Zeuge und Aussagepsychologie. Gabriele Jansen
zwar darüber entscheiden kann, ob er sich überhaupt und wie zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf äußern kann, er im Rahmen der Aussage aber einen anderen nicht fälschlich beschuldigen bzw. eine Straftat vortäuschen darf (§§ 145d, 164 StGB)[107].
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Mitbeschuldigte. Bislang fehlen Untersuchungen zur Glaubhaftigkeit von Aussagen von Mitbeschuldigten. Jansen[108] hat in einem Beitrag in der Festschrift für Hamm die aussagepsychologische Beurteilungsmöglichkeit diskutiert.
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Ausländer. Bei Ausländern ist die Aussagebeurteilung erschwert, wenn ihre Aussage durch einen Dolmetscher übersetzt wird. Vielfach übersetzen Dolmetscher nicht vollständig, zum Teil auch nicht korrekt, wobei auch die Besonderheiten der jeweiligen Fremdsprache und auch kulturelle Unterschiede zu beachten sind[109].
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Identifizierungsaussage. Identifizierungsaussagen werden in der Praxis meist unter dem Gesichtspunkt erhoben, wie sicher sich der Zeuge bei der Wiedererkennung des Beschuldigten ist, obwohl subjektive Sicherheit keinen hinreichenden Aufschluss über die Richtigkeit der Aussage geben kann. Köhnken[110] verdeutlicht, dass die Qualität der Aussage kein verlässlicher Indikator ist, jedoch die Reaktionszeit (die Dauer von der Präsentation einer oder mehrerer Personen bzw. Lichtbilder und der Äußerung des Zeugen) ein Indikator für die Richtigkeit der Aussage sein kann, da korrekte Identifizierungen „schneller als falsche … erfolgen“.
Näheres zum aktuellen Erkenntnisstand der Personenidentifizierung findet sich in den Ausführungen von Sporer[111] im Handbuch der Rechtspsychologie und Sporer/Sauerland[112].
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8. Aussagepsychologische Fachliteratur
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Arntzen hat Anfang der neunziger Jahre die praktische Verbreitung der Aussagepsychologie gefördert[113]. Seine Auswertungen stützte er – nach eigenen Angaben – auf ca. 50.000 „psychologische Gutachten über die Glaubwürdigkeit“ in der Zeit von 1950 bis 1990. Kritisch zu sehen ist, dass er die Untersuchungen im Einzelnen nicht veröffentlicht und damit einer wissenschaftlichen Diskussion entzogen hat. Arntzen sah seine Erkenntnisse durch „nachträgliche Geständnisse“ bestätigt[114], ohne erkennbar zu erwägen, dass der Beschuldigte ggf. nur aufgrund des Drucks des ihn belastenden Gutachtens ein Geständnis abgelegt haben könnte.
Wohl als Reaktion darauf, dass ideologisch ausgerichtete Aufdeckungsarbeit immer mehr Platz griff und sexueller Missbrauch zum „Modedelikt“ avancierte, erschien Mitte der neunziger Jahre das „Handbuch sexueller Mißbrauch“[115]. Wegweisend und immer noch aktuell ist der darin enthaltene Aufsatz von Undeutsch[116], der sich inhaltlich mit dem Nachweis sexuellen Missbrauchs, der Analyse des Aussageinhaltes, der Bedeutung von Geschichte und Entwicklung der Aussage, der Divergenz von Psychotherapie und Wahrheitsforschung, der Suggestibilitätsforschung und der Prüfung alternativer Hypothesen befasst.
Es folgten Veröffentlichungen in familienrechtlichen Zeitschriften[117].
Aufsehen erregend war 1992 der Beitrag von Müther/Kluck „Vom Mißbrauch mit dem Mißbrauch“[118].
Endres/Scholz „Sexueller Kindesmißbrauch aus psychologischer Sicht“ war die erste Veröffentlichung in einer strafrechtlichen Zeitschrift zu den seinerzeit „gängigen“ Themen, so zu: Missbrauchsverdächtigungen[119], Symptomen[120], spontanen Falschaussagen von Kindern[121], aufdeckenden Psychotherapien[122], Verhaltensdeutung[123], projektiven Verfahren[124], Beeinflussungsgefahr durch suggestive Befragung und konfrontativen Befragungstechniken, dem sog. Lügendetektor und der Beurteilung der Persönlichkeit des Beschuldigten[125].
Im Nachgang zu den genannten spektakulären Verfahren erschienen einige aussagepsychologische Fachbücher, so z. B. das Buch von Steller/Volbert „Psychologie im Strafverfahren“[126], es folgte das Standardwerk „Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage“ einer Autorengruppe zusammen mit Greuel[127].
„Psychologische Gutachten schreiben und beurteilen“ von Westhoff/Kluck ist dem Straf- und Familienjuristen zu empfehlen, der sich grundlegend mit den Besonderheiten psychologischer Gutachtenerstellung befassen will. 2008 ist es in der 5. Auflage erschienen.
Zwischenzeitlich liegt das „Handbuch der Rechtspsychologie“[128] vor, lesenswert ist auch die jüngst von Volbert[129] veröffentlichte Abhandlung zur Erstellung aussagepsychologischer Gutachten, die die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse anschaulich und übersichtlich darstellt.
Anmerkungen
BGHSt [5 StR 416/54] 7, 82; richtungsweisend war RG [I 86/27] RGSt 61, 273.
Kühne in: Greuel/Fabian/Stadler, S. 5; vgl. auch Greuel S. 21; Maisch MschrKrim 1974, 57.
Binet La Suggestibilité, 1900.
Stern Psychologie der Zeugenaussage, 1902.
Münsterberg On the witness stand, 1908.
Müller-Luckmann in: Venzlaff, S. 629.
Köhnken S. 84.
Steller Forensia 1988, 23.
Steller/Böhm in: Fabian/Nowara, S. 37.
Vgl. zur Lebensgeschichte William Sterns: Kühne/Flachsbart PdR 1997, 138.
Steller/Volbert in: Steller/Volbert, S. 12; vgl. auch Steller Zeitschrift für experimentelle und angewandte Psychologie 1992, 151.
Undeutsch in: Undeutsch, S. 26.
Undeutsch in: Undeutsch, S. 26; vgl. dazu auch: Steller MschrKrim 1997, 274.
Vgl.