.[244] Denn in dem Maße, in dem gebotene Compliance-Maßnahmen installiert sind, erscheinen von Unternehmensmitarbeitern begangene Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten als individueller Exzess. Dies gilt ähnlich für den Pflichtwidrigkeitszusammenhang, der durch sachgerechte Compliance-Maßnahmen prinzipiell durchbrochen werden kann.[245] Allerdings besteht auch hier das Problem, dass Sanktionsinstanzen unter Hinweis auf potentielle Aufsichtsmaßnahmen ex post einen Zurechnungszusammenhang attribuieren, zumal angesichts der hierfür ausreichenden wesentlichen Erschwerung der Zuwiderhandlung die Zurechnung umso leichter erscheint.[246] Da jedoch durch die installierten Compliance-Maßnahmen die Zuwiderhandlung zwar nicht verhindert, aber doch wesentlich erschwert wurde, kann hier ebenfalls ein Ansatzpunkt für effektives Verteidigungshandeln gesehen werden.

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      Abgesehen von der Ebene der tatbestandlichen Voraussetzungen können Compliance-Maßnahmen auf der Ebene der Rechtsfolge Bedeutung erlangen, wobei zwischen Ahndungs- und Abschöpfungsteil der Geldbuße zu differenzieren ist.

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      Obwohl die Abschöpfung nach h.M. dem Nettoprinzip folgt und insofern tatbezogene Aufwendungen vorteilsmindernd in Ansatz gebracht werden können (vgl. § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG: „wirtschaftlicher Vorteil“),[247] müssten im Rahmen der Saldierung Compliance-Maßnahmen an sich unberücksichtigt bleiben.[248] Denn die hiermit verbundenen Aufwendungen werden unabhängig von der Ordnungswidrigkeit getätigt und sind der Sache nach „Sowieso-Kosten“.[249] Allerdings deuten empirische Befunde darauf hin, dass auch in Bezug auf den Abschöpfungsteil die Installierung von Compliance-Maßnahmen mindernd in Ansatz gebracht werden kann.[250]

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      Im Rahmen des Ahndungsteils können Compliance-Maßnahmen demgegenüber sowohl im Hinblick auf das Merkmal der „Bedeutung“ der Ordnungswidrigkeit als auch auf den „Vorwurf“, der den Täter trifft, relevant werden (vgl. § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG). Obwohl es um unterschiedliche Aspekte geht, bestehen Wechselbezüge: Die Bedeutung der Tat nimmt mit dem Grad des Vorwurfs zu und umgekehrt fällt


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