Zeuge und Aussagepsychologie. Gabriele Jansen
Steller in: Kröber/Steller, S. 1.
Teil 1 Zeugenaussage › III. Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Beurteilung von Zeugenaussagen – unter Berücksichtigung aussagepsychologischer Aspekte
III. Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Beurteilung von Zeugenaussagen – unter Berücksichtigung aussagepsychologischer Aspekte
Teil 1 Zeugenaussage › III › 1. Die „ureigenste Aufgabe“ des Gerichts
1. Die „ureigenste Aufgabe“ des Gerichts
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Die Beurteilung von Zeugenaussagen ist ureigenste Aufgabe des Gerichts – das ist gefestigte Rechtsprechung seit Jahrzehnten. Das hat der BGH auch in der Grundsatzentscheidung[1] zu aussagepsychologischen Gutachten noch einmal bekräftigt. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens soll nach wie vor die Ausnahme bleiben, der Tatrichter soll „gerade zu eigenständiger Aussageanalyse und Beweiswürdigung“ ermutigt werden[2].
Hierbei hat er nicht den strengen methodischen Vorgaben der aussagepsychologischen Begutachtung zu folgen[3]. Für ihn gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, § 261 StPO[4]. In diesem Rahmen sind indes die in der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Anforderungen an eine je nach Beweislage erschöpfende Beweiswürdigung zu beachten, die nicht lückenhaft sein, erörterungsbedürftige Möglichkeiten nicht unerwogen lassen und anerkannten Erfahrungssätzen der Aussagepsychologie nicht widerstreiten darf.[5]
a) Grundwissen des Richters
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Die Beurteilung von Zeugenaussagen ist die „zentrale Materie“[6] des Richters, bei der er grundsätzlich keine sachverständige Hilfe benötigt.
Das Bundesverfassungsgericht[7] hat jedoch aus den wissenschaftlichen, insbesondere den kriminalistischen, forensischen und aussagepsychologischen Untersuchungen Erfahrungsregeln gewonnen, und daraus Grundsätze für die Beweiswürdigung und ihre Darlegung in den Urteilsgründen entwickelt: insbesondere für Beweissituationen, die erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung stellen, wie in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, und in denen die Entscheidung davon abhängt, welcher der einander widersprechenden Aussagen das Gericht folgt[8], in Fällen, in denen es um die Beurteilung der Aussage eines Zeugen vom Hörensagen[9] geht sowie in Fällen des Wiedererkennens[10].
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Beachtung aussagepsychologischer Erfahrungsregeln im Rahmen der Beweiswürdigung – nach BVerfG – insb. bei
• | Beurteilung der Aussage eines Zeugen vom Hörensagen |
• | in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht |
• | in Fällen des Wiedererkennens |
Ob der Richter tatsächlich über ausreichende eigene Sachkunde verfügt, ergibt sich zuletzt aus dem Urteil. Manches Mal kann man fehlende bzw. vorhandene Sachkunde eines Gerichts auch aus Beschwerdebegründungen im Rahmen von Haftbeschwerdeverfahren entnehmen.
Hinweis:
Der Verteidiger sollte so früh wie möglich die Sachkunde „einfordern“, indem er die Beurteilung der seinen Mandanten belastenden Aussage nicht dem Staatsanwalt/Richter überlässt. Vielmehr sollte er sich intensiv mit dem Aktenmaterial, insbesondere den Vernehmung(en) und bei Vorliegen eines aussagepsychologischen Gutachtens auch mit dem Explorationsprotokoll befassen, unter aussagepsychologischen Gesichtspunkten auswerten und die Aspekte, die gegen den Erlebnisbezug der Aussage sprechen, ausführlich in einer Schutzschrift aufzeigen.
Vielfach besteht die Verteidigung jedoch nur darin, die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zu beantragen. Bewertet der Sachverständige die den Beschuldigten belastende Aussage als wahrscheinlich glaubhaft, rät mancher Verteidiger dem Mandanten zum Geständnis. Problematisch erscheint das dann, wenn der Mandant den Vorwurf bestreitet. In jedem Fall sollte der Verteidiger zunächst das Gutachten auf methodische Mängel überprüfen. Erschwert dürfte eine kritische Würdigung des Gutachtens sein, wenn der Verteidiger den Sachverständigen selbst vorgeschlagen hat.
b) Aussage gegen Aussage
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Beruht die Überzeugung des Gerichts von der Täterschaft des Angeklagten allein auf der Aussage des einzigen Belastungszeugen, ohne dass weitere belastende Indizien vorliegen, so sind – nach gefestigter BGH-Rechtsprechung – an die Überzeugungsbildung des Tatrichters strenge Anforderungen zu stellen: „Der Tatrichter muß sich bewußt sein, daß die Aussage dieser Zeugin einer besonders gründlichen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten durch eigene Äußerungen zur Sachlage besitzt. Eine lückenlose Gesamtwürdigung ist dann von besonderer Bedeutung.“ [11] Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH[12] müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.
Zu prüfen ist damit u. a., ob die Beweiswürdigung lückenhaft ist, also ob sie auch anerkannte Erfahrungssätze der Aussagepsychologie berücksichtigt.[13]
Der Tatrichter hat naheliegende Gesichtspunkte zu prüfen. Es stellt keinen Rechtsfehler dar, wenn das Gericht aufgrund eigener Sachkunde die Aussageanalyse in Anlehnung an die Maßstäbe vornimmt, die der BGH für aussagepsychologische Gutachten entwickelt hat.[14]
Hinweis:
Auch der Verteidiger kann sich an der aussagepsychologischen Prüfstrategie – die ausführlich in diesem Buch dargestellt wird – orientieren. Sein Augenmerk sollte er vor allem auf die sich aus der Akte ergebenden Hinweise auf die Entstehung und Entwicklung der Aussage legen, da darin oftmals Erklärungen für die Beschuldigung zu finden sind. Das gilt für alle Aussagen in jedem Verfahren, nicht nur in den Sexualstrafsachen.
Teil 1 Zeugenaussage › III › 2. BGH-Rechtsprechung: Gutachten ist Indiz für die Glaubhaftigkeit der Aussage
2. BGH-Rechtsprechung: Gutachten ist Indiz für die Glaubhaftigkeit der Aussage
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Der BGH [2 StR 354/03][15] hat – unter Bezugnahme auf die Grundsatzentscheidung[16] – klargestellt, dass das Gutachten zusätzliches Indiz für die Glaubhaftigkeit einer Aussage sein kann. Dabei ist es nicht Aufgabe des Sachverständigen, darüber zu befinden, ob die zu begutachtende Aussage wahr ist oder nicht; dies ist dem Tatrichter vorbehalten. Der Sachverständige soll vielmehr dem Gericht die Sachkunde vermitteln, mit deren Hilfe es die Tatsachen feststellen kann, die für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit wesentlich sind.
Teil 1 Zeugenaussage › III › 3. BGH-Rechtsprechung zur Hypothesenbildung
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