Zeuge und Aussagepsychologie. Gabriele Jansen
diagnostisch zur Aufklärung eines Missbrauchsverdachts nicht geeignet ist.
Bezeichnen sie als „methodisch dubios“, da der ihnen unterstellte Projektionsmechanismus eine eindeutige Interpretation der Ergebnisse ausschließe.
Ist kein taugliches Beweismittel.
Steller/Volbert 1997.
Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler 1998 – zitiert nach Greuel et al.
Herausgegeben von Volbert/Steller Handbuch der Rechtspsychologie, Bd. 9, Handbuch der Psychologie, 2008.
Volbert in: Volbert/Dahle, S. 18.
Teil 1 Zeugenaussage › II. Glaubwürdigkeit des Zeugen – Glaubhaftigkeit der Aussage
II. Glaubwürdigkeit des Zeugen – Glaubhaftigkeit der Aussage
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Lange Zeit wurden Zeugenaussagen nach der Persönlichkeit des Zeugen beurteilt. Hatte der Zeuge einen honorigen Beruf, genoss er allseits Ansehen, sprach viel dafür, dass er auch die Wahrheit sagte. Eine solche ausschließlich persönlichkeitszentrierte Betrachtungsweise ist durch die Erkenntnisse der modernen Aussagepsychologie in den letzten 50 Jahren abgelöst worden. Entscheidend ist allein die Aussage des Zeugen. Persönlichkeitsaspekte spielen dabei nur im Rahmen seiner individuellen Aussagekompetenz eine Rolle.
Man sprach auch von der Glaubwürdigkeit der Person und der Glaubhaftigkeit der Aussage. Damals wurde zwischen genereller und spezieller Glaubwürdigkeit unterschieden, so z. B. in der Entscheidung aus dem Jahr 1993[1]:
„Die Klärung der allgemeinen Glaubwürdigkeit läßt noch nicht ohne weiteres generelle Schlüsse auf die spezielle Glaubwürdigkeit zu. … Die neu zur Entscheidung berufene StrK wird gegebenenfalls zu bedenken haben, daß Anlaß bestehen kann, zwischen der allgemeinen und der speziellen Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu unterscheiden. Während die letztere die Frage der Glaubwürdigkeit im Hinblick auf die Aussage zum jeweiligen Verfahrensgegenstand betrifft, betrifft die allgemeine Glaubwürdigkeit die Frage, ob man dem Zeugen hinsichtlich sonstiger Angelegenheiten außerhalb des Verfahrens grundsätzlich Glauben schenken kann. Die Klärung der allgemeinen Glaubwürdigkeit läßt nach den Erkenntnissen der forensischen Psychiatrie noch nicht ohne weiteres generelle Schlüsse auf die spezielle Glaubwürdigkeit zu[2].“
In der Grundsatzentscheidung des BGH[3] zu aussagepsychologischen Gutachten wird klargestellt, dass es heute nicht mehr um die allgemeine Glaubwürdigkeit geht:
BGH [1 StR 618/98]
„Gegenstand einer aussagepsychologischen Begutachtung ist wie sich bereits aus dem Begriff ergibt nicht die Frage nach einer allgemeinen Glaubwürdigkeit des Untersuchten im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft. Es geht vielmehr um die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, d. h. einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (Gutachten Prof. Dr. Steller; s. auch Herdegen aaO Rdn. 31).“
Dass die Persönlichkeit des Zeugen nichts über den Wahrheitsgehalt seiner Aussage aussagt, hat der BGH[4] in letzter Zeit noch einmal ausdrücklich klargestellt. Danach muss einer „offenen und ehrlichen Persönlichkeit“ nicht entgegenstehen, dass der Zeuge in einzelnen Punkten die Unwahrheit gesagt hat.
Diese BGH-Rechtsprechung geht zurück auf Undeutsch, der mit der Unterscheidung zwischen der Glaubwürdigkeit der Person und der Glaubhaftigkeit der Aussage die vierte Phase der Aussagepsychologie einläutete[5].
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Früheres Verhalten kann nach BGH[6] dennoch Schlussfolgerungen zulassen, wenn die entsprechende frühere Lebenssituation mit der jetzigen vergleichbar ist.
Steller[7] greift das allseits bekannte Sprichwort ,Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht‘ auf, in dem der Volksmund auf eine charakterbezogene Glaubhaftigkeitseinschätzung hinweist: stellt klar, „dass Feststellungen über die allgemeine Glaubwürdigkeit einer Person keine hinreichend eindeutigen Beziehungen zu der Glaubhaftigkeit von spezifischen Bekundungen dieser Person aufweisen“. Gleichzeitig „mache der Volksmund aber die Fehlerhaftigkeit dieser Beurteilungsstrategie deutlich (‚und wenn er auch die Wahrheit spricht‘)“.
Diese Gesichtspunkte sind bei der Beurteilung von Zeugenaussagen zu beachten; das sowohl schon bei Vernehmungen als auch bei der aussagepsychologischen Begutachtung. Das wird im Weiteren ausführlich in Teil 2 „Zeugenvernehmung“ und Teil 3 „Aussagepsychologische Begutachtung“ dargestellt.
Es folgt eine Darstellung der Rechtsprechung zur Aussagebeurteilung.
Anmerkungen
BGH [1 StR 547/93] StV 1994, 64 = BGHR StPO § 261 Zeuge 14.
Vgl. hierzu eingehend Leferenz in: Göppinger/Witter, S. 1314 ff., 1317, 1325f., 1341f.; Undeutsch in: Elster/Lingemann/Sieverts, S. 205 ff., 212f.; vgl. auch KK-Herdegen § 244 Rn. 31.
BGH [1 StR 618/98] BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746 = NStZ 2000, 100 = StV 1999, 473 = BGHR StPO § 244 Abs. 4 S. 1 Sachkunde 9 = StraFo 1999, 340 = PdR 1999, 113; vgl. auch [1 StR 498/04] NJW 2005, 1519 = BGHR StPO § 241 Abs. 2 Zurückweisung 12 = BGHR StPO § 244 Abs. 2 Zeugenvernehmung 17; [1 StR 231/08]; [1 StR 227/05]; [4 StR 700/98] BGHSt 45, 211 = NJW 2000, 226 = StV 2000, 133 = BGHR StGB § 306b Ermöglichen 1 = BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 30.
BGH [2 StR 307/02].
Vgl. dazu die Ausführungen unter Teil 1 I „Einführung in die Aussagepsychologie“ (Rn. 13 ff.).
BGH [1 StR 498/04] NJW 2005, 1519 = BGHR StPO § 241 Abs. 2 Zurückweisung 12 = BGHR StPO § 244 Abs. 2 Zeugenvernehmung 17: „Fehlverhalten der Nebenklägerin bei oder nach der Beendigung privater Beziehungen könnte dann also etwa hier von Bedeutung sein, wenn auch hier die Beendigung einer privaten Beziehung im Raum stünde (vgl. etwa Maiwald in: AK-StPO § 261 Rn.